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Warum Straßenbahnfahrer Wolfgang mit dem 15-jährigen Anton in Dresden streikt

Am Anfang wurde Klimaaktivist Anton Festag von den Straßenbahnfahrern als "Klimakleber" und "Schulschwänzer" beschimpft. Jetzt streiken sie in Dresden gemeinsam.

Von Luisa Zenker
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Freitag ist Streiktag, zumindest für Straßenbahnfahrer Wolfgang Fehring und Klimaschützer Anton Festag. Sie gehen gemeinsam auf die Straße
Freitag ist Streiktag, zumindest für Straßenbahnfahrer Wolfgang Fehring und Klimaschützer Anton Festag. Sie gehen gemeinsam auf die Straße © Matthias Rietschel

Sie könnten Vater und Sohn sein: Wolfgang, 48 Jahre, Straßenbahnfahrer und Gewerkschafter. Anton Festag, 15 Jahre, Schüler und Klimademonstrant. Obwohl sich die beiden kaum kennen, wollen sie an diesem Tag gemeinsam fotografiert werden. Natürlich vor einer Straßenbahn, denn die beiden Dresdner werden Freitagmittag zusammen für eine Verkehrswende streiken. Warum, das wollen sie an diesem Nachmittag erzählen.

Dafür beginnt Anton mit dem Winter vor zwei Jahren. Im Januar 2022 begegneten sich der Straßenbahnfahrer Wolfgang Fehring und Klimaaktivist Anton Festag das erste Mal. Am frühen Morgen, um vier Uhr streikte Wolfgang auf einem Betriebshof in Dresden mit seinen Kollegen für einen besseren Tarifvertrag. Damals verdienten die Dresdner Straßenbahnfahrer so schlecht wie in kaum einer anderen Stadt. Anton stellte sich damals zu ihnen und packte seine Fridays-for-Future-Fahne aus. "Klimakleber" wurde er von einigen Straßenbahnfahrern beschimpft. Der damals 13-Jährige erklärte, dass er sich nicht auf die Straße klebt. Aber dass er trotzdem eine Verkehrswende erreichen will.

Anton redete an dem Vormittag mit mehreren Fahrern, sie suchten nach Gemeinsamkeiten. In die Schule kam Anton dann zu spät, die Ausrede: Die Bahn hat gestreikt. Stimmte ja auch.

Verkehrswende: "Wir fahren zusammen"

Zwei Jahre später sitzen Wolfgang und Anton dann in einem Café. Sie halten eine Petition in der Hand, die sie beide unterschrieben haben: Bessere Arbeitsbedingungen für den Nahverkehr, eine Verdopplung des ÖPNV und Investitionen von mindestens 16 Milliarden Euro in den deutschen Nahverkehr. "Wir fahren zusammen", prangt in grüner Schrift darauf. "Schon jetzt fehlen 80.000 Beschäftigte im ÖPNV", sagt Anton. "Einen guten und verlässlichen ÖPNV wird es nur geben, wenn sich endlich die Arbeitsbedingungen ändern."

Wolfgang nickt. Er wollte schon als Kind Lokführer werden. Vor zwölf Jahren erfüllte er sich dann den Traum, und wechselte von der Telekom zu den Dresdner Verkehrsbetrieben. Es mache einfach Spaß, so ein großes Gefährt durch den Stadtverkehr zu schieben. Wolfgang erzählt von den lächelnden Augen in der Adventszeit, von den quietschenden Schienen, von seiner Lieblingsstrecke durch Weinböhla, den blühenden Gärten auf der Linie vier.

Straßenbahnfahren ist nicht langweilig

Der Dresdner will trotzdem ab Freitag streiken. Dass es dabei nicht nur um Geld geht, macht er schnell klar. Denn der Nahverkehr geht in Rente: 40 Prozent der Bus- und Straßenbahnfahrer in Deutschland sind älter als 55 Jahre, so das Statistische Bundesamt . Der Anteil liegt damit deutlich höher als bei allen Erwerbstätigen in Deutschland. Um die jungen Menschen für die Schiene zu begeistern, müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern. So zumindest sehen es Wolfgang und seine Mitstreiter bei Verdi. Denn nicht nur in Dresden protestieren die Fahrer und Klimaaktivisten, sondern in ganz Deutschland wird am Freitag für eine Verkehrswende gestreikt.

Anton schlürft neben dem Straßenbahnfahrer eine Cola. Der 15-Jährige könnte die nächste Generation im Nahverkehr werden. "Ich glaub’, ich würde lieber etwas Abwechslungsreicheres machen", sagt er leise, mit gesenkten Blick zu Wolfgang, der ihn um mindestens zwei Köpfe überragt. "Viele denken, das ist langweilig, aber das stimmt nicht", erwidert Wolfgang gelassen, der seit November teilweise im Büro arbeitet. Er plant dann die Umleitungen, wenn die Stadt mit Fußballfans oder Konzertgästen überläuft. "Am Schreibtisch kann man auch mal für 20 Sekunden unkonzentriert sein, in der Straßenbahn darf ich nicht abschalten. Ich hab' einen dreimal so langen Bremsweg wie die Autos." Wolfgang findet den Job als Fahrer sehr abwechslungsreich, jeden Tag eine neue Linie, wechselnde Schichten, Verantwortung. "Deshalb will ich die Arbeitsbedingungen verbessern."

Konkret geht es um höhere Löhne; von 3.116 Euro auf 3.436 Euro brutto. Um Urlaub, von 30 auf 33 Tage. Und um eine Mindestzeit zwischen zwei Schichten, denn die wird gern mal auf neun Stunden reduziert. Außerdem kämpft er für den Anspruch eines freien Tages nach mehr als zehn Nachtschichten. "Das ist für den Körper unglaublich belastend", weiß Wolfgang, der in seiner Belegschaft einen Krankenstand von 10 Prozent täglich bemerkt. Nicht ungewöhnlich, bei nur einem freien Wochenende im Monat.

600 Euro mehr: Ungleiche Löhne in Ost und West

Wolfgang ist noch eine Sache wichtig: der Arbeitsweg. Wenn er früh um 3 die Straßenbahn aus dem DVB-Betriebshof Trachenberge in den neuen Tag starten soll, muss er mit dem Auto anreisen. "Dann fährt ja noch nicht viel", sagt er schulterzuckend. Endet seine Schicht gegen 12 Uhr am Postplatz, hat er noch einen weiten Weg vor sich, um sein Auto wieder in Trachenberge zu erreichen. Dafür gondelt er nochmal eine halbe Stunde durch die Stadt, um von dort nach Hause zu fahren. "Das sollte Arbeitszeit sein", fordert er, der sich einen gesamten Tarifvertrag für alle Straßen- und Busfahrer wünscht. Deutschlandweit. Denn in Baden-Württemberg verdient ein Fahrer laut Brutto-Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit 600 Euro mehr als in Sachsen.

Das Gehalt der Dresdner Fahrer liegt bundesweit im Mittelfeld, ab März gibt es nochmal einen großen Sprung nach oben. Dann erhalten allein Einsteiger als Bus- oder Bahnfahrer einschließlich einer Jahressonderzahlung 39.500 Euro pro Jahr. Doch Wolfgang Fehring weiß, wenn sie jetzt nicht mit den Fahrzeugführern in den anderen Bundesländern mithalten, landen sie schnell wieder auf den hinteren Plätzen. So wie es in die letzten zwanzig Jahren der Fall war.

Das klingt nach einem Widerspruch. Bedeuten doch höhere Löhne gleichzeitig höhere Ticketpreise, die wiederum zu einem Ausbleiben der Fahrgäste führen. Wolfgang schüttelt den Kopf. "Die Tickets sind doch gerade erst gesunken, obwohl wir Lohnerhöhungen hatten." Damit spricht er das Deutschlandticket an, das 25 Euro günstiger ist, als das monatliche Aboticket der DVB. Ein Nahverkehrsunternehmen kann ihm zufolge nicht gewinnorientiert wirtschaften. "Dann würden wir ja nur die gut befahrenen Strecken durch die Innenstadt nehmen." Deshalb brauche es mehr staatliche Unterstützung.

"Die sind ja doch ganz vernünftig"

Klimaneutrale Mobilität auf dem Land und in der Stadt, sowie gerechte Arbeitsbedingungen, so lassen sich die Forderungen der beiden wohl zusammenfassen. "Bei der Verkehrswende kommt halt alles zusammen", sagt Anton. Wolfgang lächelt ihm zu, hält gern die Fahne von Fridays-for-Future in der Hand. Dem Vater von vier Kindern war die Umwelt sowie noch nie egal. Als junger Erwachsener setzte er sich gegen Atomkraft ein. Überzeugen mussten die Klimaaktivisten ihn nicht, vielmehr musste er seine Kollegen überzeugen. Einen Großteil hat er nach vielen Gesprächsstunden hinter sich versammelt. Der Fahrer war vor allem von der Organisationstruktur innerhalb von Fridays for Future begeistert.

Mancher Kollege sagte zu ihm: "Die sind ja doch ganz vernünftig." Anton kann da nur erwidern: "Wir wollen den Menschen ja nichts verbieten, sondern sie überzeugen, dass es auch anders geht." Sie beide fordern klimaneutrale Mobilität, und das heißt für sie eben nicht nur E-Mobilität. "Sondern weniger motorisierten Individualverkehr", so Wolfgang. "Und mehr Nahverkehr, das geht eben nur mit besseren Arbeitsbedingungen", fügt Anton hinzu. Freitagmittag treffen sie sich vor der Staatskanzlei, und wollen den Politiker um 13.30 Uhr die Petition mit 80.000 Unterschriften überreichen. Mal sehen, wer sie entgegennehmen wird, denn die Landesregierung ist sich da noch nicht einig.