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"Für mich ist die Solarmodulindustrie schon vor zehn Jahren gestorben"

Eigentlich hat Tim Müller für die Solarindustrie gebrannt. Während dem Solarhersteller Meyer Burger nun die Schließung droht, hat der Physiker im Erzgebirge einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Welchen?

Von Luisa Zenker
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Er hat den größten Batteriespeicher Sachsens mitentwickelt: Geschäftsführer Tim Müller von Tricera
Er hat den größten Batteriespeicher Sachsens mitentwickelt: Geschäftsführer Tim Müller von Tricera © kairospress

Tim Müller stemmt die Türen eines weißen Containers auf. Hinter ihm ragt ein Schrank hervor, gefüllt mit schwarzen, rechteckigen Modulen. Kabel mit grünen, gelben, roten Markierungen sind in regelmäßigen Abständen miteinander verbunden. Ein leichtes Brummen des Lüfters sorgt dafür, dass es nicht zu warm wird.

Hier am Ortsrand von Schneeberg im Erzgebirge findet für den Physiker die Energiewende statt. Es handelt sich bei dem sieben Meter breiten und drei Meter hohen Klotz um nichts anderes als einen Batteriespeicher. Davon hat der 44-Jährige vor Kurzem erst den Größten in Sachsen mitentwickelt. Er ist beinahe dreimal so breit und hoch, wie dieser und steht in Freiberg.

Man merkt dem Batterieexperten schnell an, dass er Ahnung von der Materie hat. Er spricht von den unerlässlichen Lithium-Ionen, als würden sie direkt vor einem schweben. Gut so, hat er doch das Dresdner Unternehmens Tricera mit gegründet, das sich auf Batteriespeicher spezialisiert hat.

Dabei brannte Tim Müller eigentlich einmal für die Solarindustrie. 2005 wurde er von einem Freund wechselte aus der Fahrzeugindustrie dahin und bekam die Chance, eine Forschungsabteilung aufzubauen. "Die Solarbranche geht durch die Decke", sagte man zu ihm. Tim Müller ging zur bayrischen Firma "Belectric", sie haben sich auf den Bau von großen Solarparks konzentriert. "Eine 2001 gegründete Boomfirma des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes", wird Müller später sagen. In Dresden baute er die Abteilung auf mehr als 60 Mitarbeiter aus. "Das waren gute Jahre, das EEG war ein Exportschlager."

Deutschland war das Mekka der Solarindustrie

Doch dann kam alles anders, zwischen 2012 und 2015 wurden die Subventionen stark gestrichen, zum Teil rückwirkend. Die Solarmodulhersteller mussten plötzlich gegen den harten und teilweise unfairen Wettbewerb aus China bestehen.

Ein Solarmodulhersteller nach dem anderen ging pleite. Knapp 80.000 Arbeitsplätze wurden abgebaut. Wenn Tim Müller von der Zeit spricht, hebt sich seine Stimme. " Die Solarindustrie wurde nicht als eine industrielle Basis Deutschlands anerkannt." Es habe der Rückhalt in der Bevölkerung gefehlt – und damit auch aus der Politik. Für ihn war ab diesem Moment die Solarindustrie in Deutschland gestorben. Das Unternehmen

Belectric aber, das ab 2017 zu RWE gehörte, profitierte – wenn auch nur kurzfristig - von den chinesischen Billigmodulen. Konnten sie nun damit doch günstigere Solarparks bauen.

Nach dem Besuch des Batteriespeichers in Schneeberg fährt der Physiker jetzt im Elektroauto nach Dresden zurück. Die Batterie des Fahrzeugs zeigt 37 Prozent an. Tim Müller vertraut ihr. Das sollte er auch, denn der Geschäftsführer hat sich von der Solarindustrie abgewandt und Batteriespeichern gewidmet. Ein Thema, das in der deutschen Energiewende für Tim Müller noch immer zu kurz kommt. Denn neben Windrädern und PV-Anlagen braucht es auch die Speicher. Nicht nur um an dunklen windstillen Januartagen den Strom zu speichern, sondern auch um als Primärregeler einzuspringen. Also um das Netz zu stabilisieren und die Frequenz stabil zu halten. Das, was zurzeit noch die Kohlekraftwerke machen, sollen zukünftig die Container im Nirgendwo austarieren.

Als Belectric erneut übernommen werden sollte, kündigte Tim Müller 2021 seinen Job. Viele andere aus dem Unternehmen taten es ihm gleich. Zufällig trafen sich einige von ihnen kurz darauf wieder - in dem neuen Unternehmen Tricera mit Sitz in Dresden, gegründet von Lars Fallant, Tim Müller und Michael Werner. Ihre Strategie: Der Bau von großen stationären Speichern in ganz Europa. Das Besondere: Die Speicher kommen aus der Automobilindustrie. Der Grund: Sie sind billiger. Von 20 Mitarbeitern ist das Unternehmen auf 90 angewachsen. Die Gesamtleistung des Unternehmens ist von 1,5 Millionen im Jahr 2021 auf 30 Millionen gestiegen. Manche werfen Müller vor, zu riskant zu wachsen. Müller dagegen nennt es Notwendigkeit. Denn ihr Geschäftsmodell hat eine stark wachsende Nische gefunden. Sie geben E-Auto-Batterien ein zweites Leben und verbauen diese in Großspeichern.

Außerdem kaufen sie bekannten Autoherstellern überproduzierte Batterien ab. Um dies im Gleichklang mit dem Wachstum der Elektromobilität zu tun, muss TRICERA stark wachsen. Auch der größte Batteriespeicher Sachsens, den Tricera mit dem Batteriehersteller JT Energy entwickelte, hat so mancher Fahrzeugbatterie ein zweites Leben eingehaucht. Insgesamt sind in dem Megaspeicher die Kapazitäten einer E-Fahrzeugflotte von 600 Autos verbaut.

Die Konkurrenz aus China

Während Tricera-Geschäftsführer Tim Müller derzeit einen noch größeren Batteriespeicher in Sachsen plant, läuft es in der Solarindustrie schon wieder schlecht. Der Schweizer Solarhersteller Meyer Burger hat angedroht, das Freiberger Werk mit 500 Mitarbeitern zu schließen. Der Modulmarkt wird durch Billigimporte aus China überschwemmt. Tim Müller schweigt erst dazu. Dann sagt er doch noch einen Satz: "Für mich ist die Solarmodulindustrie schon vor zehn Jahren gestorben. Die in Deutschland verbliebenen Hersteller haben sich inzwischen Nischen zugewendet und spielen am internationalen Massenmarkt keine Rolle mehr." Weil ihmzufolge die Rahmenbedingungen in China bessere wären. Auch er hat zuletzt ein Solarcarport mit chinesisches PV-Modulen bestückt. Einfach aus Kostengründen.

Doch auch der Batterieentwickler kann China nicht umgehen. Der Grund: Fertigungs- und Lohnkosten. Für ein deutsches Ingenieursgehalt können chinesische Hersteller beispielsweise drei gut ausgebildete chinesische Ingenieure beschäftigen. Der Geschäftsführer war deshalb bereits mehrmals bei dem großen Nachbarn und arbeitet eng mit chinesischen Herstellern zusammen - die Aufgaben werden zwischen deutschen und chinesischen Teams aufgeteilt, die eng miteinander kooperieren. Den Ingenieuren macht die Arbeit Spaß, aber die Herausforderungen dieser Zusammenarbeit seien vielfältig, etwa Sprachbarrieren, Wissenstransfer oder die Zeitumstellung. "Ich fahre da auf Sicht, wir haben noch keine klare Lösung", sagt er. Fachkräftemangel gibt es aber auch an anderer Stelle, zum Beispiel findet er kaum noch jemanden, der für die bisherigen Handwerkerlöhne die harte Außen-Montage übernimmt. Dass aber der Batteriemarkt ganz nach China abwandert, damit rechnet er nicht. Der deutsche Batteriemarkt ist im vergangenen Jahr insgesamt um 62 Prozent gewachsen

"Das ist die Automobilindustrie", sagt Tim Müller überzeugt. Da gebe es mehr Unterstützung aus der Bevölkerung als es bei der Solarindustrie. Er vertraut daher darauf, dass sich die Fehler, die zum Solarsterben geführt haben, nicht noch einmal wiederholen. Der Geschäftsführer biegt jetzt von der Autobahn ab, Dresdens Silhouette glänzt im Sonnenschein. Noch 10 Prozent Akku zeigt das E-Auto an. Das Vertrauen hat sich hier gelohnt.