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Die Eroberung der Welt hat gerade erst begonnen

Lange war die Slowakei für Stahl, Schnaps und Käse bekannt. Inzwischen ist Bratislava eine Startup-Metropole. Teil 3 der Serie "Wie geht's, Brüder?".

Von Olaf Kittel
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Gründerin Andrea Basilova mit Kollegen dort, wo sich auch slowakische Startup-Leute besonders gern aufhalten: auf dem Sofa.
Gründerin Andrea Basilova mit Kollegen dort, wo sich auch slowakische Startup-Leute besonders gern aufhalten: auf dem Sofa. © Matthias Schumann

Auch slowakische Nerds lieben Sofas. Deshalb stehen die roten Teile schon im Eingangsbereich des schicken Gründerzentrums der Uni Bratislava. Locker und gut gelaunt kommen die jungen Mitarbeiter von Sensoneo zum Fototermin und lassen sich in die Sitzmöbel fallen. Die großen Glasscheiben im Erdgeschoss geben den Blick frei auf andere Uni-Gebäude ringsherum. Die sehen aus, als seien sie zum Abriss freigegeben.

Die Leute vom Startup übersehen das, sie müssen sich nicht mit den Problemen der unterfinanzierten Uni herumschlagen. Sie gehören zu einer noch kleinen, aber rasch wachsenden Firma, die sich nicht nur in Bratislava einen Namen gemacht hat. Andrea Basilova, 36, stellte die Firma mit ihrem Mann auf die Beine, sie weiß genau, wo sie welche Hilfen herbekommt. Und, nicht gerade selbstverständlich bei Startups, sie ist Kommunikationsprofi. Sie spricht fließend Englisch und Französisch und nimmt sich viel Zeit, wenn Journalisten zu Besuch kommen.

Die kurze Geschichte von Sensoneo geht so: Die slowakische Stadt Nitra suchte 2014 eine Firma, die ihr helfen sollte, den Füllstand von Müllcontainern zu messen, sie wollte Kosten sparen. Sie fand in ganz Europa keine. Andrea Basilova hörte zufällig von der ergebnislosen Suche und ließ in der IT-Firma ihres Mannes Sensoren für solche Zwecke entwickeln, damals noch ziemlich klobige Dinger. Nitra war vom Ergebnis begeistert. Das kleine Nebengeschäft der IT-Firma kam ins Finale der Startup Awards Slowakei, erste Investoren zeigten sich interessiert.

Andrea Basilova und ihr 23 köpfiges Team arbeiten vor allem im Science Park nahe der Universität.
Andrea Basilova und ihr 23 köpfiges Team arbeiten vor allem im Science Park nahe der Universität. © Matthias Schumann

Schnell wurde nun dem Ehepaar das Potenzial ihrer Idee klar. Andrea Basilovas Mann gab seine IT-Firma auf, 2017 gründeten sie zusammen Sensoneo. Inzwischen verfügen sie über sehr kleine Sensoren, die Müllentsorger in ihren Tonnen aller Größen bis hin zu den größten Unterflurcontainern einsetzen können. Eine Software erlaubt es, auf einem Bildschirm den Füllstand aller Behälter einer Stadt zu überwachen. 

Die Container blinken rot, wenn sie fast voll sind. Dann können die Tourenpläne der Müllfahrzeuge täglich neu nach dem Füllstand zusammengestellt werden. Sensoneo verspricht seinen Kunden eine Kostensenkung von 20 bis 30 Prozent und zufriedenere Bürger, denen überquellende Mülltonnen erspart bleiben. Im nächsten Schritt sollen die täglichen Touren nicht mehr vom Disponenten, sondern vom Computer aufgestellt werden.

Diese Lösung mit den Sensoren und einer App verkaufte Sensoneo dann innerhalb eines Jahres in 30 Länder der Welt, darunter in die USA, nach Australien, Großbritannien, Russland, Dubai. Deutschland fehlte bisher noch auf der Kundenliste, der Sprachkenntnisse wegen. Gerade erst hat die Firma deshalb einen Sales Manager mit deutschen Wurzeln eingestellt und in Regensburg prompt den ersten Kunden gewonnen.

In der Slowakei hat sich inzwischen eine bemerkenswerte Startup-Kultur entwickelt, vor allem in Bratislava. Man schätzt deren Zahl auf etwa 500, nicht wenig bei gut fünf Millionen Einwohnern, in der Hauptstadt leben nur 440.000 Menschen. Zumal die Slowakei früher gerade mal als Stahl-, Schnaps- und Käseproduzent aufgefallen war. 

Inzwischen wird Bratislava neben Prag, Krakau und Budapest als Startup-Metropole im östlichen Mitteleuropa eingeordnet. Das bekannteste junge Unternehmen ist sicher Eset, die weltweit führende IT-Sicherheitsfirma. Nur weiß kaum jemand, dass die Antivirenprogramme auf dem Computer aus der Slowakei stammen. Eset hat heute 1 600 Mitarbeiter und ist längst kein Startup mehr. Anderes Beispiel: Die Firma Aeromobil arbeitet seit Jahren ernsthaft am fliegenden Auto und bereitet inzwischen die Serienfertigung vor.

Dabei hatte sich die Slowakei in den 90er Jahren noch sehr schwergetan unter der Regierung Mečiar. Die Textil- und die Schwerindustrie brachen zusammen, eine Bankenkrise erschütterte das Land. Aber mit einer neuen Koalitionsregierung nahm das Land ab 1998 Fahrt auf. Die Privatisierungen kamen voran, US-Steel übernahm die großen Stahlwerke bei Košice. Das Arbeits- und das Steuerrecht wurden reformiert, eine 19-prozentige Flattax eingeführt. 

Diese Sensoren sollen die Abfallentsorgung revolutionieren: Sie messen den Füllstand der Container und geben dem Entsorger Bescheid, wenn sie voll sind. 
Diese Sensoren sollen die Abfallentsorgung revolutionieren: Sie messen den Füllstand der Container und geben dem Entsorger Bescheid, wenn sie voll sind.  © Matthias Schumann

Letztlich erwies sich der EU-Beitritt als entscheidende Initialzündung, sie brachte die dringend nötige Rechtssicherheit für die Unternehmen, meint heute Markus Halt von der Deutsch-Slowakischen Handelskammer, der die Entwicklung des Landes seit vielen Jahren in Bratislava verfolgt. „Von 2004 bis 2007 gab es dann eine regelrechte Investitionswelle.“ VW, schon seit 1991 vor Ort, baute weiter auf und produziert in einem riesigen Werk am Stadtrand von Bratislava die kleinsten Typen und die größten SUV. Auch Porsche und Škoda werden hier hergestellt.

Mit 14.000 Beschäftigten ist VW der größte Arbeitgeber des Landes. Auch Peugeot und Kia bauten neue Autowerke. Heute wird in dem kleinen Land eine Million Pkw im Jahr hergestellt. Die Slowakei verfügt damit weltweit über die größte Autoproduktion pro Kopf der Bevölkerung. Allerdings haben die heimischen Köpfe wenig davon - nur jeder hundertste Pkw wird in der Slowakei verkauft.

Markus Halt verweist aber auch darauf, dass die starke Konzentration auf die Autoproduktion ihre Schattenseiten hat. Mit großer Sorge verfolgen die Slowaken alle Nachrichten aus Deutschland von Diesel-, Absatz- und sonstigen Krisen. Ein Personalabbauprogramm läuft bei VW bereits.

Andrea Basilova kennt solche Sorgen nicht. Im Gegenteil. Wie IT-Firmen fast überall auf der Welt ist ihr Hauptproblem, gute junge Fachkräfte zu finden. Insofern hilft es, dass die Firma ihren Sitz auf dem Uni-Gelände hat. Aber leicht ist es trotzdem nicht. Wien ist um die Ecke und überhaupt zieht es junge, gut ausgebildete Slowaken ins nahe und ferne Ausland, des Geldes und der Chancen wegen. 

Deshalb spricht Sensoneo jetzt immer öfter junge Fachleute direkt im Ausland an und versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen. Ihren besten Entwicklern zahlt Andrea Basilova bereits über 4.000 Euro, bei etwa 1.000 Euro liegt der Durchschnittslohn im Land. Mit einem solchen Gehalt und den im Vergleich zu Westeuropa niedrigen Preisen lässt es sich in Bratislava gut leben.

Michal Malik, der neue Sales Manager mit den deutschen Wurzeln, verweist auf einen weiteren Aspekt, der für junge Mitarbeiter wichtig ist: Das Klima muss stimmen. Locker soll es zugehen, und familienfreundlich. „Das passt bei Sensoneo. Wenn ich nachmittags mein Kind aus der Kita abholen muss, guckt niemand schief. Schon gar nicht die Chefin“.

Das Unternehmen hat trotz seiner jungen Firmengeschichte bereits einige Auszeichnungen erhalten.
Das Unternehmen hat trotz seiner jungen Firmengeschichte bereits einige Auszeichnungen erhalten. © Matthias Schumann

Kein Wunder, Andrea Basilova hat selbst drei Kinder, drei, fünf und sechs Jahre alt. Wie sie das hinbekommt mit ihrem Job als Firmengründerin? „Ich habe eine feste Arbeitszeit von 9 bis 16 Uhr. Danach bin ich für die Kinder da. Abends, wenn sie im Bett liegen, geht es allerdings noch zwei, drei Stunden weiter.“

Sensoneo hat die Gründungsphase jedenfalls gut überstanden. In einem Großraumbüro sind bereits erstaunlich viele Preise ausgestellt, die die junge Firma gewonnen hat. Besonders stolz sind sie hier auf den 1. Platz beim Microsoft Awards Slowakei. Das macht der Mannschaft Mut. Aber auch den Investoren, die in der Slowakei leider nicht so finanzkräftig sind wie anderswo. 1,2 Millionen Euro haben sie dennoch gerade eingesammelt, damit kann es weitergehen und investiert werden. Denn die Eroberung der Welt, dazu ist das Team fest entschlossen, hat gerade erst begonnen. Es wird nur nicht leichter, denn inzwischen gibt es auch Konkurrenz auf dem Markt mit den Müll-Sensoren.

Über einen Erfolg freut sich Andrea Basilova besonders. Die Slowakei ist ja ein kleines Land, viele Menschen in der großen weiten Welt wissen kaum, wo dieses Land liegt, gern wird es auch mit Slowenien verwechselt. Immerhin ihre Kunden wissen inzwischen ganz genau, wo Sensoneo zu finden ist. Und sie nehmen die Firma ernst, weil sie was kann.

Andrea Basilova jedenfalls hat schon lange nicht mehr gehört: „Ach, die aus dem Osten.“

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