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"Fall Weber, Kotte, Müller" - was das Trio heute dazu sagt

Die drei Dynamo-Fußballer geraten 1981 in die Fänge der Stasi, werden verhaftet, verhört und verstoßen. Wie sie ihr Leben trotzdem gemeistert haben.

Von Sven Geisler & Jürgen Schwarz
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40 Jahre nach den dramatischen Tagen im Januar 1981 blicken Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller zurück auf die Zeit, die ihr Leben veränderte.
40 Jahre nach den dramatischen Tagen im Januar 1981 blicken Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller zurück auf die Zeit, die ihr Leben veränderte. © Ulrich Marx, Matthias Rietschel

Dresden. Diese drei Lebensläufe sind erstaunlich, ein Beleg für Charakterstärke und Willenskraft. Sie waren Fußball-Nationalspieler, haben mit Dynamo Dresden drei Meistertitel und einen Pokalsieg errungen, im Europapokal gespielt. Plötzlich ist Schluss. Unvermittelt. Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller wurden verhaftet, verhört, verstoßen. Die Hescher der Stasi kommen am 24. Januar 1981 vor dem Frühstück im Flughafen-Hotel Berlin-Schönefeld. Der Vorwurf: geplante Republikflucht.

Weber muss ins Gefängnis, darf nie wieder in einem Verein der DDR spielen. Kotte und Müller kommen nach fünf Tagen in der Stasi-Mangel frei, aber auch sie werden bei Dynamo ausgeschlossen, dürfen maximal noch bis zur Bezirksliga kicken, der dritthöchsten Spielklasse. Ihre Gandengesuche werden genauso abgelehnt wie Webers Ausreiseantrag, aber: Sie haben sich von den Repressalien nicht unterkriegen lassen und können stolz von sich sagen, ihr Leben nach diesem tiefen Einschnitt gemeistert zu haben.

Wie sie heute, 40 Jahre danach, darüber denken, haben Sie für Sächsische.de aufgeschrieben:

Gerd Weber: "Ich suche keine Schuldigen"

Das war ein tiefer Einschnitt in meinem Leben, keine Frage. Wie man sich im Knast fühlt, kann keiner nachvollziehen, der es nicht erlebt hat. Aber, ehrlich, irgendwann ist es auch mal gut, du musst deinen Frieden finden. Wenn ich seitdem ständig daran gedacht hätte, wäre ich ein Fall für die Psychiatrie geworden. Ich suche keine Schuldigen.

Gerd Weber gewann mit der DDR 1976 Olympiagold, mit Dynamo wurde er von 1975 bis 1978 dreimal in Folge Meister und holte dazu 1977 auch den Pokalsieg. Nach seiner Flucht 1989 spielte er noch vier Jahre beim SV Oberweier bei Freiburg in der Landes- und Ver
Gerd Weber gewann mit der DDR 1976 Olympiagold, mit Dynamo wurde er von 1975 bis 1978 dreimal in Folge Meister und holte dazu 1977 auch den Pokalsieg. Nach seiner Flucht 1989 spielte er noch vier Jahre beim SV Oberweier bei Freiburg in der Landes- und Ver © Ulrich Marx

Ich habe damals – ich würde es nicht Fehler nennen – eine Dummheit gemacht, als ich nicht sofort drüben geblieben bin. Aber das kam für mich nicht infrage, weil ich meine Freundin nicht alleine lassen wollte. Es gab leider keine Garantie, dass sie auch raus kommt. Inzwischen bin ich seit 38 Jahren mit Steffi verheiratet – es war definitiv die richtige Entscheidung.

Anfangs haben wir uns durch Arbeit betäubt, um das Drama aus dem Kopf zu bekommen. Die Freude, dass wir untergehen, wollten wir denen nicht machen. Unsere Ausreiseanträge wurden abgelehnt. „Herr Weber, Sie sind ein Staatsfeind. Sie kommen hier nicht raus!“ Als sich im Herbst 1989 die Möglichkeit ergab, über Ungarn zu fliehen, haben wir sie ergriffen. Das war vielleicht ein bisschen blauäugig, denn wir hatten unsere damals sechs Jahre alte Tochter dabei und wussten nicht, wie die bewaffneten Organe reagieren. Die Ungarn haben uns beim ersten Versuch aufgegriffen, uns am nächsten Morgen aber freigelassen und viel Glück gewünscht.

Nach sieben Jahren im Volkssport dachte ich nicht etwa daran, als Fußball-Profi in der Bundesliga einsteigen zu können. Ich habe ein halbes Jahr als Fliesenleger gearbeitet, eine Umschulung zum Industriekaufmann absolviert. Wir haben uns ein Leben im Schwarzwald aufgebaut und sind glücklich. Als Rentner komme ich jetzt öfter mal nach Dresden, um die Schwiegereltern zu besuchen und Rad zu fahren. Es gibt so viele wunderschöne Strecken: an der Elbe, im Erzgebirge, in der Heide – immer so 100 Kilometer. Wenn ich durch die Stadt gehe, erkennen mich von 10.000 Leuten vielleicht zwei aus meiner Generation. Das ist gut so, es ist eine andere Zeit.

Ab und zu gehe ich ins Arbeitszimmer und blättere in den Zeitungen von damals. Es ist schön, sich zu erinnern, aber man sollte nicht in der Vergangenheit leben. Ich kann für mich sagen: Wir haben unser Leben gemeistert.

Peter Kotte: "Diese Tage in Haft werde ich nie vergessen"

Spätestens, wenn Mitte Januar der erste Journalist anruft, sind die Erinnerungen wieder da. Ich war damals 26, auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn. Da Matthias Müller, mit dem ich bis heute eng befreundet bin, und ich gar nicht flüchten wollten, war mir schnell klar, dass die Verhaftung mit den Fluchtplänen von Gerd Weber zusammenhing. Auf der Fahrt im Barkas nach Dresden dachte ich noch, es lässt sich alles klären, und wir dürfen bald wieder für Dynamo spielen. Ein großer Irrtum.

Peter Kotte kam 1973 von der BSG Stahl Riesa zu Dynamo und entwickelte sich zum Nationalspieler. Für die Dresdner steuerte er insgesamt 22 Tore zu den Titelgewinnen 1976, 1977 und 1978 bei. Insgesamt traf der Stürmer in 156 Oberliga-Spielen 53-mal und bei
Peter Kotte kam 1973 von der BSG Stahl Riesa zu Dynamo und entwickelte sich zum Nationalspieler. Für die Dresdner steuerte er insgesamt 22 Tore zu den Titelgewinnen 1976, 1977 und 1978 bei. Insgesamt traf der Stürmer in 156 Oberliga-Spielen 53-mal und bei © Matthias Rietschel

Nun liegt das Ereignis schon 40 Jahre zurück, eine sehr lange Zeit. Viele Erinnerungen im Leben verblassen, aber diese Tage in Haft werde ich nie vergessen. Ich wurde andauernd verhört, stand in einem Einzelzimmer unter permanenter Kontrolle. Auch wenn ich auf die Toilette musste, stand die Tür offen. Die angelegte Stasi-Akte habe ich bei mir zu Hause.

Nach einer Woche kamen wir wieder auf freien Fuß, mussten beim damaligen Dynamo-Vorsitzenden Horst Rohne erscheinen und wurden in Unehren entlassen. Wir waren Volkspolizei-Angestellte und wurden wie Fahnenflüchtige behandelt, obwohl uns die Stasi eine geplante Republikflucht nie nachweisen konnte. Für mich brach eine Welt zusammen. Fußball durfte ich nur noch bis zur dritten Liga spielen. Vor meinem 30. Geburtstag verletzte ich mich bei einem Spiel schwer, später bildeten sich Keime in der Wunde. Ich schrammte haarscharf an der Amputation des Beines vorbei, war 18 Monate krankgeschrieben, meine sportliche Karriere kaputt.

Unser Sohn Thomas ist 40, lebt und arbeitet in Hannover. Ich wohne mit meiner Frau Gudrun in Dresden, wir sind seit fast 40 Jahren glücklich verheiratet. Nur wenige Wochen nach meiner Verhaftung haben wir im Standesamt an der Goetheallee geheiratet. Inzwischen genießen wir das Leben mit unserer Mischlingshündin Paula und ab dem Frühjahr unseren Garten.

Und ja, ich bin seit den legendären Europapokalduellen bekennender Bayern-München-Fan. Einen Tag nach dem spektakulären 3:3, mit dem Dynamo damals leider ausschied, unterschrieb ich am 8. November 1973 meinen Vertrag in Dresden. Seit einigen Jahren besuche ich auch wieder die Heimspiele von Dynamo im Rudolf-Harbig-Stadion, 1981 hatte ich sogar Stadionverbot bekommen.

Matthias Müller: "Es hat unendlich viel Kraft gekostet"

Der 24. Januar 1981 hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, war doch dieser Einschnitt in meinem Leben der, der alle weiteren Dinge und Wege beeinflusst hat. Selbstverständlich erinnere ich mich nicht ständig an das Ereignis und habe längst meinen Frieden gefunden. Aber nachhaltig ist es allemal, waren doch die Folgen für mich, meine Familie und auch viele Freunde gravierend – für die heutige Generation, so denke ich, fast unvorstellbar. Nur wer so etwas am eigenen Leib erlebt hat, kann nachvollziehen, was es heißt, sich in den Händen der Staatssicherheit und ihrer Helfer zu befinden.

Matthias Müller ist gern an der Elbe unterwegs. Als Fußballer hat er Dynamos meisterliche Zeit in den 1970er-Jahren entscheidend mitgeprägt. Mit der DDR-Olympiaauswahl gewann er 1980 in Moskau die Silbermedaille - wenige Monate später wurde seine sportlic
Matthias Müller ist gern an der Elbe unterwegs. Als Fußballer hat er Dynamos meisterliche Zeit in den 1970er-Jahren entscheidend mitgeprägt. Mit der DDR-Olympiaauswahl gewann er 1980 in Moskau die Silbermedaille - wenige Monate später wurde seine sportlic © Matthias Rietschel

Von heute auf morgen war alles anders. Vom gefeierten Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Moskau 1980, vom DDR-Nationalspieler und Stammspieler bei Dynamo Dresden über Nacht zum geächteten Landesverräter, ohne jede Chance, je wieder Fußball im Leistungssport zu spielen, belegt mit Berufsverbot als Diplom-Sportlehrer und in familiäre Sippenhaft genommen. Auch mein Vater wurde beruflich bestraft, wohlgemerkt für seinen erwachsenen Sohn.

Danach war es vor allem mental und psychisch viele Jahre lang eine große Herausforderung und hat unendlich viel Kraft gekostet. Ich bin im Nachhinein, mit jetzt 66, einfach stolz auf mich, wie ich mein ganzes weiteres Leben trotz ständiger Unwägbarkeiten gemeistert habe. Einen großen Anteil daran haben meine Familie und einige enge Freunde. Heute spiele ich wieder bei der Traditionsmannschaft Ost, bei den Oldies von Dynamo, bin Trainer einer Landesliga-Mannschaft in Sachsen und gehöre zum Nachwuchsleistungszentrum der SGD. Beruflich konnte ich mich nach der Wende noch verwirklichen. Von 1992 bis Dezember 2019 habe ich bei der AOK gearbeitet, hatte große Verantwortung für ein Team von Mitarbeitern in der Gesundheitsförderung. Ich bin sehr dankbar, diese Chance erhalten zu haben.

Ein Höhepunkt war für mich und meine Frau Andrea eine Reise mit den „Alten Herren“ der SG Kesselsdorf, mit denen wir 2019 an einem Senioren-Turnier in Brasilien teilgenommen haben. Südamerika war am 24. Januar 1981 das Reiseziel der DDR-Nationalmannschaft – 29 Jahre später konnte ich nachholen, was mir damals genommen wurde.

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