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Sachsen prüft Klage gegen Blitzerfirma

Die Polizei und einige Kreise erwägen juristische Schritte gegen den Hersteller Leivtec. Dessen Gerät hatte offenbar mehrfach fehlerhafte Werte geliefert.

Von Andreas Rentsch
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So sieht das Messgerät XV3 von Leivtec aus.
So sieht das Messgerät XV3 von Leivtec aus. © www.einspruch-gegen-bussgeldbescheid.de

Diese Nachricht dürfte auch manchen Entscheidungsträger in Sachsen aufhorchen lassen: Die Stadt Sehnde in Niedersachsen will den Hersteller eines Blitzers verklagen. Konkret geht es um Gewährleistung für ein rund 40.000 Euro teures Gerät mit der Bezeichnung Leivtec XV3, welches die gleichnamige Firma mit Sitz im hessischen Wetzlar im Sommer 2020 an die Kommune verkauft hatte.

Dass das System unter besonderen Konstellationen fehlerhafte Werte ausgeben kann, hatten Sachverständige bereits bei Versuchsreihen im selben Jahr gezeigt. Am 12. März 2021 zog Leivtec selbst die Notbremse und bat alle Kunden per E-Mail darum, vorerst „von weiteren amtlichen Messungen Abstand zu nehmen.“ Als Konsequenz wurden bundesweit mehrere Hundert Infrarotlaseranlagen dieses Typs eingemottet – darunter die in Sehnde, einer Kleinstadt unweit von Hannover.

Auch bei sächsischen Ordnungshütern war die XV3 ein häufig verwendetes Werkzeug. Die fünf Polizeidirektionen Dresden, Görlitz, Leipzig, Chemnitz und Zwickau verfügen nach eigenen Angaben über insgesamt ein Dutzend dieser mobilen Blitzer. Weitere Geräte wurden von Landratsämtern, teilweise auch von städtischen Ordnungsämtern, angeschafft oder gemietet. Überall ist die teure Technik seit nunmehr fast einem Jahr eingelagert oder an die Verleiher zurückgegeben worden.

Vogtlandkreis klagt bereits

Welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben, darüber kursieren verschiedene Einschätzungen. So erklären beispielsweise das Landespolizeipräsidium und die Landratsämter Nordsachsen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Görlitz auf SZ-Anfrage, man prüfe ebenfalls juristische Schritte gegen den Hersteller. Andernorts verweisen die Verantwortlichen auf verjährte Ansprüche oder sie beantworten die Frage nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung gar nicht erst.

Einen Schritt weiter scheint der Vogtlandkreis zu sein: Hier bestätigt eine Mitarbeiterin des Landrats, es sei mittlerweile „eine Klage anhängig“. Man lege jedoch Wert auf die Feststellung, dass diese sich nicht gegen die Firma Leivtec selbst, sondern gegen „einen unabhängigen Gebietsvertreter“ richtet. Wer das ist? Keine Antwort.

Wo war der Leivtec XV3 in Sachsen im Einsatz?

Zu den Käufern der Leivtec XV3 zählten die Kreise Nordsachsen, Meißen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Mittelsachsen, der Vogtland- und der Erzgebirgskreis sowie der Landkreis Leipzig. Die Kreise Bautzen und Zwickau verfügten oder verfügen nicht über ein solches Gerät. Der Kreis Görlitz war zeitweise Leasingkunde.

Wo war der Leivtec XV3 in Sachsen im Einsatz?

Chemnitz hat vier Geräte gekauft, die Stadtverwaltung Leipzig dagegen nur eins, dazu wurde ein weiteres geliehen. Letzteres wurde nach Einstellung des Messbetriebs im Frühjahr 2021 zurückgegeben. Ebenfalls 2021 hat Dresden ein Mietgerät zurückgegeben. Im Bereich der Landesdirektion Dresden nutzen viele Städte, darunter Zittau, Bautzen, Hoyerswerda und Pirna, keine Messtechnik der Wetzlarer Firma – oder sie betreiben generell keine eigenen Blitzer. Gekauft wurden XV3 u. a. in Görlitz, Freital, Meißen, Radebeul, Dippoldiswalde und Döbeln. Riesa hat einen Vertrag im Sommer 2020 planmäßig beendet. In Großenhain gibt es eine Mietvereinbarung mit einem Dienstleister.

Wo war der Leivtec XV3 in Sachsen im Einsatz?

Die fünf Direktionsgebiete im Freistaat besitzen zwölf Geräte vom Typ XV3. Benutzt wurden sie an Straßen, teilweise auch an Autobahnen. (rnw/are)

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Eine an Leivtec selbst gerichtete Anfrage bleibt größtenteils unbeantwortet. „Aufgrund laufender Verfahren“ könne er keine Auskunft geben, schreibt Geschäftsführer Manfred Borsch kurz und knapp. Einem Gerücht will er dann aber doch entgegentreten: „Ich kann Ihnen gerne bestätigen, dass die Firma Leivtec Verkehrstechnik GmbH weiterhin existiert.“

Leivtec will Geräte nachbessern

Was bleibt, ist die Möglichkeit, andere mittelbar und unmittelbar Beteiligte der aufsehenerregenden Causa zu befragen. Zum Beispiel die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Dieser Behörde obliegt die Bauartprüfung und Zulassung von neu auf den Markt kommenden Geschwindigkeitsmessgeräten.

Leivtec habe dem Vernehmen nach Anfang Mai dieses Jahres an seine Kunden geschrieben und mitgeteilt, dass man nicht vorhabe, das Gerät nachzubessern, sagt Behördensprecher Robert Wynands. „Wir haben nichts Neues zu berichten.“ Eine im Juni verbreitete Stellungnahme seines Hauses sei daher weiterhin aktuell. Damals hieß es, die PTB-Spezialisten hätten bei eigenen Versuchsreihen an gezielt präparierten Fahrzeugen ebenfalls unzulässige Messwertabweichungen gefunden. Allerdings seien weit über tausend Durchfahrten vonnöten gewesen, um den Fehler reproduzieren zu können.

Daraus folgt aber nicht die Konsequenz, dass die Behörde die Geräte aus dem Verkehr ziehen darf. Zuständig seien die Eichbehörden der Länder und der Hersteller selbst, so Robert Wynands.

Unstrittig ist, dass nur geeichte Geräte verwendet werden dürfen. Weil aber die PTB die im Jahr 2009 erteilte Bauartzulassung nicht zurückgezogen hat, gilt die XV3 nach wie vor als „eichfähig“. In der Praxis hat dieser Umstand wohl nur noch untergeordnete Bedeutung. „Mir ist keine Behörde in Deutschland bekannt, die die XV3 noch eichen würde“, sagt Stefan Kaehne von der Eichdirektion Hessen.

Verkehrssünder haben vor Gericht gute Chancen

Grundsätzlich gelte, dass derlei Technik regelmäßig geeicht werden müsse. Anders als bei der Tüv-Prüfung fürs Auto läuft die Eichfrist aber ein Jahr und endet mit dem Kalenderjahr, in dem die Frist abläuft. Ist also ein Leivtec-Blitzer am 16. Juni 2021 geeicht worden, dann endet dessen Eichung am 31. Dezember des Jahres 2022.

Doch was bedeutet es für die Verkehrsüberwachung in Sachsen, wenn ein derart verbreitetes System aus dem Verkehr gezogen wird? Glaubt man Pascal Ziehm, dem Sprecher der Landespolizeidirektion, sollten notorische Schnellfahrer nicht mit niedrigerem Verfolgungsdruck rechnen. Seinen Angaben zufolge können die zuständigen Beamten auf 140 andere Systeme diverser Hersteller zurückgreifen. Eine Liste aller in Deutschland zugelassenen Geräte ist auf der Internetseite der PTB abrufbar. Dort werden auch die verschiedenen Messprinzipien erläutert. „Seit das Leivtec XV3 nicht mehr genutzt werden kann, weichen die Behörden unter anderen auf PoliScan von Vitronic, Systeme von Jenoptik Robot oder Eso aus“, hat der Chemnitzer Verkehrsrechtsanwalt Frank Schubert beobachtet. Entlang der Autobahnen sei vorwiegend der Einseitensensor der Firma Eso in Benutzung.

Wer in jüngerer Vergangenheit noch mit der Leivtec-Technik geblitzt worden sei, habe mit juristischer Hilfe häufig die Verfahrenseinstellung oder zumindest abgemilderte Rechtsfolgen erreichen können, sagt Schubert. „Das kann zum Beispiel der Verzicht auf ein Fahrverbot oder die Eintragung von Punkten in Flensburg sein.“ Schwieriger wird es bei bereits abgeschlossenen Verfahren. Denn die Hürden für ein Wiederaufnahmeverfahren sind recht hoch. Ob das Beweisfoto mit einer XV3 gemacht wurde, steht manchmal – aber nicht immer – auf dem Anhörungsbogen oder Bußgeldbescheid. Fehlt dieser Hinweis, schafft erst die Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt Gewissheit.