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Was tun gegen den Medikamentenmangel in Sachsen?

Der Medikamentenmangel hat sich in den letzten Wochen verschärft. Sachsens Apothekenverband und Ministerpräsident Kretschmer suchen nach Lösungen.

Von Lucy Krille
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Ministerpräsident Michael Kretschmer machte sich am Mittwoch ein Bild von der angespannten Lage in den sächsischen Apotheken. Dort fehlen seit Monaten Medikamente.
Ministerpräsident Michael Kretschmer machte sich am Mittwoch ein Bild von der angespannten Lage in den sächsischen Apotheken. Dort fehlen seit Monaten Medikamente. © dpa/Robert Michael

Apotheken-Chefin Maret Hoffmann schaut die Paracetamol-Tabletten in ihrer Hand an wie einen Schatz. „Ich freue mich gerade so sehr, dass wir Ware bekommen haben“, sagt Hoffmann. Heute seien endlich die lang ersehnten Schmerzmittel gekommen. In den letzten Monaten sorgten solche Lieferungen für Jubel in der Apotheke im Ärztehaus Mickten in Dresden. Denn die bestellten Medikamente kommen oft erst Wochen später oder gar nicht. Die Versorgungsprobleme wurden das erste Mal während der Corona-Pandemie offensichtlich, als Lieferketten zusammenbrachen. In den letzten Wochen hat sich der Medikamentenmangel durch die Grippewelle noch einmal massiv verschärft, sagt Hoffmann.

Doch nicht nur Wirkstoffe wie Paracetamol oder Ibuprofen fehlen. Es mangelt auch an antibiotischen Säften, Blutdrucksenkern, Psychopharmaka oder Magen-Darm-Medikamenten. „Die Apotheken müssen diese unverschuldete Mangelsituation nun ausbaden“, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer bei einem Besuch in der Dresdner Apotheke. Schon im vergangenen Sommer häuften sich die Klagen von Apotheken, die den Kunden und Kundinnen nicht das gewünschte Medikament verkaufen konnten.

In manchen Apotheken wird bereits in kleinen Mengen selbst Fiebersaft angerührt. Doch die kosten wegen des hohen Aufwands deutlich mehr als Medikamente aus dem Großhandel. „Selber herstellen ist kein Dauerzustand“, sagt Apothekerin Hoffmann, die zwar Vorbereitungen getroffen hat, bisher aber noch keine Fieber- oder Hustensäfte hergestellt hat. Denn das benötige zu viel Zeit. Zudem fehlen ihr auch die Wirkstoffe und Verpackungen.

Kretschmer: "Bei Medikamenten weniger auf Preis schauen"

Eine Regelung, die während der Corona-Pandemie von der Bundesregierung eingeführt wurde, hilft den Apotheken immerhin kurzfristig: die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dürfen nun auch Medikamente mit einem ähnlichen Wirkstoff oder dem gleichen Wirkstoff, aber einer anderen Packungsgröße als auf dem Rezept steht, verkaufen. Vertreter vom sächsischen Apothekenverband fordern, dass diese Regelung Gesetz wird.

Doch um den Medikamentenmangel in den Griff zu bekommen, da sind sich Ministerpräsident und Apothekenvertreter einig, müssen langfristige Lösungen her. Kretschmer sieht das größte Übel in den Rabattverträgen, die Arzneihersteller und Krankenkassen abschließen. Die Beträge, die die Krankenkassen zuzahlen, sind oft niedriger als in anderen europäischen Ländern, weshalb Deutschland für Hersteller wenig attraktiv ist.

„Die Verträge müssen nicht nach dem Kostenfaktor, sondern nach Lieferbarkeit abgeschlossen werden“, fordert Kretschmer in Richtung der Gesundheitsminister. Deutschland sei einmal die „Apotheke der Welt“ gewesen. Nun kaufen Menschen in den Nachbarländern die Arznei.

Medikamente künftig in Sachsen herstellen?

Thomas Dittrich, Vorsitzender des sächsischen und des deutschen Apothekenverbandes stimmt Kretschmer zu, dass die Versorgungssicherheit oberste Priorität habe. Deshalb müsste man auch mit mehreren Herstellern gleichzeitig Verträge abschließen. Doch damit ist der Mangel an Medikamenten nicht gelöst. Vielmehr wünscht sich Dittrich, wieder mehr Medikamente in Europa zu produzieren, vielleicht sogar in Sachsen, wo die Arzneiherstellung eine lange Tradition habe.

Derzeit ist Europa abhängig von China oder Indien, die die Medikamente herstellen – und damit auch die Macht über die Preise haben. „Es sollte aber nicht der gewinnen, der am meisten zahlt“, sagt Enno Bernzen, Vorstand des sächsischen Apothekerverbundes. Deshalb fordert er von der Politik, „europäisch tätig zu werden“.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte im Dezember seine Lösungsvorschläge gegen den Medikamentenmangel vor. Demnach sollten Krankenkassen künftig mehr an die Hersteller zahlen, ähnlich wie es Kretschmer fordert.

Michael Kretschmer, Thomas Dittrich, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes, und Apothekerin Maret Hoffmann werfen einen Blick in die teils leeren Medikamentenschränke.
Michael Kretschmer, Thomas Dittrich, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes, und Apothekerin Maret Hoffmann werfen einen Blick in die teils leeren Medikamentenschränke. © dpa

Apotheken hoffen auf Entspannung im Frühjahr

Am Dienstag verkündete der Spitzenverband der Krankenkassen, die Festpreise für Medikamente für drei Monate auszusetzen, so dass Krankenkassen mehr als den sonst üblichen Preis zahlen. Die AOK übernahm für Kinder bereits im Dezember Mehrkosten für Fiebersäfte, die über dem Festpreis liegen. Der sächsische Apothekenverband will nun mit der AOK Plus über weitere Lösungen beraten.

Dass der Festpreis ausgesetzt wurde, ist für den Apothekenverband keine Lösung auf Dauer, aber es nehme immerhin erst einmal Druck aus dem Kessel. Für langfristige Lösungen sei die Politik weiter gefordert. Lauterbach will neben der Medikamentenproduktion in Europa etwa eine Art Frühwarnsystem einrichten.

Die Apotheken hoffen auf eine Perspektive. Maret Hoffmann sorgt sich, wie es in Zukunft weitergehen soll. „Wir müssen immer sicher sein können, dass genug Medikamente auf Lager sind“, sagt sie. Entspannung erwartet sie erst im Frühjahr. Doch die nächste Grippewelle wird folgen.