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Neustart für Turntrainerin Frehse: So ist ihr neues Leben in Linz

Nach jahrelangem Streit in Chemnitz hat Gabi Frehse eine neue Aufgabe: Nationaltrainerin in Österreich. Dort ist sie nun wieder glücklich, vermisst aber auch etwas sehr Elementares - ein Vor-Ort-Besuch in Linz.

Von Michaela Widder
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In ihrem Element. Gabi Frehse steht wieder hauptamtlich als Trainerin in der Halle. Seit Sommer betreut sie die österreichischen Turnerinnen.
In ihrem Element. Gabi Frehse steht wieder hauptamtlich als Trainerin in der Halle. Seit Sommer betreut sie die österreichischen Turnerinnen. © SZ/Michaela Widder

Linz. Das Lob folgt prompt. "Das hast du gut gemacht", sagt Gabi Frehse zu einer jungen Turnerin und schickt noch eine Bitte hinterher: "Stell' dich jetzt in eine Ecke, schließe die Augen und visualisiere diese Balkenübung. Das war eben eine deiner besten Übungen." Die Teenagerin geht ein paar Schritte, verweilt für ein paar Sekunden in einer Ecke und kommt mit einem Lächeln zurück.

Dann ist die Vormittagseinheit zu Ende, die Trainerin ist zufrieden. Sie ruft die älteren Sportlerinnen zusammen und setzt sich mit ihnen zusammen in einem kleinen Kreis auf den Boden. Die Entscheidung für die neuen Turnanzüge soll in den nächsten Tagen fallen, und Frehse hat eine kleine Auswahl auf dem Handy dabei.

Die Szenerie ist unmissverständlich: Gabi Frehse, jahrelange Erfolgstrainerin in Chemnitz, ist angekommen in ihrem neuen Job als Nationaltrainerin der österreichischen Frauen. "Ich habe die Freude zu meinem Leben zurückgefunden - mit allen Ecken und Kanten", sagt Frehse im Gespräch mit Sächsische.de, und sie weiß auch, warum das so ist: "Ich fühle mich hier anerkannt, geachtet und wertgeschätzt."

Eine Halle mit Sauna, Infrarotkabine und Eis-Bottich

Ein sonniger Novembertag in Linz. Am "Winterhafen 4" nahe der Donau ist Frehses neues Zuhause, wenn auch auf Zeit. Dort steht Österreichs modernstes Kunstturnzentrum. Von außen wirkt die Trainingsstätte unscheinbar, eher wie ein graues Bürogebäude. Doch die Halle bietet viel Platz und ist mit Sauna, Infrarotkabine und Eis-Bottich top ausgestattet.

"Dein Leben - Dein Sport - Deine Zeit" steht unübersehbar in großen Druckbuchstaben an der Hallenwand. Wenn Frehse die Worte liest, und das ist fast täglich der Fall, hat sie irgendwie das Gefühl, man habe das ihretwegen geschrieben.

Vor ziemlich genau vier Jahren hatte die schwerste Zeit in ihrem Leben begonnen. Von der früheren Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz sowie einigen weiteren Athletinnen war sie öffentlich beschuldigt worden, Schmerzmittel ohne ärztliches Attest verabreicht zu haben. Zudem gab es Vorwürfe, sie habe sich immer wieder verbale Ausfälle geleistet. Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung wurden später eingestellt, und das Arbeitsgerichtsverfahren, das sie in der ersten Instanz gewonnen hatte, endete auf Frehses Wunsch mit einem Vergleich.

Mit ihren Turnerinnen sucht Gabi Frehse nach dem Training gemeinsam nach neuen Turnanzügen im Internet - für die nächsten internationalen Auftritte.
Mit ihren Turnerinnen sucht Gabi Frehse nach dem Training gemeinsam nach neuen Turnanzügen im Internet - für die nächsten internationalen Auftritte. © SZ/Michaela Widder

Trotzdem: Dieser Makel wird bleiben, dessen ist sich Frehse bewusst. Eine Rückkehr an ihre alte Trainingsstätte schließt sie deshalb noch immer kategorisch aus, auch wenn sie sich hätte einklagen können. Umso größer ist ihre Dankbarkeit für das überraschende Jobangebot aus dem Nachbarland. Bereits im Januar bekam Frehse von einer alten Freundin und Kampfrichterin in Österreich einen "Notanruf".

Weil dort plötzlich die Turnerinnen ohne Trainer dastanden, wurde die Chemnitzerin gebeten, zunächst auszuhelfen. "Ich habe es eigentlich nur meiner Freundin zuliebe gemacht", gibt sie zu. "Doch die Mädels haben mich schon nach den ersten Einheiten geflasht." Zu dieser Zeit lief noch der Arbeitsrechtsstreit, die freigestellte Trainerin nahm also auch unbezahlten Urlaub, um vor Ort in Linz zu sein.

Seit Juli ist sie nun offiziell Nationaltrainerin und pendelt die rund 520 Kilometer zwischen Chemnitz und Linz. Einmal im Monat ist Frehse dabei stets für eine Woche in ihrem sächsischen Zuhause. Ein Grund dafür: die Aufgabe als ehrenamtliche Geschäftsführerin beim TuS Chemnitz Altendorf. Das ist und bleibt für die 63-Jährige eine Herzenssache. Doch am meisten vermisst sie in ihrer neuen Wahlheimat ihre Familie. "Ich habe ein enges Verhältnis zu meiner Tochter und meine beiden Enkelkinder nicht so oft zu sehen, fällt mir am schwersten", sagt sie.

Mutter einer Turnerin kocht mittags indisch

Dabei sind die Tage in Linz ausgefüllt. Um sieben Uhr morgens steht Frehse in der Halle, und oft ist sie erst gegen 19.30 Uhr zurück in ihrer kleinen möblierten Wohnung, die zehn Auto-Minuten entfernt liegt. Die Mittagspause verbringt Frehse meistens in der Halle am Schreibtisch.

Dazu gönnt sie sich gern mal einen Kakao aus dem Getränkeautomaten im Aufenthaltsraum. Die Mutter einer Turnerin kocht mittags für die Trainingsgruppe. Im Turnzentrum essen sie dann alle zusammen. Es gibt vorwiegend Indisch. Insgesamt betreut Frehse im Moment 14 Turnerinnen. "Und was ich hier liebe", sagt sie, "man hilft sich gegenseitig."

Die Turnhalle in Linz ist die modernste Österreichs - und sozusagen das neue Zuhause von Gabi Frehse.
Die Turnhalle in Linz ist die modernste Österreichs - und sozusagen das neue Zuhause von Gabi Frehse. © SZ/Michaela Widder

Die meisten Talente besuchen die Leistungssportschule Borg und wohnen in einem Internat, das von Oblatinnen betreut wird. "Ich habe mir das mal angeschaut und mit Schwester Maria gesprochen. So viel Wärme habe ich dort gespürt und so viel Demut empfunden, die fangen die Mädels echt gut auf", meint Frehse.

Auch die Männer trainieren in der Halle am Hafengelände und schielen gern zu den talentierten Frauen und ihrer neuen Cheftrainerin. "Gabi lebt diesen Sport", sagt Männer-Coach Michal Zoha, ein früherer tschechischer Kunstturner. "Sie bringt jeden Tag aufs Neue eine geballte Ladung Motivation und Energie mit." Dass sie dabei schon auch mal impulsiv werden kann, streitet Frehse nicht ab. "Aber ich muss mich hier nicht verstellen", sagt sie.

Emotionale Rückkehr auf die internationale Bühne

Einen emotionalen Moment erlebte die Erfolgstrainerin bei ihrer Rückkehr auf die internationale Bühne. Es war das Weltcup-Finale im September in Paris, vor dem sie "etwas Muffensausen" hatte. Doch die Freude überwiegt, sie wieder offiziell als Betreuerin zu sehen. "Von der Turn-Familie bin ich wieder aufgenommen worden, als ob ich nie draußen gewesen wäre."

Der Höhepunkt aus sportlicher Sicht war kurz darauf die WM in Antwerpen. Zwar verpasste Österreich wie auch das deutsche Frauen-Team die Olympia-Qualifikation, schaffte aber einen eigenen Punkterekord. Das Finale verfolgte Frehse dann entspannt auf der Tribüne. "Dass du das noch mal erleben darfst", sagte sie sich in Gedanken immer wieder.

Traumjob Turntrainerin. Für Gabi Frehse ist das mehr als ein Beruf.
Traumjob Turntrainerin. Für Gabi Frehse ist das mehr als ein Beruf. © SZ/Michaela Widder

Bis 2025 läuft ihr Vertrag in Linz, danach geht Frehse in Rente - und zurück nach Chemnitz. Die Zeit bis dahin will sie nutzen, die österreichischen Frauen weiter an die Weltspitze zu führen. "In Chemnitz hätte früher auch niemand gedacht, dass wir mal internationale Medaillen gewinnen", meint Frehse, die schon mit 16 in der DDR die höchste Übungsleiterlizenz besaß und längst zu den erfolgreichsten Turntrainern in Deutschland gehört.

Den Jahreswechsel verbringt sie in der Karibik

Sie ist besessen von dem Sport, den sie selbst nicht machen konnte. Mit einem angeborenen Hüftfehler schickten die Eltern sie zum Schwimmen. Heimlich ging sie trotzdem zum Turnen, bis ihre Mutter sie erwischte. Auch ein Sportstudium fiel mit den gesundheitlichen Problemen aus. Über Umwege kam sie letztlich doch zum Trainerjob. Ihr großes Vorbild war Jutta Müller, die Anfang November mit 94 Jahren verstorben ist.

"Als guter Trainer musst du den Beruf leben", weiß Frehse - selbst wenn man, wie sie, dafür jetzt weit weg ist von den Liebsten zu Hause. Weihnachten feierte sie natürlich im Kreis der Familie in Chemnitz. Und den Jahreswechsel verbringt sie auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik. Die Sehnsucht ist groß - nach weniger stürmischen Zeiten.