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Jens Hoffmann backt seine Brötchen noch mit Kohle - eine gute Idee?

Bäcker Jens Hoffmann aus der Oberlausitz heizt seinen Ofen bis heute mit Briketts – und ist nun ein kleiner Gewinner der Energiekrise.

Von Henry Berndt
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„Eine fantastische Kruste“: Bäckermeister Jens Hoffmann aus Crostau schwört auf seinen Kohleofen aus dem Jahr 1965.
„Eine fantastische Kruste“: Bäckermeister Jens Hoffmann aus Crostau schwört auf seinen Kohleofen aus dem Jahr 1965. © Matthias Rietschel

Bevor in der Backstube das Licht ausgeht, wird nochmal geheizt. Etwa 30 schwarze Briketts wirft Jens Hoffmann seinem hungrigen Ofen zum Fraß vor, damit der über Nacht wieder auf Temperatur kommt. Und die Nacht ist kurz. Mehr als drei Stunden Schlaf gönnt sich der Bäckermeister seit Jahrzehnten nicht. Gegen 1 Uhr folgt die nächste Ladung Kohle und 4 Uhr der Rest. Sieben und ein halber Eimer. 50 Kilogramm. Jeden Tag, seitdem er denken kann.

Hoffmann ist 59 Jahre alt, trägt einen weißen Kittel und eine weiß-blau karierte Hose. Er ist nicht gerade der emotionale Typ. Oft sagt er Sätze wie: „Was will man machen?“ oder „So ist das halt“, zieht die Augenbrauen hoch und presst die Lippen zusammen, sodass sie unter seinem grauen Schnauzbart verschwinden. Er hat sich dieses Bäckerleben nicht ausgesucht. Damals entschieden noch die Eltern: „Du wirst Bäcker.“ Jetzt, wo er mittendrin ist, zieht er auch durch. 20-Stunden-Arbeitstage ohne Pause sind für ihn keine Seltenheit.

Sachsens letzter Kohle-Bäcker: Dritte Generation

Die Feinbäckerei Hoffmann in Crostau im Oberlausitzer Bergland, 15 Autominuten südlich von Bautzen, ist seit drei Generationen in Familienbesitz. Drei Meisterbriefe von 1933, 1966 und 1988 hängen gerahmt und unter Glas an der Wand gegenüber dem Verkaufstresen. Der Großvater Alfred Hoffmann kaufte das Haus 1940 und übernahm die schon damals bestehende Bäckerei. 1943 musste er in den Krieg und startete 1945 neu. 1975 übergab er die Geschäfte an seinen Sohn Klaus. Bereits zehn Jahre zuvor, 1965, hatte der Großvater die entscheidende Investition für die Zukunft des Familienbetriebs getätigt und einen modernen Kohleofen errichtet. „Backofenfabrik Gustav Schmidt & Söhne“ steht auf der Plakette, die noch immer die weißen Kacheln ziert.

„Gebacken hat mein Opa allerdings nie mit dem Ofen“, erinnert sich Jens Hoffmann. „Wenn er es versucht hat, kam dabei nur Ausschuss heraus.“ Das war auch der Grund, warum sein Vater Klaus nur vier Monate beim Wehrdienst ausharren musste, bevor ihn der Rat des Kreises wieder ins heimische Crostau beorderte, um die Versorgung der Bevölkerung mit Brot und Brötchen zu gewährleisten. Damals gab es in dem Ort wohlgemerkt noch sieben Bäcker. Übriggeblieben ist nur dieser eine.

Die kleine Bäckerei ist die letzte verbliebene im Dorf. Auf die Stammkundschaft kann sich die Familie verlassen.
Die kleine Bäckerei ist die letzte verbliebene im Dorf. Auf die Stammkundschaft kann sich die Familie verlassen. © Matthias Rietschel

Überregional bekannt ist Crostau vor allem für seine Silbermannorgel. Auf der Homepage heißt es: „Touristen können abseits viel befahrener Straßen der Hektik entfliehen und unsere saubere Luft beim Wandern genießen.“ Gegen das idyllische Crostau wirken die anderen beiden Ortsteile Schirgiswalde und Kirschau wie kleine Metropolen. Seit 2010 bilden sie eine gemeinsame Gemeinde.

Früher kamen die Leute drei Mal am Tag

In der Bäckerei Hoffmann ist wie jeden Dienstag und Donnerstag Pfannkuchentag. Die dunklen und schweren Zuckerbomben sind der Renner und haben wenig mit den mit Luft aufgeblasenen Varianten aus der Massenproduktion manch einer Bäckerkette zu tun. Ein Kilo Mischbrot kostet bei Hoffmanns noch 2,50 Euro, ein Stück Zuckerkuchen 75 Cent. Die geheimen Rezepte stammen noch aus Großvaters Zeiten. Zu kaufen gibt es in der Bäckerei auch Fliegenklatschen aus guter alter VEB-Produktion. 50 Cent das Stück.

Hinter der Theke steht Tochter Denice, während Gattin Kerstin in der einzigen Filiale in Kirschau die Stellung hält. Gerade hat sie angerufen. Sie braucht mehr Kuchen. In Crostau ist der Morgenschwung an Stammkundschaft inzwischen durch. Von 12 bis 14 Uhr ist Mittagspause. Früher seien die Leute dreimal am Tag gekommen, sagt der Chef.

Auf dem Ofen schliefen die Kinder

Früh, um die Brötchen zu holen, mittags für das Brot und nachmittags für den Kuchen. Jetzt kämen sie noch einmal, und wenn etwas ausverkauft sei, dann holten sie es eben im nächsten Supermarkt. Ganz in der Nähe sollen bald ein neuer Aldi und ein Edeka eröffnen, weiß er. Wieder zwei Backstraßen mehr. „Ist mir egal“, sagt Hoffmann.

Zum Reden hat er eigentlich gerade gar keine Zeit. Er muss in den Großhandel, neues Mehl holen. Seine Backstube gleicht einem Museum, aber jede der historisch anmutenden Teigrührmaschinen ist noch in Schuss und im Dauerbetrieb. Die Mohnmühle ganz hinten in der Ecke auf dem Tisch stammt noch aus Kriegszeiten. Jeden Sonntag wird Mohn gemahlen.

Die letzte große Investition in den Betrieb war der Ausbau der Backstube direkt nach der Wende. Der frühere Schweinestall wurde zur Kühlzelle, deren Aufgabe bis dahin ein Gewölbekeller übernahm, der heute leer steht. „Wir hatten den Umbau schon seit Mitte der 80er geplant, aber keinen Kredit bekommen“, sagt Hoffmann. Herzstück der Bäckerei ist bis heute der Kohleofen geblieben. Das Vorgängermodell war bis in die 60er-Jahre hinein ein altdeutscher Ofen, in dem Kohlen und Holz noch auf derselben Steinplatte brannten, auf der kurz darauf das Brot gebacken wurde. Obendrauf schliefen die Kinder. Der neue Ofen ist mit zwei Wasserkanistern ausgestattet, die ausreichend warmes Wasser zum Händewaschen und Putzen bieten. Als Kind hat Jens Hoffmann noch in der Backstube in einer Zinkwanne gebadet.

Mittags Kuchen, danach Spanferkel

Der Ofen hat drei Fächer und muss idealerweise ständig auf Temperatur gehalten werden. Bei Arbeitsbeginn nachts geht es bei 220 Grad zunächst mit Brot und Brötchen los. Unten wird angebacken, oben ausgebacken. Etwa 500 Semmeln am Tag kommen hier raus, am Samstag doppelt so viele. „Damit ist unsere Kapazität ausgereizt“, sagt Hoffmann. „Einfach die Temperatur hochdrehen wie beim Elektroherd, ist nicht. Er schafft so viel, wie er schafft.“

Den Kohleofen hat sein Vater 1965 gebaut.
Den Kohleofen hat sein Vater 1965 gebaut. © Matthias Rietschel

Danach folgen die Kuchen, und abends brutzeln in der Restwärme noch diverse Spanferkel für den hauseigenen Partyservice. So wird hier keine Energie verschwendet. „Die stehende Luft bringt eine fantastische Brotkruste und lässt die Kuchenstreusel super knusprig werden“, schwärmt Hoffmann. Triebmittel und andere Chemie seien hier nicht nötig. Jeden Sonntag werde der Ofen gereinigt. Kaputt gehe er nie, und kleinere Reparaturen kann der Bäcker selbst erledigen.

Mit ihrem Kohleofen war die Familie über Jahrzehnte technisch weit vorn – und ist es in gewisser Weise heute wieder. Während die Kollegen unter den derzeit explodierenden Gas- und Strompreisen leiden, kann sich Hoffmann als ein kleiner Gewinner der Energiekrise fühlen, wenngleich die ebenfalls stark gestiegenen Preise für Mehl, Butter und andere Rohstoffe auch an ihm nicht vorbeigehen.

Backen mit Kohle: Ein sachsenweites Unikat

Zwar hat sich auch der Preis für die Kohle innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt – von 8,50 Euro pro Zentner auf jetzt 19 Euro. Dennoch kann er seine Energiekosten immer noch weitaus günstiger und vor allem sicherer kalkulieren als die Konkurrenz. Wer weiß, wo sich über den Herbst und Winter die Gaspreisspirale noch hindreht? Hoffmanns Haus hat nicht mal einen Gasanschluss. Als die Frage im Raum stand, ob die Leitungen hier hoch auf den Crostauer Berg verlegt werden sollten, hatten sich nur die Bewohner von einem der 30 Häuser dafür ausgesprochen.

Mit seinem Kohleofen ist Hoffmann inzwischen sachsenweit eine Seltenheit. Es gibt mindestens noch zwei weitere: Auch die Bäckerei Große in Großenhain und die Bäckerei Bicknäse in Rödern heizen ihre Backöfen mit Kohle.

60 Zentner Kohle mit einer Fuhre

„Wir haben für unsere Bäcker Rahmenverträge mit den großen Energielieferanten abgeschlossen“, sagt Innungs-Geschäftsführerin Manuela Lohse. Der sogenannte „Bäckerstrom“ könne zumindest kurzfristig weiterhelfen. Realistisch müssen die meisten Bäckereien künftig dennoch mit zusätzlichen Kosten von mehreren 10.000 Euro kalkulieren, wobei diese Ausgaben nicht so einfach an die Kundschaft weitergegeben werden können. Wer kauft schon ein Doppelbrötchen für zwei Euro?

Auch Hoffmann musste die Preise zuletzt schon erhöhen, ist aber im Vergleich zur Konkurrenz noch immer unschlagbar günstig. Bei ihm gibt es das Doppelbrötchen noch immer für 45 Cent. „Das liegt allerdings auch daran, dass ich als Einzelkämpfer flexibler bin als Betriebe mit 20 Angestellten“, sagt er. Die Pacht für die Kirschauer Filiale sei überschaubar.

Jens Hoffmann in seinem Verkaufsraum.
Jens Hoffmann in seinem Verkaufsraum. © Matthias Rietschel

Zuletzt warnten Sachsens Bäcker, Konditoren und Fleischer in einem Hilferuf an die Regierung vor einem Handwerkssterben. Die Angst sei groß, hieß es, das eigene Lebenswerk zu verlieren, den Betrieb aufgeben zu müssen. „Unsere Gewerke befinden sich in einem massiven Preiswettbewerb mit dem Lebensmitteleinzelhandel und der industriellen Fertigung. Diesen Preiskampf drohen wir zu verlieren.“

In wenigen Tagen wird Jens Hoffmann mit seinem Hänger neue Kohle holen. Noch bis vor Kurzem ließ er sich die Briketts per Multicar anliefern und jeweils 60 Zentner in den Hof kippen. Das hat dann für acht Wochen gereicht. „Zu dritt haben wir die schnell weggeschaufelt, aber allein bin ich damit fünf Stunden beschäftigt“, sagt Hoffmann. Sein Sohn hat auch mal in der Backstube gelernt, aber nach einem Jahr Arbeit die Nase voll gehabt. Heute wohnt er zwei Stunden entfernt in Brandenburg. Vater Klaus ist seit zwölf Jahren ein Pflegefall und kommt kaum noch aus dem Bett. All das Fett, der Kohlestaub und das Rauchen haben seine Lunge kaputt gemacht. Hoffmanns Mutter Hilde ist dement. Beide Eltern wohnen in der Etage über der Bäckerei und sind ständig auf die Hilfe ihres Sohnes angewiesen.

Die kranken Eltern pflegen - nebenbei

Wie lange all die Rädchen noch ineinandergreifen, ist offen. Ohne Meister Jens Hoffmann läuft in der Bäckerei nichts. Seit dem Beginn seiner Lehre habe er noch nicht einen einzigen Tag krank gefehlt, sagt der 59-Jährige. Drei oder vier Jahre gibt er sich noch, kann sich das aber wohl selbst nicht ganz glauben. Die Handwerkskammer fordert einen Meister in der Backstube – aber wer soll das künftig sein? Der Sohn will nicht, auch die Tochter winkt freundlich ab.

All die alten Maschinen haben unter seiner Führung Bestandsschutz, müssten aber bei einem Wechsel für viel Geld ersetzt werden. „Man wird sehen, wie sich alles entwickelt“, sagt Hoffmann. „Vielleicht wird Bäcker eines Tages wieder ein Zukunftsberuf, wenn die Leute merken, dass das Handwerk gebraucht wird. Heute geht ja jeder mit einem Notenschnitt von 2,5 aufs Gymnasium.“ Über lange Zeit hat er selbst Lehrlinge ausgebildet. Heute bekommt er keine mehr, will sich den Krampf aber auch gar nicht mehr antun.

Überhaupt bleibt es ein Rätsel, wie Hoffmann das alles managt. Aufstehen, wenn andere ins Bett gehen, heizen, Teige kneten, backen, heizen, backen, einkaufen, die Enkel aus dem Kindergarten und der Schule holen, die Frau in der Filiale abholen, bis abends einen Partyservice schmeißen, wieder heizen – und nebenbei die kranken Eltern pflegen. Seine Antwort war zu erwarten: „Es muss ja gehen.“

In einer früheren Version dieses Beitrags war davon die Rede, dass Jens Hoffmann mit seinem Kohleofen vermutlich sachsenweit ein Unikat sei. Es gibt jedoch noch mindestens zwei andere Bäcker, die mit Briketts heizen und nun ebenfalls erwähnt werden.