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Sahra Wagenknecht und AfD: Keine Panik vor Populisten

Mit Sahra Wagenknecht will eine Populistin von links die Politik aufmischen. Trotz aller Misstöne: Für die Demokratie kann das eine Chance sein. Ein Kommentar.

Von Marcus Thielking
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Im "Meinungskorridor": Die Aufregung um Sahra Wagenknecht hat auch ihr Gutes, meint Sächsische.de-Redakteur Marcus Thielking.
Im "Meinungskorridor": Die Aufregung um Sahra Wagenknecht hat auch ihr Gutes, meint Sächsische.de-Redakteur Marcus Thielking. © dpa

Die Linken waren schon immer konkurrenzlos in der Kunst der Selbstdemontage. Man schmähte die Parteifreundin als „gescheite Giftnudel“, als „giftiges Luder“ und „doktrinäre Gans“. Ihre „perverse Rechthaberei“ sei unerträglich. So redeten die Leute aus ihrer eigenen Partei damals, vor über 100 Jahren, über die Sozialistin Rosa Luxemburg. Auch zwischen Sahra Wagenknecht und der Linkspartei flogen die Fetzen. Nicht umsonst sehen Wagenknecht-Fans in ihr eine Wiedergeburt Rosa Luxemburgs.

Jetzt hat Wagenknecht ihre eigene Bewegung gegründet. Nicht nur in der Linkspartei sorgt man sich um die Folgen, sollte sie Erfolg haben. Die Linke könnte in der Bedeutungslosigkeit versacken. Der AfD könnte es die Höhenflüge in Umfragen vermiesen. Parteien in der Mitte droht von links und rechts ein Überbietungswettbewerb der Populisten.

Tatsächlich tritt das Bündnis Sahra Wagenknecht – kurz BSW – mit einem populistischen Programm an. Das Wort Populismus wird oft ungenau als Kampfbegriff für alles Mögliche verwendet. Im Kern geht es hier aber nicht um problematische Positionen, wie etwa das als Pazifismus verkappte Verhältnis zum Kriegstreiber Putin. Nach einer gängigen sozialwissenschaftlichen Definition ist das Merkmal des Populismus, einen vermeintlichen Volks- oder Mehrheitswillen zu behaupten gegen eine angeblich abgehobene Elite von Machthabern, die den Willen der Mehrheit missachten.

Das Populisten-Paradox

Gleich am Anfang des Gründungsmanifests der Wagenknecht-Partei steht dieser Satz: „Seit Jahren wird an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert.“ Auch die AfD versteht sich laut Parteiprogramm als Alternative zur „politischen Klasse“, sie will „den Staat und seine Organe wieder in den Dienst der Bürger stellen“. Das Programm der Linkspartei ist nach der genannten Definition ebenfalls populistisch. Da heißt es: „Die herrschende Politik hat sich den Interessen der Konzernchefs und Vermögensbesitzer untergeordnet“, das sei „gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen“.

Ein typisches Merkmal ist auch das Populisten-Paradox: Sie behaupten, die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt, und wiederholen diese Behauptung rund um die Uhr auf allen Kanälen. Sahra Wagenknecht sprach vor der voll besetzten Bundespressekonferenz von einem verengten „Meinungskorridor“ – um danach etliche Interviews zu geben, von der Wochenzeitung Die Zeit bis zur Super Illu.

Die AfD als Dauertröte

Mit solcher Stimmungsmache und Verdrehung der Tatsachen widerstreben Populisten dem schönen Ideal einer Demokratie, in der ein harter, aber fairer Wettstreit um Sachthemen und Ideologien herrscht. Wenn sich jetzt eine weitere politische Kraft dieser Art bildet, ist das erst mal kein Grund zur Begeisterung. Andererseits muss man auch nicht in Panik verfallen und schlimme Szenarien heraufbeschwören, als ob eine unregierbare Populisten-Republik drohte.

Die Geschichte und der Blick ins Ausland zeigen: Populismus gehört zur Demokratie wie das Foulspiel zum Fußball. Die Existenz populistischer Parteien von links bis rechts ist in vielen Ländern Realität. Also kommt damit klar. Womöglich könnte das Wagenknecht-Bündnis sogar eine Chance für die Demokratie sein.

Es wäre naiv zu glauben, die AfD könnte damit erledigt sein. Dafür gibt es zu viele überzeugte stramme Rechts-Wähler. Zudem ist die AfD längst mehr als bloß eine populistische Partei. Sie hat sich radikalisiert, schürt Hetze gegen Minderheiten und steht dem Prinzip der liberalen Demokratie feindlich gegenüber.

Gerade in Sachsen hat sich gezeigt, dass es dem Land nicht guttut, wenn sich eine einzelne Partei als Sammelbecken für alle Unzufriedenen bildet. Der Parteienwettbewerb wird so insgesamt nicht lebendiger, sondern verkrampft und verklumpt. Zudem hat die AfD mit ihren teils extremistischen Funktionären keine Machtoption mit einem Koalitionspartner. Als Dauertröte in der Opposition verstärkt sie bloß den Frust.

Populismus als Frühwarnsystem

Sollte Wagenknecht mit ihrer Partei Erfolg haben, könnte das diesen politischen Klumpen lösen und auch die anderen Parteien wieder aus ihrer programmatischen Starre herauslocken. Populisten neigen zu Propaganda, wirken so aber oft als Frühwarnsystem für unangenehme Kontroversen, denen sich früher oder später alle stellen müssen.

Waffenlieferungen, Klimapolitik, Flüchtlinge, Armut und Reichtum – in einer pluralistischen Demokratie sind viele Positionen im Spiel. Es gibt eben nicht den einen Volkswillen, wie Populisten behaupten, sondern zu fast allen Themen mindestens zwei Meinungen im Volk.

Wenn Populisten miteinander konkurrieren, müssen sie sich öfter auf die Kompromisse einer Verhandlungsdemokratie einlassen. Es wäre eine Entradikalisierungskur. Damit das gelingt, braucht es Kräfte in der politischen Mitte, die sich nicht von Populistenpolemik treiben oder schrecken lassen. Es braucht Medien, die nicht jede Hysterie verstärken, weil es Klicks und Quote bringt.

Davon scheint unser Land weit entfernt. So bleibt als Hoffnung für die nächsten Monate der schöne Satz Rosa Luxemburgs in ihren Briefen aus dem Gefängnis: „Man muss alles im gesellschaftlichen Geschehen wie im Privatleben nehmen: ruhig, großzügig und mit einem milden Lächeln.“