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CDU-Kritik an Kretschmer nach Aussagen zu Waffenlieferungen

Selbst Parteifreunde distanzieren sich von Sachsens Regierungschef. Unterstützung kommt dagegen von links und von ganz rechts. Am Dienstag bekräftigte er seine Position.

Von Annette Binninger & Thilo Alexe & Maximilian Helm
 6 Min.
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hält Waffenlieferungen an die Ukraine offenbar für falsch.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hält Waffenlieferungen an die Ukraine offenbar für falsch. © Kahnert/dpa

Düsseldorf. Sächsische CDU-Bundesabgeordnete haben sich in der Frage um Waffenlieferungen an die Ukraine von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) distanziert. Sachsens Regierungschef hatte am Montagabend den offenen Brief mehrerer deutscher Prominenter gegen Waffenlieferungen an die Ukraine verteidigt und war daraufhin von mehreren Seiten heftig kritisiert worden, auch aus seiner eigenen Partei.

Die sächsische Landesgruppe der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag distanzierte sich am Dienstag klar von Kretschmer: "Am vergangenen Donnerstag haben wir im Deutschen Bundestag klar für Waffenlieferungen an die Ukraine gestimmt. Damit teilen wir nicht die Auffassung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer". Die Abgeordneten begrüßten zudem die Ukrainereise ihres Fraktions- und Parteichefs Merz. Die sächsische Union stellt sieben Politikerinnen und Politiker in der Bundestagsfraktion. Vorsitzender der Landesgruppe ist der Zwickauer Parlamentarier Carsten Körber.

Laut BILD hatte Kretschmer am Montagabend in einer gemeinsamen CDU-Präsidiumssitzung in Düsseldorf gesagt: "Der offene Brief an den Kanzler bildet nicht die Mehrheit der veröffentlichten Meinung ab, aber durchaus die Mehrheitsmeinung der Gesellschaft – auch meine."

Gegenüber Sächsische.de sagte Kretschmer am Montagabend, dass viele Menschen die im Brief beschriebenen Bedenken und Sorgen teilten. "Damit muss man sich ernsthaft auseinandersetzen", forderte Kretschmer, der auch CDU-Bundesvize ist. "Bei einer so wichtigen Frage wie Krieg und Frieden, die uns alle betrifft, sollte ein breites Spektrum von Meinungen mit in die Diskussion einbezogen werden."

Als er von CDU-Chef Friedrich Merz in der Fraktionssitzung um seine Meinung gebeten worden sei, habe er die Union aufgefordert, diese Position aufzugreifen und zu berücksichtigen, so Kretschmer. Es gebe Grund, der Ukraine zu helfen, "notfalls" auch mit Waffen. Doch es gehe im Kern darum, "einen Waffenstillstand zu erzwingen und die Souveränität der Ukraine wiederherzustellen", sagte Kretschmer weiter. Russland werde auch nach dem Krieg Realität bleiben.

Laut Teilnehmern soll Merz Kretschmer während der Sitzung klar widersprochen haben: "Wir reden hier offen. Es gibt verschiedene Meinungen. Ich habe eine andere." Kretschmer war schon zuvor wegen zurückhaltenden Äußerungen gegenüber Russlands Präsident Putin in die Kritik geraten. Er hatte sich klar gegen ein Rohstoff-Embargo und Waffenlieferungen ausgesprochen. Dafür war er vom ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk heftig attackiert worden.

Am Dienstag wiederholte er seine Bedenken. Bei einer Regionalkonferenz der sächsischen CDU am Dienstagabend in Wilsdruff bei Dresden nannte er in diesem Zusammenhang Panzer und Haubitzen. "Ich finde, dass wir sehr, sehr gut daran tun, alle Dinge, die damit im Zusammenhang stehen, zu bewerten und zu besprechen", sagte er und nahm dabei auch Bezug auf eine Präsidiumssitzung der Bundes-CDU am Montag.

Gerade bei einem so wichtigen Thema wie Krieg und Frieden sei es richtig, dass alle Meinungen ausgesprochen werden, sagte Kretschmer. "Wir sagen zu Recht, wir dürfen nicht Kriegspartei werden." Nichts sei alternativlos und nichts sei folgenlos. Das Ziel müsse sein, einen Waffenstillstand zu erzwingen. Dafür seien die Sanktionen und die Unterstützungsleistungen da. Kretschmer sprach sich für eine neue Sicherheitsarchitektur aus. "Nur wenn man wehrhaft ist, wenn man stark ist, wird man auch mit so einem Land wie Russland umgehen können (...). Da hilft nur Kraft, nur Stärke, die man aufbringen muss, damit man nicht angreifbar ist."

Kretschmer bezeichnete den Angriff Russlands auf die Ukraine als "furchtbares Verbrechen". Es geben keinen einzigen Grund, diesen Krieg zu verteidigen. Es sei klar, dass der Aggressor Russland sei.

Scharfe Kritik vom sächsischen Koalitionspartner

Schon am Montagabend kam auch Kritik vom Koalitionspartner, via Twitter von Sachsens SPD-Landeschef Henning Homann. Seine Ablehnung gegenüber der Lieferung schwerer Waffen sei "völlig unverständlich". Homann erklärte via Twitter weiter: "Kretschmer spricht nicht für die Koalition in Sachsen. Er ist CDU-Bundesvize und greift so vor allem seinen Vorsitzenden Merz frontal an". Dies sei vor allem ein Problem für Merz und Kretschmer. "Und es nicht gut für Sachsen", so Homann.

Die sächsische SPD unterstütze den "klaren Kurs" von Bundeskanzler Olaf Scholz und der Bundesregierung. Bei der Unterstützung der Ukraine gehe es "übrigens um Haltung und das Abwägen von Verantwortung", so Homann. "Orientierung an kurzfristigen Umfragewerten und Stimmungen sollte nicht Richtschnur von Politik sein, vor allem nicht bei Entscheidungen dieser Tragweite."

Ähnlich kritisch äußerte sich am Dienstag auch der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Frank Müller-Rosentritt. Gegenüber Sächsische.de sagt er: "Es ist ganz einfach. Wenn Russland die Waffen ruhen lässt, gibt es Frieden. Wenn die Ukraine die Waffen ruhen lässt, gibt es die Ukraine nicht mehr. Hier hat Ministerpräsident Kretschmer völlig den Kompass verloren!"

In den Landtagsfraktionen lösten Kretschmers Äußerungen erwartungsgemäß ein geteiltes Echo aus. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Sören Voigt, sagte am Dienstag, er habe in den vergangenen Tagen von Bedenken vieler Menschen angesichts der Beteiligung Deutschlands an Waffenlieferungen erfahren. Andererseits habe er Positionen vernommen, wonach ein Land auch in der Lage sein müsse, sich zu verteidigen. "Ich habe Verständnis für beide Seiten", sagte er und stellte in Aussicht, dass sich die Fraktion mit dem Thema befassen werde.

Unterstützung für Kretschmer von AfD und Linken

AfD-Fraktionschef Jörg Urban signalisierte Unterstützung für den offenen Brief an Scholz, der in der Zeitschrift Emma veröffentlicht wurde: "Wir sind gegen Waffenlieferungen. Wir wollen eine schnelle und friedliche Lösung auf diplomatischem Weg." Wer einen Krieg rasch beenden wolle, tue das nicht mit Waffenlieferungen.

Für die Linke betonte Fraktionschef Rico Gebhardt, er habe den Eindruck, dass momentan nur in einer "militärischen Logik" diskutiert werde. Politik habe aber auch die Aufgabe, über anderes nachzudenken, etwa über Sanktionen und diplomatisches Krisenmanagement. Dies spiele in der Öffentlichkeit derzeit kaum eine Rolle. Im Übrigen habe die Linke im Bundestag gegen Waffenlieferungen gestimmt.

Die grüne Vizefraktionschefin Lucie Hammecke sieht ein Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung. Die Bündnisgrünen unterstützten das – "unter anderem mit der Lieferung schwerer Waffen".

Für die SPD im Landtag zeigte die parlamentarische Geschäftsführerin Sabine Friedel Verständnis für den Impuls der Autoren, einen offenen Brief zu schreiben. Sie schränkte ein: "Für meine Verhältnisse ist diese Haltung aber trotzdem nicht nachvollziehbar." Es mangle an Demut und Verständnis für die Situation. Sie sei froh, dass der Kanzler versuche, ausgleichende Positionen zu finden, "auch wenn es in der öffentlichen Kommunikation oft schwierig ist".