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Es wird ernst für die AfD

Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hätte weitreichende Folgen für die AfD. Die Partei will mit einer Erklärung zum „Staatsvolk“ gegenhalten.

Von Tobias Wolf & Karin Schlottmann
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Björn Höcke ist Landeschef der AfD in Thüringen und Gründer des "Flügels".
Björn Höcke ist Landeschef der AfD in Thüringen und Gründer des "Flügels". © Michael Reichel/dpa

Die Einstufung der AfD als Verdachtsfall Extremismus könnte die Partei Mitglieder und Wählerstimmen kosten, wenn sich gemäßigte Anhänger abwenden. Deshalb wollte die Partei eine Beobachtung abwenden.

Kommende Woche will das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD zum Verdachtsfall erklären – acht Monate vor der Bundestagswahl.

Nach Recherchen der SZ soll zuvor die jährliche Frühjahrstagung des Verbunds der Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundesamtes stattfinden – coronabedingt als Videoschalte.

Mit der Beobachtung der AfD kann auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln geklärt werden, ob die Partei verfassungsfeindlich ist. Die Einstufung war schon für Ende vergangenen Jahres erwartet worden.

Corona verzögerte Entscheidung

Die Corona-Pandemie soll die Entscheidung verzögert haben. Zudem wollte das Bundesamt offenbar den Bundesparteitag der AfD im November im Rheinland abwarten.

Parteichef Jörg Meuthen hatte dort interne “Provokateure„ scharf kritisiert, die AfD zu Disziplin und Mäßigung ermahnt und davor gewarnt, sich mit der “Querdenker„-Bewegung gemein zu machen.

Es sollte eine Abrechnung mit den Extremisten innerhalb der Partei sein – wohl auch, um Argumente gegen die erwartete Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu liefern. Die Anhänger des aufgelösten rechtsextremistischen „Flügels“ warfen dem Parteichef Spaltungsabsichten vor.

Verbindungen in Corona-Leugner-Kreise und zu Rechtsextremisten dürften dem Bundesamt zusätzliche Anhaltspunkte geliefert haben. 2019 war die“Junge Alternative“ als Verdachtsfall eingestuft worden, 2020 bezeichnete das Bundesamt die Parteigruppierung „Flügel“ als gesicherte rechtsextremistische Bestrebung.

Thüringen und Brandenburg hatten die AfD-Landesverbände bereits in der ersten Jahreshälfte 2020 als Verdachtsfall eingestuft. In Brandenburg klagt die AfD nun dagegen.

Auf Bundesebene versucht die Partei, der Beobachtung durch den Verfassungsschutz etwas entgegenzusetzen. Am Montag unterzeichneten 34 Parteifunktionäre – darunter auch der Thüringer Landeschef und „Flügel“-Gründer Björn Höcke – überraschend eine „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“. Höcke ist nach Einschätzung von Thomas Haldenwang, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, erwiesenermaßen ein Rechtsextremist. Auch der zweite Bundeschef und sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla hat unterschrieben.

Die AfD bekenne sich demnach als „Rechtsstaatspartei“ vorbehaltlos zum deutschen Staatsvolk als der „Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, unabhängig davon, „welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt“. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gebe es demnach nicht.

Angesichts bisheriger Äußerungen von Björn Höcke und anderen Rechtsaußen-Protagonisten dürfte es den Parteivorstand große Mühe gekostet haben, die Erklärung durchzusetzen. Vielleicht ist das deshalb gelungen, weil die AfD ihr Dauerwahlkampfthema Asyl und Migration damit verknüpft. Man wolle die aktuelle "Massenzuwanderung", die auf "Missbrauch der Asylgesetzgebung" beruhe, beenden.

Rassismus und Verstöße gegen Menschenwürde

Ein Gutachten des Bundesamts attestierte der AfD bereits vor rund zwei Jahren Rassismus, der auf einem „biologisch-rassistischen oder ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ basiere. Hautfarbe, religiöse Vorstellungen und Herkunft dienten dabei der Ausgrenzung von gesellschaftlichen Gruppen. Das verstoße gegen die Menschenwürde und die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Der umstrittene Rauswurf des Rechtsextremisten Andreas Kalbitz, Ex-Chef der Brandenburger AfD, aus der Partei gilt ebenfalls eher als Zeichen an den Verfassungsschutz, als nach innen, wie der Streit um die Personalie nahelegt.

Offiziell wurde seine Mitgliedschaft im Mai annuliert, weil er bei seinem Eintritt in eine frühere Mitgliedschaft in der seit Jahren verbotenen Neonazi-Vereinigung "Heimattreue Deutsche Jugend" verschwiegen hatte. Kalbitz gilt als Vertrauter von Björn Höcke.

Bei einer Demonstration im Juni 2020 stellten sich sächsische AfD-Größen wie Jörg Urban (2.v.l.) und Jens Maier (r.)demonstrativ hinter Andreas Kalbitz (l.), der gerade aus der Partei geworfen worden war.
Bei einer Demonstration im Juni 2020 stellten sich sächsische AfD-Größen wie Jörg Urban (2.v.l.) und Jens Maier (r.)demonstrativ hinter Andreas Kalbitz (l.), der gerade aus der Partei geworfen worden war. © Franziska Klemenz

Demonstrativ hatten sich sächsische AfD-Größen wie Landeschef Jörg Urban, Generalsekretär Jan Zwerg und der Bundestagsabgeordnete Jens Maier nach dem Rausschmiss hinter Kalbitz gestellt und ihn im Juni 2020 als Redner zu einer Demonstration in Sebnitz eingeladen. Maier wurde vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft.

Auch die offizielle Auflösung des "Flügels", zu der der AfD-Bundesvorstand bis Ende April 2020 aufgefordert hatte, kann als Versuch gewertet werden, Argumente gegen eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu erzeugen. Nur: Dessen Anhänger prägen vor allem in Sachsen weiterhin den Landesverband der Partei und sitzen auch im Landtag. Ob sich die Gruppierung tatsächlich aufgelöst hat, darüber hat der Verfassungsschutz keine gesicherten Erkenntnisse.

Abzuwarten bleibt, ob Brandenburg und Thüringen nun weitere Schritte einleiten und die jeweiligen Landesverbände als gesicherte rechtsextremistische Bestrebung einstufen. Damit wäre die AfD in diesen Ländern auf einer Stufe mit der NPD.