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In Cottbus aussortiert, mit Dresden doppelt erfolgreich

Bei Energie ließ ihn Ede Geyer links liegen. Bei Dynamo wurde Steffen Heidrich Kapitän und führte das Team zurück in den Profi-Fußball. Seine verrückte Geschichte.

Von Sven Geisler
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Mit Läufen durch die Dresdner Heide hält sich Steffen Heidrich fit. Mit Fußball hat er kaum noch was zu tun.
Mit Läufen durch die Dresdner Heide hält sich Steffen Heidrich fit. Mit Fußball hat er kaum noch was zu tun. © Jürgen Lösel

Dresden. Wenn Steffen Heidrich davon erzählt, bekommt er immer noch Gänsehaut, obwohl es schon 17 Jahre her ist. „Als wir mit dem Bus am Stadion abgeholt wurden, hieß es: Die Fans feiern schon am Altmarkt. Wir wussten aber nicht, wie viele es sind. Erst als wir auf die Wilsdruffer Straße einbogen, wurde uns das Ausmaß klar“, schildert der damalige Kapitän seine Erinnerungen an Dynamos Party nach dem Aufstieg in die zweite Liga 2004: „Es schauten Leute vom Turm der Kreuzkirche, viele saßen auf den Dächern der umliegenden Gebäude. Im gleichen Jahr war Werder Bremen Meister geworden, dort hatten 35.000 Fans die Mannschaft empfangen, bei uns in Dresden waren es 40.000. Für mich war es das größte Erlebnis als Fußballer.“

Dabei hatte Heidrich zuvor viel erlebt, mit Chemnitz, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß, im Europapokal gespielt, mit dem VfB Leipzig in der Bundesliga, Energie Cottbus hatte er als Kapitän ins Oberhaus geführt. Danach, und das ist die glückliche Fügung für Dynamo, wurde er von Trainer Eduard Geyer, einem Dresdner, quasi aussortiert. „Ich hatte bei Energie zwar einen Anschlussvertrag für drei Jahre, wollte aber noch nicht aufhören, Fußball zu spielen“, sagt Heidrich, damals 34 Jahre alt.

Also hatte er ein offenes Ohr, als ihn sein Jugendcoach anrief. Christoph Franke war zur Saison 2001/02 neuer Trainer bei Dynamo und fragte ihn, ob er Lust hätte, gemeinsam etwas aufzubauen. Das Problem: Der einst so erfolgreiche Klub steckte in der viertklassigen Amateuroberliga fest. Heidrich war sich des Risikos bewusst. „Die Bedingungen in Dresden waren katastrophal, der Verein stand permanent vor der Pleite“, beschreibt er die Ausgangslage.

"Mit diesem Wahnsinnspotenzial etwas bewirken"

Die Vorsaison hatte Dynamo auf Platz fünf in der Oberliga und mit einem Minus von 3,119 Millionen Euro abgeschlossen – die Hypothek aus dem Kinowelt-Darlehen belastete den Verein bis 2016. Heidrich ließ sich trotzdem darauf ein. „Ich hatte grenzenloses Vertrauen in den Trainer und war überzeugt, dass man mit diesem Wahnsinnspotenzial, das Dynamo mit den Fans und der Tradition hat, einiges bewirken kann.“ Darin fühlte er sich gleich bei seinem ersten Spiel am 5. August 2001 bestätigt: Mehr als 2.000 Anhänger unterstützten die Schwarz-Gelben beim 4:2-Sieg in Grimma. „In der Mannschaft hing von Anfang an jeder mit dem Herzen an Dynamo, weil jeder spürte: Fußball in Dresden ist etwas Besonderes – auch in der vierten Liga.“

Gemeinsam mit Christian Fröhlich spielte Steffen Heidrich in der Saison 2004/05 in der 2. Bundesliga.
Gemeinsam mit Christian Fröhlich spielte Steffen Heidrich in der Saison 2004/05 in der 2. Bundesliga. © Robert Michael

Trotzdem wollten sie so schnell wie möglich raus aus der Oberliga, lieferten sich mit Plauen ein Fernduell bis zum letzten Spieltag. Dynamo musste da aus Sicherheitsgründen in Eisenhüttenstadt gegen Hoyerswerda spielen. „Wir waren der haushohe Favorit, haben uns aber extrem schwergetan und am Ende glücklich gewonnen“, fasst Heidrich die Dramatik zusammen. Nach der Führung durch Thomas Neubert gelang Hoyerswerda der Ausgleich. Erst in 87. Minute traf Denis Koslov zum 2:1, Daniel Ziebig machte mit dem 3:1 den Staffelsieg perfekt.

Es folgte die Relegation gegen die U 23-Auswahl von Hertha BSC, zunächst das Hinspiel in Dresden. Torwart Ignjac Kresic hielt einen Elfmeter, Heidrich erzielte mit links aus der Drehung das 1:0. „Ich habe in der ersten und zweiten Liga 88-mal getroffen, im Europapokal für Chemnitz gegen Boavista Porto in der Verlängerung das Siegtor erzielt. Aber der Treffer gehört zu meinen wichtigsten“, sagt er. 12.000 Fans reisten mit zum Rückspiel, „die gesamte Autobahn war schwarz-gelb“, und das Spiel eine Abwehrschlacht ohne Tore. Damit stand der Aufstieg fest. „Mit unserem bedingungslosen Willen, extrem hohem Vertrauen zueinander und der Unterstützung von außen“, sagt der damalige Kapitän.

Was alle mitbekommen hatten, aber in der Kabine keiner groß thematisierte: Für Dynamo ging es um die Existenz. Geschäftsführer Volkmar Köster gab später zu: „Sonst wäre ich am Montag definitiv zum Amtsgericht gegangen. Der Insolvenzantrag lag fertig in der Schublade.“ Es ist spekulativ, ob der Verein dafür genug Masse aufgebracht hätte oder gelöscht worden wäre. Die Mannschaft hatte wie die Mitarbeiter bereits auf ein Monatsgehalt verzichtet. „Natürlich gab es eine gewisse Unruhe, aber wir haben versucht, es auszublenden und mit Spaß zu spielen“, sagt Heidrich.

Trainer Franke: "Hauptsache, du stehst auf dem Platz"

Im zweiten Regionalliga-Jahr folgte der zweite Schritt, wieder mit Herzschlag-Finale. Diesmal war Wuppertal der hartnäckigste Konkurrent. Ein Knackpunkt: auswärts bei Sachsen Leipzig im Zentralstadion. Dynamo fehlten sechs Spieler. Heidrich plagte sich mit einer Fersenprellung, ließ sich eine schmerzstillende Spritze geben. „Natürlich ist das gesundheitlich riskant, aber es stand so viel auf dem Spiel“, erklärt er. „Der Trainer meinte: ,Steffen, egal wie, Hauptsache, du stehst auf dem Platz. Das gibt den jungen Leuten Halt.‘ Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, ich wollte es zu Ende bringen.“

Nach dem Aufstieg 2004 feierte Heidrich mit gefärbten Haaren und der damals schwangeren Frau Arlette.
Nach dem Aufstieg 2004 feierte Heidrich mit gefärbten Haaren und der damals schwangeren Frau Arlette. © Foto: Archiv/Frank Dehlis

Heidrich hielt 72 Minuten durch, Maik Wagefeld verwandelte zwei Elfmeter, Christian Fröhlich sorgte für den 3:1-Endstand. So kam es zur Vorentscheidung am vorletzten Spieltag: Heimspiel gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten Neumünster. „Wir sind wie immer eine Stunde vor dem Anstoß von unserer Kabine im Steinhaus rüber gegangen in die Katakomben unter der Haupttribüne. Es waren ja immer viele Zuschauer da, aber diesmal waren die Ränge bereits rappelvoll“, sagt Heidrich.

Eigentlich war das alte Rudolf-Harbig-Stadion wegen brüchiger Traversen und anderer Baumängel für nur 18.800 Besucher zugelassen, Dynamo gab 28.000 an. Drin waren geschätzt mindestens 35.000, was auch Dresdens Oberbürgermeister unter den Vip-Gästen registriert. „Sehen Sie, ich werde überall belogen“, kommentierte Ingolf Roßberg die offizielle Zuschauerzahl. Das Sportgericht fand das weniger lustig und verhängte 45.000 Euro Geldstrafe. Die Spieler aber spürten „dieses Kribbeln“, wie es Heidrich beschreibt. Es war ein Nervenspiel bei sengender Hitze. In der 76. Minute erlöste Ranisav Jovanovic mit seinem Tor die Dresdner.

Die hatten drei Punkte und 13 Tore Vorsprung. Und Trainer Franke jubelte mit den Fans, die den Rasen stürmten, verbot der Mannschaft aber eine Feier. Seine Ansage: „Ich will es erst zu 100 Prozent sicher haben.“ Eine Woche später war es trotz Niederlage in Uerdingen soweit, nun brachen alle Dämme. Draußen feierten rund 15.000 Fans. „Man muss sich das mal vorstellen: So viele sind die 600 Kilometer mitgefahren“, ist Heidrich immer noch begeistert.

Mit der Dynamo-Fahne aus dem Flugzeug-Fenster

In der Kabine spritzten sie mit Sekt und Bier durcheinander, steckten sich fette Zigarren an, die Frauen hatten Farbe besorgt: Schwarz und Gelb für die Haare. Im vom Sponsor bezahlten Charterflug ging es zurück nach Dresden, die Maschine geriet wegen der ausgelassenen Stimmung beinahe in Turbulenzen. „Mit der Dynamo-Fahne aus dem Cockpit-Fenster auf dem Flughafen anzukommen, war ein erhebendes Gefühl“, meint Heidrich.

Die Erinnerungen an seine erfolgreiche Karriere als Fußballer hat Steffen Heidrich in einem Ordner aufgehoben. Er spielte ausschließlich für Ost-Vereine: FC Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, VfB Leipzig, Energie Cottbus und Dynamo Dresden.
Die Erinnerungen an seine erfolgreiche Karriere als Fußballer hat Steffen Heidrich in einem Ordner aufgehoben. Er spielte ausschließlich für Ost-Vereine: FC Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, VfB Leipzig, Energie Cottbus und Dynamo Dresden. © Foto: Jürgen Lösel

Er hing noch ein Jahr dran, war danach Teammanager, anschließend Sportdirektor bei Energie Cottbus und Erzgebirge Aue. Danach gab es immer wieder Anfragen, er müsse mit seiner Erfahrung weiter im Fußball arbeiten.

Doch der 53-Jährige hat einen anderen Weg gewählt, ist Geschäftsführer zweier Immobilien-Firmen und gibt über seinen guten Draht zu Frank Lieberam, ebenfalls Ex-Dynamo und jetzt Spielerberater, noch ein paar Talenten Tipps. „Ich bin damit sehr glücklich, das passt sehr gut.“ Mit Frau Arlette und Tochter Zenia Raphaela (16 Jahre) wohnt er in Langebrück – und ist so oft wie möglich bei Dynamos Heimspielen.

Der Aufstieg jetzt sei auch angesichts der Umstände beim Abstieg in der vorigen Saison verdient. „Erst die Corona-Quarantäne, dann der Spielplan im Drei-Tage-Rhythmus. Man war zwar vorher schon Letzter, aber das war auch vonseiten des DFB nicht optimal gelaufen“, meint Heidrich. Jetzt wünsche er sich, dass zur neuen Saison wieder Zuschauer dabei sein dürfen.

Wenn Heidrich auf die Zeit bei Dynamo zurückblickt, sagt er: Mission erfüllt. „Dazu beizutragen, einen solchen Kultklub in den Profi-Fußball zurückzubringen, war für mich ein absoluter Traum.“

Die Serie über Dynamos Aufstiegskapitäne im Überblick:

  • Ralf Minge. Eigentlich wollte er schon aufhören. Doch dann führt er Dynamo in die Bundesliga.
  • Steffen Heidrich. Bei Energie Cottbus lässt ihn Trainer Ede Geyer links liegen – zum Glück für Dynamo.
  • Thomas Hübener. In der zweiten Liga hat er nicht mehr für Dynamo gespielt – das bedauert er.
  • Michael Hefele. Die Mannschaft, der Trainer, dazu diese Fans – für ihn eine unvergessene Einheit.
  • Sebastian Mai. Ein Dresdner als Kapitän - das hatte es bei Dynamo lange nicht mehr gegeben.

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