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Nach tödlichem Unfall: Amtsgericht Riesa stellt Verfahren gegen Lkw-Fahrer ein

Vor anderthalb Jahren wurde eine Rentnerin an einer Riesaer Kreuzung von einem Lkw überfahren und starb. Dessen Fahrer stand am Montag vor Gericht.

Von Jörg Richter
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Diese Markierungen auf der Kreuzung an der Lommatzscher Straße in Riesa waren nach dem Unfall noch lange zu sehen.
Diese Markierungen auf der Kreuzung an der Lommatzscher Straße in Riesa waren nach dem Unfall noch lange zu sehen. © Andreas Weihs

Riesa. Der Mann tut keiner Fliege was. Im Gegenteil. Der 43-Jährige ist hilfsbereit, engagiert sich in seiner Freizeit bei der freiwilligen Feuerwehr in einem kleinen Ortsteil der Gemeinde Zeithain. Und doch trägt er seit rund anderthalb Jahren die schwere Last mit sich, für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein. Am Montag hat er deshalb in Riesa vor Gericht gestanden.

Den 2. November 2022 wird der gelernte Landwirt nie vergessen. An diesem Tag übernahm er den Lkw von einem Kollegen, der ausgefallen war. Er sollte damit Futter für Milchkühe aus der Ölmühle holen. Bei der Feuerwehr fährt er gelegentlich ein Tragkraftspritzenfahrzeug, das etwa 7,5 Tonnen wiegt. Aber ein Lkw mit Sattelauflieger ist schon eine andere Hausnummer. Um so mehr konzentrierte der 43-Jährige sich auf den Verkehr auf der Straße und nicht auf das, was links und rechts davon passierte.

Kurz vor 8 Uhr erreichte er mit dem Lkw Riesa, fuhr von der B169 ab und bog links auf die Friedrich-List-Straße ein. An der Kreuzung zur Lommatzscher Straße musste er anhalten, weil vor ihm die Ampel auf Rot umschaltete. Als wieder grün wurde, fuhr er los und wollte nach rechts abbiegen. "Ich habe noch in die Spiegel geguckt und niemanden gesehen", erzählt er. "Ich habe mich noch auf die Verkehrsinsel rechts vor mir konzentriert, um bloß nicht anzufahren. Auf einmal rumpelte es."

Ein Häufchen Elend

Im ersten Moment habe er gedacht, die Ampel touchiert zu haben. "Dann sah ich die arme, alte Frau dort liegen", erzählt er. Der Lkw-Fahrer hatte eine 71-jährige Radfahrerin übersehen, die in gleicher Richtung fuhr und stadteinwärts über den Fußgänger- und Radweg wollte. Trotz versuchter Reanimation verstarb die Rentnerin noch am Unfallort.

Eine von drei Polizistinnen, die Richter Alexander Bluhm als Zeuginnen befragte, bestätigte, dass der Lkw-Fahrer völlig unter Schock stand, als sie am Unfallort eintraf. "Er war ein Häufchen Elend", erzählt sie. Eine Mitarbeiterin des Kriseninterventionsteams kümmerte sich um ihn.

Auch die beiden anderen befragten Polizistinnen sowie drei weitere Zeugen konnten in der mehr als vierstündigen Verhandlung am Montag bei der Aufklärung, wie es zu dem Unfall kommen konnte, nicht weiter helfen. Lediglich ein anderer Lkw-Fahrer, der sich hinter dem Beschuldigten der besagten Kreuzung näherte, will gesehen haben, wie die Radfahrerin auf die Kreuzung fuhr, obwohl der Lkw schon abbog. Seiner Meinung nach hätte sie den großen, weißen Lkw sehen müssen und bremsen können.

Erst der Wilsdruffer Sachverständige Matthias Müller konnte mit seinem Gutachten einen ungefähren Ablauf des Unfalls rekonstruieren. Er ist sich einigermaßen sicher, dass die 71-Jährige versucht habe, von ihrem Rad zu springen. "Sonst wären Wischspuren der Frau in oberen Bereich des Lkw zu entdecken gewesen", sagt Müller.

Im toten Winkel nicht zu sehen

Er orientiert sich an den Ergebnissen einer Studie, in der beschrieben wird, wie schnell Menschen in einem bestimmten Alter mit dem Fahrrad unterwegs sind. Über 60-Jährige würden demnach 10 bis 18 km/h mit dem Rad fahren. Müller spielte am Computer und auf einer Leinwand mehrere Varianten durch. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Radfahrerin mit 11 km/h unterwegs war und in dem Moment den Lkw an der Kreuzung überholte, als dieser gerade losfuhr, um nach rechts abzubiegen.

Ab diesem Zeitraum befand sich die Frau im toten Winkel der Lkw-Spiegel und konnte vom Fahrer nicht gesehen werden. Die Rentnerin selbst habe sich vermutlich darauf konzentriert, über den abgesenkten Bordstein auf den Überweg zu gelangen und sei wohl von der großen Zugmaschine, die plötzlich vor ihr auftauchte, erschreckt worden.

"Es war ein unglückliches Zusammentreffen mehrerer Umstände", räumte die Staatsanwaltschaft ein und plädierte auf Einstellung des Verfahrens gegen den Lkw-Fahrer und eine Geldauflage von 750 Euro. Dem folgte Richter Bluhm. Das Geld soll der Verkehrswacht Riesa-Großenhain zugutekommen.