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Familienkompass

Was das Gebirge so kinderfreundlich macht

Zwischen Hochwald und Lausche leben die zufriedensten Familien im Kreis Görlitz. Das liegt nicht nur an viel Grün und frischer Luft. Eine Spurensuche in Jonsdorf.

Von Jana Ulbrich
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Katharina Kretschmar mit ihren Söhnen Lenny (6) und Willy (9). Die Jonsdorferin ist Erzieherin in der Kita im Ort, in der alle Jonsdorfer Kinder von der Krippe bis zum Hort betreut werden.
Katharina Kretschmar mit ihren Söhnen Lenny (6) und Willy (9). Die Jonsdorferin ist Erzieherin in der Kita im Ort, in der alle Jonsdorfer Kinder von der Krippe bis zum Hort betreut werden. © Matthias Weber

Was haben die älteren Jonsdorfer nicht alle getuschelt hinter vorgehaltener Hand: Die Bürgermeisterin kriegt ein Kind! Und ist doch gerade erst frisch im Amt. Kati Wenzel schuckelt den Kinderwagen durchs Dorf und schmunzelt. Der kleine Willi schlummert selig. Er ist jetzt neun Wochen alt - und die Jonsdorfer tuscheln nicht mehr. Sie staunen.

Kati Wenzel strahlt voller Elan: Bereits kurz nach Willis Geburt hat sie schon wieder in ihrem Amtszimmer gesessen. "In Jonsdorf geht das", sagt die 38-Jährige mit entwaffnendem Lächeln. In Jonsdorf geht offenbar so manches und geht es nach den Ergebnissen des großen SZ-Familienkompass, so leben hier die zufriedensten Eltern des ganzen Landkreises. 

Im sachsenweiten Vergleich haben Eltern aus dem Zittauer Gebirge ihrem Lebensumfeld die drittbesten Noten gegeben - nur in Tharandt/Rabenau und Sebnitz waren sie noch besser. Vor allem das Wohnumfeld, die Verkehrssituation, die Kinderbetreuung und der Punkt "Wohlbefinden" werden im Zittauer Gebirge viel besser bewertet als im landesweiten Durchschnitt. 

Jonsdorfs Bürgermeisterin Kati Wenzel (Freie Wähler) macht vor, wie Familie und Beruf zu vereinbaren sind. Ihr Sohn Theo ist vier Jahre alt, der kleine Willi erst neun Wochen. In die Betreuung teilt sie sich mit ihrem Mann und den Großeltern.
Jonsdorfs Bürgermeisterin Kati Wenzel (Freie Wähler) macht vor, wie Familie und Beruf zu vereinbaren sind. Ihr Sohn Theo ist vier Jahre alt, der kleine Willi erst neun Wochen. In die Betreuung teilt sie sich mit ihrem Mann und den Großeltern. © Matthias Weber
Renate Lösel, Mitarbeiterin in der Jonsdorfer Touristinformation, kann das neue Gütesiegel am Haus anbringen. Seit Jahren erfüllt die Gemeinde alle Kriterien für das Zertifikat "Familienfreundlicher Ort". 
Renate Lösel, Mitarbeiterin in der Jonsdorfer Touristinformation, kann das neue Gütesiegel am Haus anbringen. Seit Jahren erfüllt die Gemeinde alle Kriterien für das Zertifikat "Familienfreundlicher Ort".  © Matthias Weber
Die Jonsdorfer Grundschule soll komplett saniert werden. Das ist das nächste große Projekt, das die Gemeinde trotz klammer Kassen angehen will.
Die Jonsdorfer Grundschule soll komplett saniert werden. Das ist das nächste große Projekt, das die Gemeinde trotz klammer Kassen angehen will. © Matthias Weber

Katharina Kretschmar hat an diesem Nachmittag Spätdienst im Jonsdorfer Kinderhaus. Sie sitzt mit den Kleinsten am Vespertisch, als Lenny (6) und Willy (9) ins Zimmer stürmen und ihre Mutter umarmen. Die beiden Jungs kommen ebenfalls täglich ins Kinderhaus - so wie alle Jonsdorfer Kinder vom Krippenalter bis zum Hort.

"Das ist doch schön", sagt Katharina Kretschmar. "Und für uns ist es perfekt." Jonsdorf sei ein traumhafter Ort zum Wohnen, schwärmt die 35-Jährige. Und dass sie auch gleich noch hier im Ort arbeiten könne, sei ideal. Katharina Kretschmar empfindet das als großes Privileg. Sie schwärmt von den vielen Möglichkeiten, die Eltern und Kinder hier haben. "Mit den Kita-Kindern sind wir ganz viel draußen, im Wald, im Kurpark, auf dem Trimm-Dich-Pfad, auf Wanderung."

Und in Kürze auch im neuen Verkehrsgarten. Es fehlt nur noch der Zaun, dann wird die neue Attraktion gleich neben der Kita eingeweiht. Die Gemeinde hat die Fläche zur Verfügung gestellt, die Awo als Träger der Kita die Fahrzeuge angeschafft. Zusammenarbeit völlig unkompliziert. 

Gerade wird Theo abgeholt, der vierjährige Sohn der Bürgermeisterin - von Oma und Opa. Auch das, weiß Katharina Kretschmar, ist für viele Jonsdorfer ein unschätzbarer Vorteil: dass hier noch viele Familien in drei oder sogar vier Generationen in einem Haus oder nah beieinander im Ort wohnen, dass Familien und Nachbarn sich helfen. 

"Ohne die große Hilfe von meinem Mann und den Großeltern würde das auch bei mir nicht gehen", gibt Kati Wenzel zu. "Aber mit guter Organisation klappt alles." Zum Termin in der Touristinformation, zu dem sie gerade auf dem Weg ist, kann sie den kleinen Willi ja mitnehmen - so schön, wie der immer noch schläft.

Seit letztem Dezember ist Kati Wenzel Bürgermeisterin. Sie ist die erste junge Frau nach einer Reihe älterer Herren im Chefsessel des Gemeindeamts. Und auch der Gemeinderat hat sich nach der Kommunalwahl im Mai 2019 merklich verjüngt. Die meisten der Gemeinderäte sind selbst Eltern.

"Wir leben, was wir beschließen", so bringt es Titus Koch - Gemeinderat seit 2019 und Vater von drei Kindern zwischen sechs und 14 Jahren - auf den Punkt. Der 45-Jährige ist gerade von der Arbeit gekommen. Vor 14 Jahren haben er und seine Frau ein Eigenheim am Steinbüschelweg gekauft, Schmetterlingshaus und Eishalle gleich nebenan, die Schwiegereltern um die Ecke. 

Koch schätzt das Zusammengehörigkeitsgefühl und das breite Vereinsleben. Seine Kinder gehen zum Schwimmtraining, zum Mountain-Biken und zum Skilanglaufen. Sie könnten sich in Jonsdorf auch noch fürs Fußballspielen oder Eishockey entscheiden. Und jeden Dienstagnachmittag ist Kindersport für die Jüngsten - die Eltern können mitmachen.

"Wir empfinden das als großen Luxus, hier zu leben", sagt er: in dieser schönen Natur, mit den Hol-, Bringe- und Betreuungsdiensten von Oma und Opa, mit dem schönen Kinderhaus und der Grundschule im Ort. Das Grundschulgebäude, einen typischen DDR-Plattenbau, hat die Gemeinde erst letztes Jahr von der Schkola übernommen. Die Schule soll jetzt saniert werden - das nächste große Projekt, dass die Jonsdorfer angehen wollen.

Obwohl das finanziell schwierig wird: Die Gemeinde ist knapp bei Kasse, gerade geht es darum, die kommunale Kur- und Tourismusgesellschaft vor der drohenden Insolvenz und die Eishalle vor der Schließung zu retten. "Klar müssen wir uns immer überlegen, ob wir das Geld, das wir überhaupt haben, in die Straßenbeleuchtung oder den Spielplatz stecken", beschreibt Titus Koch das Dilemma. Aber bisher, sagt er, hätten sie sich im Gemeinderat immer auf eine gute Lösung geeinigt.

Sich im Gemeinderat zu einigen, dürfte für die Jonsdorfer auch nicht allzu schwer sein: Alle Gemeinderäte, einschließlich der Bürgermeisterin, gehören einer gemeinsamen Freien Wählervereinigung an. Parteidisziplin? Fraktionszwang? "Was ist das?", fragt Titus Koch und grinst.

Im Gemeinderat hat Koch vor Kurzem einen Antrag eingebracht: einen Protestbrief an das Landratsamt in Görlitz, weil die Verkehrsplaner des Kreises das Busnetz im Gebirge ausdünnen wollen. "Das werden wir uns nicht gefallen lassen", sagt der dreifache Vater. Auch seine Kinder sind schließlich auf den Schulbus nach Zittau angewiesen. Den Brief haben alle unterschrieben. 

An der Jonsdorfer Touristinformation kann Mitarbeiterin Renate Lösel das alte Schild neben der Eingangstür auswechseln. Das neue hat ihr die Bürgermeisterin gerade gebracht: Bis 2023 kann sich Jonsdorf weiter offiziell "familienfreundlicher Ort" nennen. Der Gebirgsort ist der einzige in der ganzen Oberlausitz, der das Gütesiegel tragen kann. 

Die Bürgermeisterin ist zurück am Gemeindeamt. Auf einer der Bänke am Spielplatz um die Ecke gönnt sich Kati Wenzel eine kurze Verschnaufpause. Lange wird der kleine Willi nicht mehr schlafen. Der Spielplatz bekommt im November ein großes Kletternetz und drei Bewegungselemente für größere Kinder. Die Gemeinderäte hatten festgestellt, dass dem Spielplatz bisher noch eine Herausforderung für Schulkinder fehlt. 

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