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Corona: "Eine Entschleunigung zur rechten Zeit"

Mit 29 wurde Christian Kühn zum jüngsten Intendanten Deutschlands. Jahrelang arbeitete er Tag und Nacht, bis ihn die Corona-Zwangspause erdete.

Von Henry Berndt
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Christian Kühn freut sich auf den Neustart in der Comödie und hat 2021 noch viel vor.
Christian Kühn freut sich auf den Neustart in der Comödie und hat 2021 noch viel vor. © Marion Doering

Dresden. Kurzarbeit und Christian Kühn. Es ist noch nicht allzu lange her, da wäre es absurd gewesen, diese zwei Wörter in einen Satz zu packen. Kühn, das war der Wunderknabe, der für die Comödie Kassenschlager am Fließband produzierte, die Zahl der Besucher verdoppelte, nebenbei selbst auf der Bühne stand und die kompletten Spielzeiten für das Theater plante.

Mit 29 Jahren war Kühn 2012 zum jüngsten Intendanten Deutschlands erkoren worden. Eine Kulturkarriere im Zeitraffer für den gebürtigen Chemnitzer, der als genialer Shootingstar des Boulevardtheaters bejubelt wurde.

Wahrscheinlich hätte sich daran bis auf Weiteres wenig geändert, wäre da nicht die Corona-Krise mit ihren Lockdowns gekommen. Ende Oktober 2020 wurde auch in der Dresdner Comödie der Betrieb erneut heruntergefahren. Die Festangestellten gingen in Kurzarbeit - auch Christian Kühn. Man habe einfach nicht die finanziellen Mittel, um einfach ins Blaue zu proben.

"Bis dahin hatte ich immer großen Wert darauf gelegt, die Spielzeit für ein ganzes Jahr vorauszuplanen und im Vorverkauf zu sein", sagt er. "Und jetzt mussten wir auf einmal von Woche zu Woche denken."

Das Sommertheater in Schloss Übigau war auch im Corona-Jahr 2020 ein großer Erfolg.
Das Sommertheater in Schloss Übigau war auch im Corona-Jahr 2020 ein großer Erfolg. © Robert Jentzsch/Comödie

In den vergangenen Monaten wurde eine Veranstaltung nach der anderen verschoben. Im Jahr 2020 traf es unter anderem drei Premieren. Eine besondere Herausforderung für ein nicht subventioniertes Privattheater, das ausschließlich auf freiberufliche Schauspieler setzt. Ab dieser Woche wollten sich Hugo Egon Balder und Jochen Busse als "Komplexe Väter" beweisen. Das tun sie nun frühestens im Herbst.

Beinahe könnte man vergessen, dass 2020 trotzdem reichlich Livekultur zu bieten hatte. Das Sommertheater der Comödie auf Schloss Übigau lief trotz Abstandsregeln rund. Drinnen feierte dann im September das Stück "Zwei wie Bonnie und Clyde" Premiere, in dem Christian Kühn eine der Hauptrollen spielt.

Wenige Tage später hatte er dann auf einmal etwas im Überfluss, das er bis dahin kaum kannte: Freizeit.

"Die habe ich für irre lange Spaziergänge mit meinem Hund genutzt", sagt Christian Kühn und klingt dabei so, als habe ihn das selbst überrascht. Außerdem habe er viele Serien und Filme geschaut und Podcasts gehört. In ein mentales Loch sei er - im Unterschied zu vielen seiner Künstlerkollegen - nie gefallen.

Das Positive in der Zwangspause

An den alarmierenden Aktionen der Kulturschaffenden beteiligte sich Kühn höchstens am Rande, weil er gar nicht wusste, wofür er da eigentlich kämpfen sollte. Auch die viel diskutierte Aktion "Alles dichtmachen" sieht er kritisch. "Mit zynischer Kritik kommen wir auch nicht weiter."

Für sich selbst zog Christian Kühn das Positive aus der Zwangspause. "Mit weniger Stress habe ich viele Dinge bewusster wahrgenommen und erst gemerkt, in welchem Hamsterrad ich da steckte." Neun Jahre Intendanz? Wo ist die Zeit geblieben, durch die er von Spielzeit zu Spielzeit gerast ist? War das alles so gesund in dem Ausmaß? "Während der Arbeit habe ich mich nie erschöpft gefühlt, aber im Rückblick doch gemerkt, welchen Nachholbedarf mein Körper hatte. Es war eine Entschleunigung zur rechten Zeit."

Statt sich vor Frust eine Corona-Wampe anzufuttern, achtete der inzwischen 38-Jährige nun mehr auf seine Ernährung, ging öfter Joggen. Fitter als heute war er lange nicht mehr.

Podcast und Live-Stream

Auch kreativ nutzte Kühn den gewonnen Freiraum, um seinen Arbeitgeber sichtbar zu machen. Er startete einen eigenen Podcast, in dem er unter anderem mit seinem Vorgänger Jürgen Mai und dem Komiker Max Giermann ins Gespräch kam. Jeden Mittwoch, 20 Uhr, gibt es eine neue Folge.

Außerdem machte Kühn seinen Klassiker "Tussipark" zum virtuellen und interaktiven Theaterstück, das vor zwei Wochen live aus der Centrum Galerie gestreamt wurde. Immerhin knapp 1.000 Zuschauer sahen zu Hause zu. "Das ist einer der Vorteile eines Privattheaters", sagt Kühn. "Die Wege von der Idee zur Umsetzung sind bei uns deutlich kürzer."

Schon nähert sich der nächste Sommer - und damit die vermutlich coronasichere Open-Air-Saison am Schloss Übigau. Am 11. Juni wird hier die Premiere von "Alice im Wunderland" über die Bühne gehen. Einige Tage später soll dann auch The Addams Family in die zweite Saison starten.

Hoffnung und Vorsicht

Und wann kehrt wieder Leben in das Haupthaus im World Trade Center ein? "Wir hoffen natürlich, dass wir hier ab September wieder spielen können", sagt Christian Kühn, wenngleich er nicht glaube, dass die Abstandsregeln bis dahin schon aufgehoben sein könnten. Große Inszenierungen wie "Die Goldfische" und "Go Trabi Go" wurden sicherheitshalber bereits in den Herbst 2022 verschoben und auch bei den Feierlichkeiten zum 25-jährigen Theaterjubiläum ist man noch vorsichtig.

Christian Kühn, das ist klar, ist bereit und steckt längst wieder voller Energie. Nur will er diese jetzt verantwortungsvoller einsetzen. In Verantwortung für sich selbst.

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