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Albtraum Geiselnahme: Zwei Tote überschatten die Dresdner Adventszeit

Mitten im Adventstrubel nimmt ein Mann zwei Geiseln in der Dresdner Altmarktgalerie. Zuvor tötet er seine Mutter und versucht, einen Radiosender zu stürmen.

Von Christoph Springer & Dirk Hein
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Am Samstag kam es in der Dresdner Altmarktgalerie zu einer Geiselnahme. Der Täter starb beim Zugriff.
Am Samstag kam es in der Dresdner Altmarktgalerie zu einer Geiselnahme. Der Täter starb beim Zugriff. © Jürgen Lösel

Dresden. Eine Amoktat erschüttert Dresden. In der eigentlich besinnlichsten Zeit des Jahres tötet ein 40-jähriger Mann seine Mutter. Offensichtlich mit scharfer Munition bewaffnet, zieht er mit dem Kind einer Bekannten weiter, will in einen Radiosender eindringen, flieht vor der Polizei und verschanzt sich in einem Laden im Untergeschoss der Altmarktgalerie. Es fallen Schüsse, es kommt zum Notzugriff. Eine Stadt erstarrt in Panik.

40-Jähriger tötet seine Mutter in Dresden-Prohlis

Der Polizeieinsatz beginnt am frühen Morgen, die Stadt ist zu dieser Zeit noch weitgehend ruhig. Um 7.20 Uhr entdecken die Beamten in dem Haus an der Finsterwalder in Prohlis in einer Dachgeschosswohnung eine tote Frau. Es ist die 62-jährige Mutter des 40-jährigen David W. Die Frau wohnte zurückgezogen in einer Zweiraumwohung. Nachbarn beschreiben sie als "ganz ruhig und immer freundlich". Ihr Sohn ist dort nur selten beobachtet worden. Ein Nachbar erinnert sich an einen lange zurückliegenden Besuch. Im Hausflur steht noch der Rollator der Toten.

Mehrere Beamte der Spurensicherung waren in Prohlis im Einsatz.
Mehrere Beamte der Spurensicherung waren in Prohlis im Einsatz. © privat

Als die Polizei vor Ort eintrifft, ist David W. bereits in Richtung Innenstadt unterwegs, sein Ziel ist der Ammonhof. Von dort senden Radio Dresden und Hitradio RTL ihre Programme.

Radio Dresden ist offenbar das Ziel von David W. Polizeisprecher Thomas Geithner sagt später, womöglich habe der 40-Jährige Kontakt zu den Mitarbeitern der Radiostation gesucht, um von dem Vorfall in Prohlis zu berichten. Doch W. kommt nicht weit. Eine Sicherheitstür verhindert, dass er in die Räume gelangt. Daraufhin feuert er mehrere Schüsse ab, sie treffen die Tür und zerstören das Glas. Dennoch gelingt es ihm nicht, in den Sender zu kommen.

Einschusslöcher an der Ammonstraße
Einschusslöcher an der Ammonstraße © Henry Berndt

Geschäftsführer Tino Utassy berichtete, die Mitarbeiter hätten die Räume durch einen zweiten Ausgang verlassen und seien geflohen. Alle blieben unverletzt, der Schütze hat das Haus danach verlassen.

Täter hatte ein neunjähriges Kind dabei

Bei dieser Tat war er nicht allein. Aus Prohlis hatte er das neunjährige Kind einer Bekannten mitgenommen. Das Kind war laut der Polizei bei der Attacke gegen die Radiostationen dabei. W. nahm es dann auch mit zu seinem nächsten Ziel, der Altmarktgalerie.

Dorthin fuhr der Deutsche mit einem Auto, ging mit dem Kind ins Untergeschoss und dort in den dm-Markt. Wie die Polizei berichtet, nahm er dort eine 38-jährige Mitarbeiterin als Geisel und verbarrikadierte sich schließlich mit ihr und dem Kind im Büro des Ladens. Bei der Frau handelte es sich unbestätigten Angaben zufolge um die Leiterin des Geschäfts.

Die Polizei hatte alle Ein- und Ausgänge der Altmarktgalerie abgesperrt.
Die Polizei hatte alle Ein- und Ausgänge der Altmarktgalerie abgesperrt. © Jürgen Lösel

Geiselnehmer meldet sich bei der Polizei

W. teilte der Polizei anschließend selbst mit, wo er sich befand. Über den Notruf meldete er sich bei der Polizei, deshalb hatten die Beamten ab diesem Zeitpunkt ständigen Kontakt zu dem Geiselnehmer. Unterdessen räumten die Beamten das Einkaufszentrum, in dem zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingekauft aber das betreten werden konnte. Außerdem wurden Straßen rund um das Einkaufszentrum abgesperrt, Straßenbahnen und Busse umgeleitet. Der ÖPNV im Zentrum war damit stillgelegt.

Kerstin Berthold befand sich zu dieser Zeit in der Altmarktgalerie. Die Bayreutherin war mit ihrem Mann zu einem Weihnachtsmarktbesuch nach Dresden gekommen. Das Paar hatte in einem Hotel übernachtet, gerade ein paar Einkäufe ins Auto in der Tiefgarage gebracht und stand im 1. Stock, als im Erdgeschoss plötzlich die Polizisten auftauchten. "Wir haben gesehen, wie einer mit der Pistole nach oben zielte. Wir wurden per Lautsprecher aufgefordert, die Altmarktgalerie zu verlassen." Das haben Kerstin Berthold und ihr Mann dann auch getan, es war etwa 9.30 Uhr.

Vier Stunden später sagte Geithner der Bayreutherin vor der Altmarktgalerie, es sei noch völlig unklar, wann der Zugang zum Auto in der Tiefgarage wieder möglich sei. Die Verantwortlichen des Einkaufszentrums teilten später mit, alle Autos könnten an diesem Tag kostenfrei aus der Tiefgarage fahren, die Läden blieben aber ganztags geschlossen. Zahlreiche Kunden rüttelten deshalb vergeblich an den verschlossenen Eingangstüren des Einkaufszentrums, das Geschäft vor dem 3. Advent ist den Händlern komplett weggebrochen.

Lautsprecherinfos auf geschlossenem Striezelmarkt

Parallel dazu blieb an diesem Morgen der Striezelmarkt geschlossen. In mehrsprachigen Durchsagen teilten die Weihnachtsmarkt-Verantwortlichen mit, dass der Polizeieinsatz im benachbarten Einkaufszentrum der Grund dafür ist, dennoch strömten Besucher - auch aus dem Ausland - zwischen die Buden, fotografierten, sahen sich die Auslagen durch die zum Teil halb geöffneten Rollläden an und warteten auf die Eröffnung. Die sei auf unbestimmte Zeit verschoben, hieß es per Lautsprecherdurchsage, manche Händler schickten potenzielle Käufer deshalb auf den Weihnachtsmarkt an der Frauenkirche.

Spezialkräfte der Polizei waren inzwischen zur Altmarktgalerie gefahren, schwer bewaffnete Beamten vom SEK unter anderem. Sie postierten sich am Eingang Wallstraße, parallel dazu versuchte eine Verhandlungsgruppe der Polizei, den 40-Jährigen zum Aufgeben zu bewegen. Ob der Mann Forderungen gestellt hat, ließ Geithner auch auf Nachfrage offen.

Geiselnehmer stirbt bei Polizeizugriff in der Altmarktgalerie

Während des Kontakts mit dem Geiselnehmer schoss der Mann in dem Büro mit seiner Pistole. Das hörte die Polizei, das SEK stürmte daraufhin den Raum. Dazu mussten die Beamten zunächst eine Tür aufbrechen. Bei diesem Einsatz mussten SEK-Beamten schießen, so Polizeisprecher Geithner, dabei sei der Geiselnehmer tödlich verletzt worden. Die zwei Geiseln blieben unverletzt.

Das Kind, eine der zwei Geiseln, konnte von der Polizei unverletzt befreit werden.
Das Kind, eine der zwei Geiseln, konnte von der Polizei unverletzt befreit werden. © xcitepress/Finn Becker

Zum Tatmotiv des 40-Jährigen ist noch nichts bekannt. Die Polizei geht bislang davon aus, dass wahrscheinlich psychische Probleme von W. Auslöser für die Tat waren. Die Striezelmarkt-Händler durften ihre Buden schließlich kurz vor 13 Uhr öffnen, die Tatort-Untersuchungen in Prohlis, im Ammonhof und in der Altmarktgalerie waren zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Ende oder hatten gerade erst angefangen.

Oberbürgermeister Dirk Hilbert bricht Urlaub ab

Ministerpräsident Michael Kretschmer und Innenminister Armin Schuster (beide CDU) äußerten sich am Nachmittag zu dem Geschehen. "In meinen Gedanken bin ich bei den Opfern dieses Tages und hoffe, dass sie diese schrecklichen Erlebnisse, auch gemeinsam mit Ihren Mitmenschen, besprechen und verarbeiten können", twitterte Kretschmer. Schuster sagte: "Ich bin entsetzt über die Tat eines vermutlich psychisch verwirrten Einzeltäters und erleichtert darüber, dass die Polizei die beiden in der Gewalt des Täters befindlichen Personen angesichts der schwierigen Lage befreien konnten."

Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) war verreist. Er brach seinen Wochenendurlaub ab. Die Tat zeige, "wie zerbrechlich die vorweihnachtliche Besinnlichkeit und Unbeschwertheit sein kann".

An dem Einsatz waren rund 300 Polizisten beteiligt.