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Kultur in Dresden: "Es wird nicht alles wie es vorher war"

Für Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch hat die Kultur aus Corona einiges gelernt, aber Netflix und Co. sind noch "Übermacht". Ein Interview.

Von Andreas Weller
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Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) erklärt, was die Dresdner Kultur aus Corona gelernt hat.
Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) erklärt, was die Dresdner Kultur aus Corona gelernt hat. © Sven Ellger

Dresden. Auf mindestens 15 Millionen Euro beziffert Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) die Einbußen bei den Einnahmen wegen der geschlossenen Kultureinrichtungen. Im SZ-Interview erklärt sie, was die Häuser Streamingdiensten entgegensetzen und worauf sich die Dresdner freuen können.

Frau Klepsch, was hat Dresdens Kultur aus Corona gelernt?

Es war ein Jahr der Erfahrungen und Erkenntnisse in verschiedenen Dimensionen, z.B. Anpassungsfähigkeit, Nachhaltigkeit, Kooperationen und Digitalisierung. Durch die stärkere Digitalisierung ist das Verhältnis zwischen Produzent und Rezipient ein anderes als im Bühnenraum.

Bedeutet das, Kultur wird nicht mehr auf die Bühne zurückkehren?

Doch, sicher. Ich glaube schon, dass es ein Bedürfnis nach Begegnung gibt. Die Leute werden in die Theater und Museen zurückkommen. Aber die Krisensituation zeigt, wie fragil es für viele Kulturschaffende und Veranstalter ist. Es wird nicht wieder alles wie es vorher war. Aber das ist auch eine Chance. Sowohl im Produktionsbereich wurden Dinge infrage gestellt, als auch die Erreichbarkeit des Publikums. Doch es gibt ein Publikum, das erreicht werden will.

Was bedeutet das konkret?

Große Inszenierungen und Produktionen sowie mit internationalen Gästen und Ensembles funktionieren gerade nicht, auch nicht arbeitsseitig aufgrund der Kontakt- und Reisebeschränkungen. Online-Angebote sind zulässig, entstehen jedoch unter besonderen Vorkehrungen und müssen anders geplant sein als das Streamen dessen, was sonst auf der Bühne oder im Konzertsaal im Raum stattfindet.

Künstler, die international unterwegs und Jahre im Voraus verplant sind, sind daheim in Wartestellung. Ob der hochdynamische internationale Konzertbetrieb mittelfristig so zurückkehrt, wie wir ihn kennen, bleibt abzuwarten. Die Kultureinrichtungen der Stadt Dresden versuchen aus der Situation neue Dinge zu entwickeln und für das Publikum da zu sein. Dazu bin ich im Austausch mit den Intendantinnen und Intendanten, was unter welchen Bedingungen möglich ist. So konnte ein Spitzenorchester wie die Dresdner Philharmonie bei den Filmnächten spielen. Sich im Stadtraum zu orientieren, ist eine andere Erfahrung.

Ist es eine positive Erfahrung?

Auf jeden Fall. Wir sind gerade dabei eine kulturelle Bespielung für den Sommer vorzubereiten, die auch für Touristen attraktiv ist.

Erwartet Dresden ein Knaller-Kultur-Sommer?

Es wird einen großen Nachholbedarf an Kultur geben – Menschen möchten draußen sein und sich wieder treffen. Viele Künstler*innen haben das Bedürfnis, bald wieder vor Publikum aufzutreten. Die Pandemie wird uns aber auch im Sommer noch begleiten. Die Durch-Impf-Rate wird dann noch nicht so hoch sein, dass alles möglich sein wird. An anderen Orten und vor anderem Publikum als üblich zu spielen, ist eine Chance. Dazu laufen Gespräche. Es gibt die Idee, dass die Philharmoniker in der Jungen Garde auftreten. Theater Junge Generation, Staatsoperette und SachenEnergie überlegen, wie das Gelände des Kraftwerks Mitte open air genutzt werden kann, der Außenbereich vom Societätstheater im Barockviertel soll bespielt werden und einiges mehr. Wir sind mit den privaten Kulturveranstaltern wie auch mit den Einrichtungen von Stadt und Freistaat im Gespräch.

Montag öffnen die Bibliotheken wieder?

Ja, die Corona-Schutz-Verordnung lässt die Ausleihe zu und wir ermöglichen die Vorbestellung von Medien und Abholung an der Bibliothekstür. Der Besuch der Bibliotheken als Dritter Ort mit Aufenthalt wird zu einem späteren Zeitpunkt wieder möglich. Durch Corona ist die Nachfrage an E-Books und Streaming-Angeboten stark gestiegen, es gibt Zuwächse im dreistelligen Prozentbereich. Aber das kann das Stöbern in der Bibliothek nicht ersetzen und hat Grenzen, die anhand der Lizenzen festgelegt sind.

Wurden im Kulturbereich Fehler in der Pandemie gemacht?

Die Kultureinrichtungen waren im Corona-Zeitraum nicht souveräne Entscheider, sondern schließen, weil es eine Betriebsuntersagung bzw. ein Veranstaltungsverbot gab. Insofern nicht. Wir haben allerdings festgestellt, dass die Einrichtungen hinsichtlich der IT nicht auf die Situation vorbereitet waren. Aber das betrifft alle Bereiche in ganz Deutschland, wie man bei den Themen Schule und Impfen sehen kann. Inzwischen wurde einiges nachgerüstet. Mittlerweile sind in vielen Bereichen Videokonferenzen zum Standard geworden, was die Kommunikation deutlich erleichtert.

Führt die Digitalisierung zu einem kulturellen Wandel?

Die Digitalisierung wird durch Corona verstärkt, kommunikativ, künstlerisch, organisatorisch. Denken Sie an Streaming, Ticketing, Kontaktnachverfolgung. Einige technische Innovationen sind unumkehrbar und finden nun noch beschleunigt statt. Künstlerisch verändert die Digitalisierung die Prozesse auch im Hinblick auf Partizipation. Im Theater Junge Generation läuft gerade ein interaktives Familienstück, bei dem das Publikum von zu Hause auf dem Sofa einbezogen wird. Die Dresdner Philharmonie hatte zu Weihnachten ein Mitsing-Video produziert, das auch anderes Publikum als die Abonnent*innen anspricht.