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"Wir sind kein kleines gallisches Dorf": Radeberg stimmt für Pläne für Gewerbegebiet

Knappe Entscheidung: Der Radeberger Stadtrat hat sich nach intensiver Diskussion dafür ausgesprochen, zwei weitere Gewerbegebiete mit einer Gesamtgröße von rund 135 Hektar auf den Weg zu bringen. Alle Fragen und Antworten.

Von Verena Belzer
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Soll an der S177 zwischen Arnsdorf und Radeberg Gewerbegebiete entstehen? Diese Frage diskutierte am Mittwoch der Stadtrat.
Soll an der S177 zwischen Arnsdorf und Radeberg Gewerbegebiete entstehen? Diese Frage diskutierte am Mittwoch der Stadtrat. © Christian Juppe

Radeberg. Der große Andrang war zu erwarten gewesen - schließlich hatte das Thema bereits in Arnsdorf die Bürger in den Gemeinderat gelockt. Und so drängten sich auch am Mittwochabend zum Radeberger Stadtrat um die 50 Bürger in den Ratssaal. Der Grund für das ungewöhnlich hohe Interesse: die beiden geplanten Gewerbegebiete zwischen Radeberg und Arnsdorf.

Wo befinden sich die geplanten Gewerbegebiete?

Ein Gewerbegebiet befindet sich zwischen Radeberg und Wallroda und hat eine Größe von 40 Hektar. Das andere soll auf der großen Ackerfläche am Berg hinter Großerkmannsdorf und am Rande von Kleinwolmsdorf entstehen - diese Fläche ist rund 95 Hektar groß. Damit wäre sie größer als Wallroda insgesamt.

Rund um Radeberg sollen zwei
Rund um Radeberg sollen zwei © Gemeindeverwaltung/SZ Grafik

Welche Einwände kamen aus der Bürgerschaft?

Was die Bürger umtreibt, ist, dass die Flächen aktuell Ackerland sind, im sogenannten Regionalplan sind sie als Grüngürtel ausgewiesen, der nicht zu verbauen ist. Große Teile der Fläche sind vom Landwirtschaftlichen Unternehmen An der Dresdner Heide gepachtet.

Gerade in Zeiten des Klimawandels seien Frischluftschneisen für die Stadt wichtig, argumentierte eine Bürgerin. Man solle vorrangig die innerstädtischen Brachflächen entwickeln. Andere Fragen drehten sich um naturschutzrechtliche Aspekte, aber auch um den Wasserbedarf, den mögliche Gewerbe haben könnten. "Wie kann sichergestellt werden, dass der Grundwasserspiegel dadurch nicht absackt?", fragte ein Bürger. "Und wie werden die Anwohner vor dem Lärm geschützt?"

Wo sollen die potenziell 15.000 Arbeitskräfte und ihre Familien wohnen, wo zur Schule oder wo zur Kita gehen? Wo zum Arzt gehen? Die Infrastruktur der Stadt sei dafür nicht ausgelegt, argumentierten andere Bürger.

Kurzum: "Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit", brachte ein Bürger prägnant die Sorgen der Radeberger auf den Punkt.

Was sagte Oberbürgermeister Frank Höhme?

OB Höhme (parteilos) hatte sich zur Sitzung Verstärkung aus der Staatskanzlei geholt. Dirk Diedrichs, Beauftragter für Großansiedlungen, sprach sich für Gewerbegebiete aus - vor allem hinsichtlich der Ansiedlung des taiwanesischen Chipherstellers TSMC in Dresden. Diese sei ein Sprung für Dresden - und mit ihm kämen zahlreiche Zulieferer. "Aber das Zeitfenster ist klein", sagte Diedrichs. Man bräuchte in Sachsen auch große Flächen, "und zwar besser gestern als heute". Zukunftsindustrien wie die Chipindustrie bezahlten auch ordentliche Löhne, "damit können wir auch hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts aufholen".

OB Höhme versuchte ebenfalls, die Gemüter zu beruhigen. "Wir beschließen heute nicht zwei Gewerbegebiete, sondern den Beginn eines Verfahrens, ob es an dieser Stelle überhaupt möglich ist. Und zwar ergebnisoffen." Er selbst gehe nicht davon aus, dass es tatsächlich in dieser Größe genehmigt werde. Dennoch: "Die Einnahmen der Kommunen werden immer weniger, da brauchen wir auch mehr Gewerbesteuern."

Seit 2020 habe es in Radeberg Anfragen von produzierendem Gewerbe nach Flächen in der Größenordnung 60 bis 80 Hektar gegeben. Darunter beispielsweise eine Fahrrad-Produktion, Outlet-Stores und "ein bekanntes Unternehmen aus Burladingen" - damit kann nur Trigema gemeint sein.

Wie argumentierten die Stadträte?

Großer Kritiker der Pläne ist Freie-Wähler-Chef Detlev Dauphin. Er könne nicht verantworten, dass das Landwirtschaftliche Unternehmen seine Flächen verliere, "das ist existenzbedrohend". Außerdem frage auch er sich, wo die Infrastruktur für die Arbeitskräfte herkommen solle. "Wir haben das Geld nicht", sagte er. "Wer soll außerdem die Erschließung der Gewerbegebiete bezahlen?"

Frank-Peter Wieth von der CDU argumentierte, dass das Verfahren alle Fragen kläre, die aus der Bürgerschaft kamen. "Und zwar rechtsfest." Er wolle das Verfahren abwarten und dann entscheiden, "ein Votum dagegen wäre heute aus dem Bauch heraus". Man solle jetzt keine Entwicklungschancen hergeben, "wir sind kein kleines gallisches Dorf am Rande der Dresdner Heide, das sich nicht verändert".

Wir-für-Radeberg-Chef Ronny König sah bei dem Thema erhebliche kommunikative Probleme, in der Sache jedoch argumentierte er, trotz aller Risiken die Chancen nicht außer Acht zu lassen. "Wir haben jede Menge zu verlieren, zum Beispiel unseren ländlichen Charakter. Aber wir sollten mutig sein, das Verfahren jetzt anzustoßen."

Ulrich Hensel interpretierte "Mut" anders: "Wir sollten mutig sein, heute 'Nein' zu sagen", sagte der Grüne/SPD-Chef. "Es würden ertragreiche Böden zerstört, die uns auch kein TSMC wieder herstellen kann."

Ebenfalls kritisch äußerte sich de AfD-Fraktion. "Wir können die Konsequenzen nicht überblicken", sagte Uwe Kirchner. "Ich halte das für unverantwortlich."

Wie fiel die Entscheidung aus?

Die CDU-Fraktion stimmte nahezu geschlossen dafür, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten, ebenso Wir-für Radeberg. Grüne/SPD votierte dagegen, die Freien Wähler dagegen und die AfD bis auf Toralf Otto ebenso. Thomas Lück (CDU), Matthias Hänsel (CDU) und Roland Schmidt (Freie Wähler) enthielten sich. Ergebnis: 12 Ja-Stimmen, 8-Nein-Stimmen, 3 Enthaltungen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Verwaltung wird nun beauftragt, die diversen Behörden an den Plänen zu beteiligen - diese geben dann Stellungnahmen ab, ob aus ihrer Sicht an dieser Stelle ein Gewerbegebiet entstehen kann und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Auch die Öffentlichkeit soll beteiligt werden und kann Einwände einreichen.

Außerdem wird ein sogenanntes Zielabweichungsverfahren angestrengt - das ist deshalb nötig, weil das Areal aktuell als landwirtschaftliche Flächen deklariert sind.

OB Höhme zeigte sich im Nachgang zufrieden: "Ich freue mich, dass sich der Stadtrat für das Aufstellen der Bebauungspläne entschieden hat, weil wir nun das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial unter die Lupe nehmen können. Es wird sich dabei zeigen, was in welcher Form möglich ist und davon von den Bürgerinnen und Bürgern sowie letztlich den Stadträten gewollt ist."

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