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Nach Verbot: Razzia bei rechtsextremer Sekte auch in Sachsen

Das Innenministerium ist gegen einen rechtsextremen Verein namens "Artgemeinschaft" vorgegangen. Auch völkische Siedler wurden durchsucht, etwa bei Leisnig im Kreis Mittelsachsen.

Von Mirko Jakubowsky & Ulrich Wolf & Henriette Kuhn & Lea Heilmann
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In Naunhof bei Leisnig im Landkreis Mittelsachsen durchsuchten Beamten Häuser von zwei Mitgliedern der dort ansässigen "völkischen Siedler".
In Naunhof bei Leisnig im Landkreis Mittelsachsen durchsuchten Beamten Häuser von zwei Mitgliedern der dort ansässigen "völkischen Siedler". © SZ/DIetmar Thomas

Dresden/Leisnig. Wegen des Verbots des rechtsextremistischen Vereins "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" hat es am Mittwoch auch eine Razzia in Naunhof im Landkreis Mittelsachsen gegeben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte zuvor den Verein untersagt. Die Polizei durchsuchte 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern sowie Vereinsräume in zwölf Bundesländern.

In dem 100-Einwohner-Dorf Naunhof, einem Ortsteil von Leisnig, suchte die Polizei in zwei Häusern nach Beweismaterial. Dort sollen Lutz G. und Dankwart S. wohnen, beide werden der Bewegung der Völkischen Siedler zugerechnet.

Dankwart S. war in der bereits länger verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" aktiv. Er betreibt heute mehrere Verlage, über die er neonazistische Bücher verkauft. Bereits 2019 gab es bei ihm eine Razzia wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Die Polizei beschlagnahmte damals mehrere hundert unkommentiert nachgedruckte Exemplare eines 1940 veröffentlichten Buches. Lutz G. war Mitarbeiter einer NPD-Landtagsfraktion und trat in Leisnig als Demo-Organisator in Erscheinung.

Auch dieses Gebäude wird in Naunhof bei Leisnig nach dem Verbot der "Artgemeinschaft" durchsucht. Es soll sich um eine extrem gefährliche, sektenähnliche Organisation handeln.
Auch dieses Gebäude wird in Naunhof bei Leisnig nach dem Verbot der "Artgemeinschaft" durchsucht. Es soll sich um eine extrem gefährliche, sektenähnliche Organisation handeln. © SZ/DIetmar Thomas

Sachsens Verfassungsschutz beobachtet seit Längerem, dass sich Rechtsextremisten mit ihren Familien im Landkreis Mittelsachsen ansiedeln. Diese werben seit 2020 mit der "Initiative Zusammenrücken" für weitere Ansiedlungen in der Region. Sie füllen damit nach Ansicht des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig soziale Defizite in ländlichen Regionen aus.

Die Initiative habe laut eigenen Angaben "selbstverständlich Kontakte" zur "Artgemeinschaft" gehabt, teilte eine Pressereferentin des Sächsischen Verfassungsschutzes mit. Einige der Mitglieder sollen auch regelmäßig an Treffen teilgenommen und sich dort engagiert haben.

Gibt es Protagonisten in Dresden und Radebeul?

Nach Behördenangaben soll es auch anderswo in Sachsen Durchsuchungen gegeben haben. Wo genau, wird mit dem Verweis auf ermittlungstaktische Gründe nicht angegeben. Dem Verein gehörte in führender Funktion von 2010 bis 2011 auch ein heute in Radebeul tätiger Rechtsanwalt an.

Auch der Pressesprecher und Vorstand des sächsischen AfD-Landesverbands, Andreas Harlaß, war bereits mit der "Artgemeinschaft" in Verbindung gebracht worden. Grund war ein von ihm mehrfach getragenes Poloshirt mit einem Schriftzug des Versandhandels der "Artgemeinschaft" sowie deren Symbol, dem Weltenbaum oder auch Irmisul, ein frühmittelalterliches Heiligtum der Sachsen. "Das wurde mir geschenkt. Ich wusste nicht, was die Aufschrift bedeutet", erklärte Harlaß dazu während des Bundestagswahlkampfes im August 2021 .

Vorbereitung von mehr als einem Jahr

Das Vereinsverbot sei mehr als ein Jahr vorbereitet worden, sagte Innenministerin Faeser. Die Organisation richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Die "Artgemeinschaft" sei eine "sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung". Durch eine "widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen" sei versucht worden, "neue Verfassungsfeinde heranzuziehen".

Der Ministerin zufolge umfasst das Verbot alle Teilorganisationen der Bewegung, die rund 150 Mitglieder haben soll. Dazu gehörten "Gefährtschaften", "Gilden", "Freundeskreise" und ein Verein namens "Familienwerk". Durchsuchungen laufen außer in Sachsen in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Auch in dem Weiler Hesselbronn in Baden-Württemberg durchsuchten Polizisten ein Objekt. In dem Ort im Hohenlohekreis ist der Schriftführer des rechtsextremen Vereins "Artgemeinschaft" gemeldet.
Auch in dem Weiler Hesselbronn in Baden-Württemberg durchsuchten Polizisten ein Objekt. In dem Ort im Hohenlohekreis ist der Schriftführer des rechtsextremen Vereins "Artgemeinschaft" gemeldet. © dpa

Im baden-württembergischen Kupferzell ist der Schriftführer des Vereins zu Hause. Als Leiterin ist eine 43-Jährige aus dem unterfränkischen Landkreis Röhn-Grabfeld eingetragen, als Schatzmeisterin eine 59 Jahre alte Medizinberaterin aus dem bayerischen Landkreis Ansbach. Auch der Rechtsextremist Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hatte und zeitweise vom Dresdner Anwalt Frank Hannig verteidigt worden war, soll der Vereinigung zeitweilig angehört haben.

Die "Artgemeinschaft" war bereits 1957 in Berlin ins Vereinsregister eingetragen worden. Im Vorstand saßen Studienräte, Lehrer, Ingenieure, Kaufleute, Ärzte und Angestellte; aber auch Hausfrauen und Rentnerinnen. Einer der bekannteren Vorstände war von 2001 bis 2010 der Hamburger Rechtsanwalt, Neonazi und Holocaustleugner Jürgen Rieger.

Der Verfassungsschutz bezeichnete die "Artgemeinschaft" in einer Publikation von 2020 als "die derzeit größte deutsche neonazistische Vereinigung mit völkischer, rassistischer, antisemitischer sowie antichristlicher Ausprägung". Ihre Mitglieder würden angehalten, möglichst viele Kinder zu bekommen.

Auch in Essen in Nordrhein-Westfallen war die Polizei wegen des Verbot der "Artgemeinschaft" im Einsatz: Ein Beamter durchsucht das Fahrzeug eines Verdächtigen.
Auch in Essen in Nordrhein-Westfallen war die Polizei wegen des Verbot der "Artgemeinschaft" im Einsatz: Ein Beamter durchsucht das Fahrzeug eines Verdächtigen. ©   dpa

Der Verfassungsschutz führt Siedlungsbestrebungen von Rechtsextremisten in seinem aktuellen Jahresbericht gesondert auf. Darin heißt es, Ziel dieser Bewegungen sei zumeist der "Erhalt der Deutschen". Das "Deutschsein" werde dabei vor allem unter Rückgriff auf den ethnischen Volksbegriff im Sinne der völkischen Blut-und-Boden-Ideologie definiert. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung warnt vor der "Artgemeinschaft".

In der vergangenen Woche hatte Faeser bereits die Neonazi-Gruppierung "Hammerskins Deutschland" verboten. Vor allem durch die "manipulativ indoktrinierende Erziehung ihrer Kinder" und den Vertrieb entsprechender Schriften sei die "Artgemeinschaft" nicht weniger gefährlich als die "Hammerskins", sagte die Ministerin. (mit dpa)