Chemnitz. Am Tag ihres 95. Geburtstages ist Jutta Müller, die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt, am Mittwoch auf dem städtischen Friedhof in Chemnitz beigesetzt worden.
Ein kleiner enger Kreis mit Familienangehörigen um ihre Tochter Gaby Seyfert, Weggefährten und Freunden begleiteten sie auf ihrem letzten Weg. Der emotionale Abschied ist unterlegt worden vom Titanic-Song "My Heart Will Go On".
Neben der ehemaligen Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig sprach auch die zweimalige Olympiasiegerin Katarina Witt. Neben Witt erwiesen ehemalige Sportler und Sportlerinnen wie Jan Hoffmann, Ingo Steuer, Axel Salzmann, Annett Pötzsch und Aljona Savchenko der Trainerin die letzte Ehre. Zum Schluss der Trauerfeier ertönte noch der Song "Time to Say Goodbye". Jutta Müller fand ihre letzte Ruhe an der Seite ihres 2016 verstorbenen Mannes und ehemaligen DDR-Fußballnationalspielers Bringfried Müller.
Auch an der Eishalle am Küchwald in Chemnitz erinnert am Eingang ein kleiner Gedenktisch mit einem Foto und einer Kerze an die kürzlich verstorbene Trainerin. An dem Gesteck hängt ein Holzschild, darauf steht gedruckt: "In Erinnerung an einen wundervollen Menschen." Jutta Müller hatte mit ihren Schützlingen drei olympische Goldmedaillen gewonnen, dazu zehn Welt-, 18 Europa- und 42 DDR-Meistertitel.
Müllers bekannteste Sportlerin war Katarina Witt. 17 Jahre lang haben sie aufs Engste zusammengearbeitet. Im „Zeit-Magazin“ hat sich die Olympiasiegerin von 1984 und 1988 über den Leistungssport in der DDR sowie über das harte Training unter Müller geäußert. "Natürlich war unser Leistungssportsystem brutal, weil man so schnell aussortiert werden konnte", sagt Witt. "Diese Form der Auslese war gnadenlos, es ging von Beginn an immer nur um Leistungssport."
Die Härte ihrer Trainerin sei auch ein Ergebnis von Müllers eigener Disziplin: "Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass sie sich hat gehen lassen. Aber weil ich selbst ein klares Ziel hatte, habe ich ihre Strenge ganz selbstverständlich hingenommen." Witt spricht von "Monstertagen" mit sieben Einheiten. Um die zu überstehen, habe der Vater seiner Tochter manchmal schon zum Frühstück ein Steak gebraten.
Eine gewisse Erbarmungslosigkeit ihrer Trainerin, die sie bis zum Tod siezte, gehörte für die vierfache Weltmeisterin im Leistungssport dazu. "Natürlich darf dabei nie Missbrauch
entstehen, aber vielleicht musste ich als Kind mitunter
mal wütend gemacht werden. Weil ich nur mit dieser
Wut im Bauch über meinen eigenen Schatten springen konnte", meint die 58-Jährige und erklärt weiter. "Dazu gehörte selbstverständlich sehr viel Grundvertrauen zu deinem Trainer."
Obwohl Jutta Müller in den Siebziger- und Achtzigerjahren die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt war und Witt zu einem Weltstar machte, verlor sie mit der Wiedervereinigung ihren Job in Chemnitz.
Witt zur Wendezeit: "Einfach viel zu viel falsch gelaufen"
"Die Demütigung, die ihr durch die damalige Eislauf-Union zugefügt wurde, hat sie nie verwunden", meint Witt. "Mir schien es, als hätte unter den westdeutschen Sportfunktionären eine Mentalität des Abrechnens geherrscht. Die DDR-Sportler waren vor der Wiedervereinigung meistens diejenigen, die gewannen. Jetzt konnten sie ihre Position nutzen, um sich selbst endlich wie 'Sieger' aufzuführen. Und Frau Müller war viel zu würdevoll, um sich den neuen Entscheidern anzubiedern."
Witt sagt weiter: "Damals ist zur Wendezeit einfach viel zu viel falsch gelaufen, mit viel zu vielen Menschen, deren Lebensleistungen mit Füßen getreten wurden." Müller arbeitete noch viele Jahre mit Nachwuchsläufern zusammen, sie war ihrer Heimat Chemnitz verbunden und lehnte Angebote aus dem Ausland ab.
Selbst als Rentnerin kam sie oft noch in die Eishalle und verfolgte an der Bande wie Aljona Savchenko und Robin Szolkowy, die seit dem Wochenende wieder gemeinsam in Shows auftreten, zur Weltspitze reiften und fast ein Jahrzehnt mitbestimmten. Müller feilte so manches Mal mit der gebürtigen Ukrainerin an der Sprungtechnik, gab kritische Hinweise und gehörte stets zu den ersten Gratulanten.
Viele Jahrzehnte ist Jutta Müller Lehrmeisterin gewesen und prägte ihre Läufer über den Sport hinaus. "Sie wurde für uns zu einer großartigen Inspiration, für die eigene Leidenschaft zu kämpfen, und zeigte uns, wie man etwas anpackt, was oft ausweglos schien", erzählt Witt. Am 2. November starb die Eis-Ikone in einem Pflegeheim in Bernau bei Berlin.
Transparenzhinweis: In einer ersten Version hatten wir berichtet, dass Jutta Müller in einem Pflegeheim in Chemnitz starb. Das ist falsch. Jutta Müller lebte in einem Pflegeheim in Bernau bei Berlin. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.