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Als Polizist mitten in den Dynamo-Krawallen

In den Ausschreitungen beim Aufstiegsspiel wurden 185 Polizisten verletzt. Wie haben die Beamten die Situation erlebt? Eine Rekonstruktion.

Von Tobias Wolf
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Eine volle Bierflasche ist am Bein des Polizisten Torsten Berger zerschellt, Scherben haben durch den derben Drillich-Stoff geschnitten. Kollegen in Schutzmontur tragen ihn eilig aus der Schusslinie, andere sichern sie ab.
Eine volle Bierflasche ist am Bein des Polizisten Torsten Berger zerschellt, Scherben haben durch den derben Drillich-Stoff geschnitten. Kollegen in Schutzmontur tragen ihn eilig aus der Schusslinie, andere sichern sie ab. © Agentur

Dresden. Vereinzelte Böller und leuchtende Pyros verheißen an diesem frühen Sonntagnachmittag eher gute Stimmung als Randale. Zuschauer dürfen nicht ins Rudolf-Harbig-Stadion zum Spiel gegen Türkgücü München.

Aber gegenüber im Großen Garten feiern sie den Aufstieg von Dynamo in die 2. Liga. Familien gleich neben Hardcore-Fans. Auch solchen, die im Jargon der Polizei als „Gewa Sport“ bezeichnet werden: Gewalttäter, auffällig vor allem bei Fußballspielen.

Bier fließt in Strömen, Tausende steigern sich in einen Fußballrausch. Immer mehr Pyrotechnik knallt. Die Lage eskaliert, nach stundenlangen Krawallen bilanziert die Polizei am Abend: Mehrere Dutzend Fans und 185 Polizisten sind verletzt.

Bis kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit bleibt es trotz Böllerei und dem Abbrennen von Bengalos friedlich. Trotz Missachtung der Corona-Regeln durch die Feiernden greift die Polizei nicht ein.
Bis kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit bleibt es trotz Böllerei und dem Abbrennen von Bengalos friedlich. Trotz Missachtung der Corona-Regeln durch die Feiernden greift die Polizei nicht ein. ©  dpa/Sebastian Kahnert

Torsten Berger, der wie alle Polizisten in diesem Text eigentlich anders heißt, ist einer von ihnen. Ein Foto zeigt, wie eine Wunde in seinem Schienbein klafft, Blut über den Unterschenkel rinnt. Eine volle Bierflasche ist am Bein des 27-Jährigen zerschellt, Scherben haben durch den derben Drillich-Stoff geschnitten. Kollegen in Schutzmontur tragen ihn eilig aus der Schusslinie, andere sichern sie ab.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so heftig wird“, sagt Berger zwei Wochen später. Er ist Zugriffsbeamter einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit und lässt mit vier Kollegen den Aufstiegssonntag noch einmal Revue passieren.

Völlig unerwarteter Gewaltausbruch

Der Einsatz, der eine zuvor unbekannte Eskalationsstufe erreicht hat, könnte in keinem größeren Kontrast stehen zu dem nüchtern-grauen Konferenzraum eines schmucklosen Blocks auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei in Leipzig, in dem die Polizisten von ihrem Einsatz am 16. Mai erzählen.

„Wir hatten eigentlich keine große Erwartungshaltung, was Gewalt anging. Die meisten gingen davon aus, dass Dynamo aufsteigt, was soll da passieren“, sagt Peter Schmidt. Der 22-jährige Bereitschaftspolizist hat selbst Sympathie für Dynamo. „Wir wissen aber auch, dass Dynamo eine sehr hohe Zahl gewaltbereiter Fans hat.“

Immer mehr Feuerwerkskörper und illegale Böller werden gezündet.
Immer mehr Feuerwerkskörper und illegale Böller werden gezündet. © Tim Ruben Weimer

Schmidt trug einen blauen Oberarm, schmerzende Knie und Hände davon, ausgelöst durch Flaschentreffer. „Das Adrenalin hält dich die ganze Zeit oben, aber spätestens auf der Heimfahrt beginnst du es zu merken. Am nächsten Tag spürst du alles.“

Georg Hartmann, Halbgruppenführer, gehört mit 29 Jahren zu den Erfahreneren. „Es war klar, dass ein paar feiern wollten, die Situation war abhängig vom Spielverlauf, also haben wir den Fans erst mal freie Hand gelassen, und alles war entspannt.“

Die fünf gehören zu der Einheit, die zunächst fast unbeachtet an der Grenze zwischen Großem Garten und der Kreuzung vor dem Stadion ausharrt, ohne angelegten Helm und Handschuhe. Alles war anfangs friedlich, keine Spur von Eskalation. Die Einheit erlebt später die brutalsten Angriffe mit. Der Platz ist ein beliebter Treffpunkt. Torwirtschaft und Wachstube schenken Fans auch in Nicht-Corona-Zeiten Bier aus. Diesmal haben viele ihre Flaschen mitgebracht.

Corona-Regeln haben niemanden interessiert

Aus Polizei-Lautsprechern tönen Ansagen, die Fans mögen „bitte“ Abstände und Maskenpflicht beachten. „Die CoronaRegeln haben für die Leute dort keine Rolle gespielt, obwohl am Tag vorher wegen der Corona-Schutzverordnung eine Demo verboten worden war“, sagt Olaf Böhme, 46 Jahre alt und Hundertschaftsführer. Aber Vereine wie Dynamo seien für viele eine Ersatzreligion, die über allem steht. Auch über dem Gesetz.

Was an jenem Sonntag passierte, sei ein einziger großer Corona-Verstoß gewesen. Trotzdem habe man die Fans gewähren lassen, es bei Videoaufnahmen jener belassen, die verbotene Böller und Pyrotechnik zündeten.

Aus der feiernden Masse heraus bildet sich plötzlich ein Zug von fast 1.000 Menschen, der durch den Großen Garten zum Stadion will.
Aus der feiernden Masse heraus bildet sich plötzlich ein Zug von fast 1.000 Menschen, der durch den Großen Garten zum Stadion will. © Tim Ruben Weimer

Nach jedem Tor seien mehr Böller entflammt. Aufforderungen per Lautsprecher, das zu unterlassen, verhallen ungehört, erinnert sich Georg Hartmann. „Familienväter haben Kinderwagen durch die Pyrowolken geschoben, das war krass. Im Busch an der Torwirtschaft sind viele pinkeln gegangen, auch kleine Kinder, aber andere haben in den Busch ihre Pyros geschmissen.“

Nach dem 3:0 in der 62. Spielminute habe sich die Stimmung weiter aufgeheizt. Ab der 70. Minute richtet sie sich gegen die Polizei. Bengalos flammen massenweise auf, gelbe Rauchschwaden verdecken die Sicht. „Kommt mit, kommt mit“, habe es geschallt.

Helm und Brandschutzhaube gegen Bengalos

Rund 1.000 Leute, viele mit roten Leuchtfackeln, hätten sich plötzlich und gezielt in Bewegung gesetzt, vorbei an der Torwirtschaft in Richtung des alten Dynamo-Trainingsgeländes im Großen Garten, dann Richtung Stadion. Mit Abstand begleiten rund 60 Polizisten den Zug. „ACAB – wir vergessen nie“, „Alle Bullen sind Schweine“. „Ganz Dresden hasst die Polizei“ sollen die Fans im Chor gebrüllt haben.

Böller fliegen jetzt in Richtung der Gehassten. Die setzen Helm inklusive Brandschutzhaube auf. „Wir wollen gern unsere Gesichter behalten“, sagt Hartmann. Einer aus der Masse sei einem Polizisten gezielt in den Rücken gesprungen. „Das war ein bisschen der zündende Funke für die Angriffe.“

Flaschen und Feuerwerkskörper fliegen auf die Fahrzeugkette der Polizei vor dem Stadion. Die Angreifer verlagern sich wieder in den Großen Garten. Dort stehen 60 Polizisten einem Wall von gut 1.000 Menschen gegenüber. Teils schwarz gekleidet und vermummt, die meisten in Schwarz-Gelb. „Das war klassisches Dynamoklientel. Wer behauptet, das waren alles keine Fans oder keine Dresdner, von sonstwo angereiste Gewaltmacher – das ist absoluter Quatsch.“

Zum Spiel angereist war auch eine 170 Mann starke Gruppe aus der Region Bautzen. Dort überschneiden sich die Szenen von hartgesottenen Dynamofans, Nazis und Kampfsportlern, so Experten.

Immer wieder müssen Beamte der Bereitschaftspolizei durch dichten Pyro-Nebel.
Immer wieder müssen Beamte der Bereitschaftspolizei durch dichten Pyro-Nebel. © dpa/Sebastian Kahnert

Baumwipfel und Äste halten einen Teil der Geschosse ab. „Aber es ist mehr als genug durchgegangen“, sagt Hartmann. Dann kommen Angriffe aus dem Buschwerk von links in die Flanke dazu, dichter Rauch behindert die Sicht. „Das waren nicht nur ein paar Einzelne, da war vom Jugendlichen bis zum 60-Jährigen alles dabei.“ Normale Fans, teilweise Familienväter hätten sich mit Hooligans solidarisiert.