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Radebeul baut Kita-Plätze ab

Der Kindergarten an der Harmoniestraße wird im August 2022 für immer geschlossen. Die Stadt reagiert damit auf die Geburtenzahlen.

Von Silvio Kuhnert
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Verwaist präsentiert sich der Spielplatz der Kita Harmoniestraße, weil es derzeit aufgrund der Pandemie nur eine Notbetreuung gibt. Im August nächsten Jahres werden Kinderstimmen hier ganz verstummen. Die Stadt gibt die Einrichtung auf.
Verwaist präsentiert sich der Spielplatz der Kita Harmoniestraße, weil es derzeit aufgrund der Pandemie nur eine Notbetreuung gibt. Im August nächsten Jahres werden Kinderstimmen hier ganz verstummen. Die Stadt gibt die Einrichtung auf. © Arvid Müller

Radebeul. Es sei eine Beschlussvorlage mit traurigem Inhalt, meinte CDU-Stadträtin Bianca Erdmann-Reusch. Denn das Radebeuler Stadtparlament hat auf seiner jüngsten Sitzung das Aus für die Kita Harmoniestraße beschlossen. Erdmann-Reusch sprach von einem Wendepunkt: „Uns gehen langsam die Kinder aus.“

Seit fast 20 Jahren lenkt Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) die Geschicke der Lößnitzstadt. „Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten immer Wert darauf gelegt, allen Radebeuler Eltern einen Ganztagesplatz zur Verfügung zu stellen“, sagte das Stadtoberhaupt. Daher wurden die Kapazitäten in Krippen, Kindergärten und Horten ausgebaut, und zwar von rund 1.500 im Jahr seines Amtsantritts 2001 auf über 3.000 Plätze.

Nur noch knapp über 260 Babys im Jahr

Pro Jahr gab es immer zwischen 290 bis 320 Geburten in Radebeul. Das änderte sich jedoch 2019. Da kamen nur 261 Babys auf die Welt. Die Verwaltung fragte sich zunächst, ob dies nur eine Ausnahme, ein statistischer Ausreißer, sei. Doch auch 2020 erblickten nur 263 Säuglinge das Licht der Welt. Nun geht sie von einem verfestigten Trend aus: Die Geburtenzahlen sinken.

Der Grund für diese Entwicklung liegt laut OB Wendsche am Geburtenknick der Nachwendejahre. Anfang der 1990er-Jahre wurden weniger Kinder geboren als in den Nachkriegsjahren nach 1945. Die 1990er Jahrgänge haben nun das Alter erreicht, in welchem sie selber Familien gründen. OB Wendsche hat einmal die Anzahl potenzieller Mütter in Radebeul ermittelt.

Infrage kommen alle Frauen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren. Im Jahr 2009 waren das 4.162 Radebeulerinnen. 2020 gibt es nur noch 3.454 Frauen, bei denen eine Geburt zu erwarten ist. Und in sieben Jahren verkleinert sich ihre Anzahl auf 3.074. Das ist eine Reduzierung um mehr als 25 Prozent. „Damit gehen auch die Geburten um mehr als ein Viertel zurück“, sagte OB Wendsche, als er jüngst über die demografische Entwicklung im Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss berichtete.

Zwei Szenarien für künftigen Bedarf an Kita-Plätzen

Diesen Trend hat im vorigen Jahr das Statistische Landesamt in Kamenz bestätigt. Auf der Basis dessen siebenter regionalisierter Bevölkerungsvorausberechnung hat die Stadtverwaltung zwei Szenarien ermittelt. Wenn die Lößnitzstadt weiterhin einen Zuzug junger Familien mit kleinen Kindern verbuchen kann, reduziert sich die Zahl der Kita-Plätze um rund 200 bis zum Jahr 2035. Ohne Zuzug sinkt der Bedarf um über 300 Plätze.

So sollte der Anbau der Kita "Thomas Müntzer" aussehen. Die Pläne verschwinden nun in der Schublade.
So sollte der Anbau der Kita "Thomas Müntzer" aussehen. Die Pläne verschwinden nun in der Schublade. © Rau Architekten

Auf Grundlage dieser Prognose hat der Stadtrat beschlossen, dass die Verwaltung mit den freien Trägern die Kita-Landschaft mit ihren 30 Einrichtungen dem sinkenden Betreuungsbedarf anpasst. Von den Plätzen in Krippen, Kindergärten und Horten sind 23 Prozent in städtischer Hand, 71 Prozent bei freien Trägern und sechs Prozent der Tagespflege zugeordnet. Dieses Verteilungsverhältnis soll auch in Zukunft beibehalten werden.

Anbauprojekt gestoppt

Mit 56 Mädchen und Jungen ist die Kita Harmoniestraße die kleinste städtische Kindereinrichtung. Sie ist in einem ehemaligen Wohnhaus in Radebeul-West untergebracht. Die Tage des Gebäudes sind gezählt. Denn das Haus muss dem geplanten Neubau der Oberschule Kötzschenbroda weichen. Ursprünglich war ein Umzug der Kinder geplant. An der Kita „Thomas Müntzer“ an der Meißner Straße in Radebeul-Mitte sollte ein Anbau für sie entstehen.

Mit der jetzigen Entscheidung des Stadtrates wird die weitere Planung für den Erweiterungsbau gestoppt. Rund 375.000 Euro hat die Stadt für das Projekt bislang ausgegeben. Die Planunterlagen landen nun in der Schublade. Ob sie wieder herausgeholt werden, hängt vom Ergebnis des Konzepts für die weitere Entwicklung der Kita-Landschaft ab.

Hortneubau in Oberlößnitz wird vorgezogen

Die für den Kita-Anbau vorgesehenen Finanzmittel werden für den Bau eines neuen Hortes der Grundschule Oberlößnitz verwendet. Fast 5,9 Millionen Euro betragen die Baukosten. Für den Neubau kann die Stadt Fördermittel beantragen. Dagegen gibt es bei dem Kita-Anbau keinerlei Chance auf eine Förderung. Die Frage der Finanzierung ist mit ein Grund, warum das Hortprojekt nun den Vorzug bekommt. Das neue Hortgebäude soll in den Jahren 2023 und 2024 errichtet werden.

Um bei den Geburtenzahlen wieder einen Aufschwung zu verzeichnen, würden Appelle, für mehr Nachwuchs zu sorgen, wohl nur einen Einmaleffekt bringen, meinte CDU-Rätin Erdmann-Reusch. „Wir müssen was tun, damit wir weiterhin kinder- und familienfreundlich bleiben“, appellierte sie in die Stadtratsrunde, damit junge Familien nach Radebeul ziehen.

Der erste Lockdown vor einem Jahr, als Paare mehr Zeit gemeinsam zu Hause verbrachten, wirkt sich auch nicht positiv auf die Geburtenstatistik aus, wie eine Anfrage von Stadtrat Tobias Plessing (Bürgerforum/Grüne) ergab.

Linke-Fraktionschef Daniel Borowitzki zweifelt dagegen an, dass man nach zwei Jahren schon einen Trend in der Geburtenstatistik ablesen kann. „Die Zahlen können sich wieder ändern“, meinte er. Die beiden Räte von der Linksfraktion stimmten als Einzige gegen die Schließung der Kita Harmoniestraße. Die Kita-Türen bleiben nach dem 6. August 2022 für immer zu.

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