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Räumung von "Heibo"-Protestcamp: Der Kies hat gewonnen

Manche gingen freiwillig, andere wurden getragen: Das Protest-Camp „Heibo“ im Wald bei Ottendorf-Okrilla ist abgerissen worden. Die Besetzer konnten die Bäume nicht retten.

Von Luisa Zenker & Connor Endt
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Räumung im Morgengrauen: Gegen 7 Uhr rückten am Mittwoch die ersten Polizisten am Protestcamp "Heibo" an.
Räumung im Morgengrauen: Gegen 7 Uhr rückten am Mittwoch die ersten Polizisten am Protestcamp "Heibo" an. © xcitepress/Finn Becker

Eine Säge kreischt. Dann ein Knacken. Die erste Kiefer stürzt krachend auf den Boden. Ein Ruf geht durch den Wald. „Heibo bleibt“, schreien zwei Menschen mit schwarzen Tüchern im Gesicht aus einem Baumhaus. Doch die Säge kreischt weiter und die Rufe verklingen zwischen den lauten Motorengeräuschen.

Seit diesem Mittwoch räumt die Polizei das Waldgebiet „Würschnitz“ in der Laußnitzer Heide. Der Staatsbetrieb Sachsenforst muss die Kiefern und Birken roden, um die Fläche bis zum 28. Februar holzfrei an das Kieswerk Ottendorf-Okrilla zu übergeben. Ab März beginnt die Brutzeit der Vögel, dann dürfen keine Bäume mehr gefällt werden. Das Werk will deshalb noch vor Monatsende den Kies unter dem Waldstück abbaggern. Doch dafür müssen vorher die zwei Dutzend Baumhäuser dem Erdboden gleichgemacht werden.

In den mit Bretter vernagelten Bauwerken haben sich etwa zwanzig Demonstranten verschanzt, um für den Erhalt des Waldes zu protestieren. Sie befürchten, dass die umliegenden Moore durch den Kiesabbau stark beschädigt werden könnten. Doch Bergrecht ist Bergrecht, und das muss auch im Heidebogen eingehalten werden.

Aus Ästen errichtete Barrieren konnten die Räumung des Waldgebietes nicht verhindern.
Aus Ästen errichtete Barrieren konnten die Räumung des Waldgebietes nicht verhindern. © SZ/Veit Hengst

Ein Helikopter sirrt seit den Morgenstunden über den Baumwipfeln bei Ottendorf-Okrilla. An diesem Mittwoch soll das Geräusch zur Dauerkulisse werden. Das Vogelgezwitscher im Wald wird von einem Bagger überdröhnt. Er räumt die von den Besetzern errichteten Barrikaden zur Seite, packt Äste und Baumstämme auf die Schaufel, schüttet Erde in die von den Protestierenden geschaufelten Gräben, die an ein Kampffeld erinnerten.

Ein Kampf zwischen Wald und Kies, zwischen Artenschutz und Wohnungsbau. Sachsen braucht den Rohstoff, denn ohne Kies keine Häuser und keine Straßen. Obwohl Sachsens Boden gut bestückt ist, gibt es Engpässe. Gemessen an der möglichen Abbaufläche zählt das Kieswerk Ottendorf-Okrilla zu den größten in Deutschland. Jedes Jahr werden hier rund 750.000 Tonnen gewonnen. Eigentümer sind fünf Familien aus Baden-Württemberg. Größter Anteilseigner ist das Adelshaus Württemberg.

© SZ Grafik/Grunwald

Ein blaues Fahrzeug mit Hebebühne dringt unterdessen zu den Baumhäusern vor. Polizisten mit Klettergurten hängen sich an den Kran. Rote, orange, weiße Seile an den Hüften, die Karabiner wackeln. Über die Hebebühne gelangen die Einsatzkräfte nach oben auf die Plattform, verschwinden hinter den bunten Tüchern. Drei Baumstämme halten die wacklige Bleibe in fünf Metern Höhe zusammen.

Dann erscheint der erste Demonstrant in schwarzer Montur. Im Schneckentempo lassen sie ihn an einem Seil hinab. Wie ein friedlicher Sack sinkt er hinunter. Sein Gesicht ist zwischen den Tüchern nicht zu sehen. Worte werden kaum gewechselt. Zwei Polizisten führen ihn ab. Die Beamten steigen wieder hoch und fangen an, aufzuräumen. Rucksäcke, Schlafsäcke, bunte Stoffe. Nach und nach bauen sie die vernagelten Holzbretter ab. In einer Stunde wird von dem Baumhaus nichts mehr übrig bleiben. Bis zum späten Vormittag haben die Polizisten bereits vier Baumhäuser und mehrere Tripods beräumt, hochgelegene Plattformen auf drei Stelzen.

Keine Aussicht auf Erfolg: Auch dieses schwebende Klo-Häuschen samt Bewacher hat keine Zukunft.
Keine Aussicht auf Erfolg: Auch dieses schwebende Klo-Häuschen samt Bewacher hat keine Zukunft. © SZ/Veit Hengst

Gregor Bachhuber verlässt gegen 11 Uhr freiwillig sein Baumhaus. Ganz entspannt klettert der Mann mit Nasen- und Lippenpiercing die Leiter hinunter, faltet seine grüne Isomatte zusammen, als sei er gerade vom letzten Campingurlaub zurückgekehrt. In Badelatschen läuft er mit zwei Polizisten den Waldweg entlang, den schwarzen Rucksack lässig über den Rücken tragend diskutiert er mit ihnen über Umweltverschmutzung. Mehrere Tage hat er im Wald zugebracht. Warum? „Das lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Klimawandel. Klimakatastrophe. Mit jedem Ast, den wir absägen, entziehen wir uns die Lebensgrundlage.“ Er greift zu einem Glas Wasser. Neben ihm räumen zwei Demonstranten drei Matratzen in den Kofferraum eines Kleinbusses.

„Schön da oben?“ – „Ja.“ Bei der Räumung des Protest-Camps blieb auch Zeit für ein Schwätzchen zwischen Kiefern.
„Schön da oben?“ – „Ja.“ Bei der Räumung des Protest-Camps blieb auch Zeit für ein Schwätzchen zwischen Kiefern. © SZ/Veit Hengst

Ein weißes Bierzelt bewegt sich über die Straße, getragen von mehreren Personen. „Wir müssen fünfhundert Meter weiter unser Lager aufschlagen. Das ist doch Schikane“, ruft eine von ihnen. 30 Demonstrierenden haben sich an der Straße zu einer Mahnwache versammelt. Sie solidarisieren sich mit den Baumhausbesetzern, wollen aber keinen Konflikt mit der Polizei. Die hat nun ein Betretungsverbot für das Waldgebiet ausgerufen. Die Straße ist zwischen Würschnitz und Ottendorf-Okrilla seit den frühen Morgenstunden gesperrt. Ein weiß-rotes Band trennt nun die Öffentlichkeit vom Wald. Einzig Polizisten, Technisches Hilfswerk, Sanitäter, Forstarbeiter und Presse dürfen mit orangefarbenen Helmen auf das Gelände. Auch Politiker sind anwesend, wie etwa die grüne Landtagsabgeordnete Lucie Hammecke.

Mehrere Demonstranten hatten am Dienstag ein Büro ihrer Partei in Dresden-Löbtau besetzt. Die Kritik: Sie forderten die an der Regierung beteiligten Grünen auf, die Räumung und Rodung des „Heibo“ zu stoppen. Lucie Hammecke sagt zu diesem Zwiespalt: „Ich kann das Anliegen der Besetzer sehr verstehen, sich für den ‚Heibo‘ einzusetzen. Wir befinden uns in Abbauverträgen, die aus den 1990ern stammen, die Grünen sind erst seit 2019 in der Regierungsbeteiligung. Nichtsdestotrotz tut es uns weh, wenn ein Wald gerodet wird. Jetzt geht es darum, dass in dem geplanten Kiesabbau-Gebiet Würschnitz-West alle Umweltauflagen eingehalten werden.“

Gut getarnt und doch gefunden: Wie meisten Besetzer musste auch Makku das Camp bereits verlassen.
Gut getarnt und doch gefunden: Wie meisten Besetzer musste auch Makku das Camp bereits verlassen. © SZ/Veit Hengst

Gegen Mittag stellt das Technische Hilfswerk graue Zäune zwischen Kiefern und Birken auf. Über den Arbeitern fläzt Makku in acht Metern Höhe auf einer Holzplattform und kaut Nüsse. „Wir werden als böse dargestellt, obwohl wir uns für den Wald einsetzen. Alle wollen das Klima schützen. Es ist anstrengend, diese Arbeit zu machen. Ich würde jetzt auch lieber in den Urlaub, aber wer schützt sonst den Wald?“ Er streckt seine Beine aus, hat sich schwarze Farbe ins Gesicht geschmiert, zwei Striche links und rechts.

Ein Polizist ruft ihm von unten zu:

„Schön da oben?“

„Ja.“

„Sieht auch nett aus. Wie ein Mehrfamilienhaus.“

„Wird dann auch nachts gearbeitet?“

„Wir arbeiten rund um die Uhr. Oder braucht ihr eine Pause?“

„Wir haben hier die ganze Zeit Pause. Irgendwann müssen wir auch runter, gibt ja auch noch andere Verpflichtungen.“

Der Polizist lacht.

Etwa 1.000 Beamte sind an diesem Mittwoch im Einsatz. Mit schwarzen Helmen auf den Köpfen wuseln sie unter den Baumhäusern hindurch, stehen neben einer Kiste mit Kartoffeln und Tomaten. Bücher, eine Wärmflasche und Brettspiele liegen auf den Tischen. Zwei weiße Handtücher hängen von einem Ast.

Die Demonstranten, die nicht freiwillig gingen, wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Die Demonstranten, die nicht freiwillig gingen, wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. © SZ/Veit Hengst

Noch bis diesen Dienstag herrschte hier eine Art Pfadfinderlager. Suppen und Kaffee haben die Besetzer über dem Feuer gekocht. Nun hat die Polizei bis zum Nachmittag 15 Besetzer und Besetzerinnen aus den Baumhäusern geholt. „Die meisten sind friedlich gewesen“, sagt Polizeisprecherin Katharina Korch. Vier von ihnen haben Widerstand geleistet. Ein Demonstrant klebte sich mit Sekundenkleber an einem Stück Zement auf der Polizei-Hebebühne fest. Mitsamt Bühne musste er abtransportiert werden.

Ein anderer wehrte sich laut Polizei „aktiv“ und wurde davongetragen. Die Einsatzkräfte rechnen damit, dass sie innerhalb von fünf Tagen das Gebiet geräumt haben werden. „Wir gehen davon aus, dass es vorwiegend friedlich ablaufen wird“, sagt Sprecherin Katharina Korch, während die Sonne zwischen den Bäumen des Protestcamps untergeht.

Ein weiteres Baumhaus bricht in sich zusammen, das letzte für diesen Mittwoch. Ein Besetzer, der sich in den Baumwipfeln auf zehn Metern Höhe festgemacht hat, huscht zwischen zwei gespannten Seilen zurück in ein Baumhaus. „Ich hoffe, der Einsatz wird morgen etwas effektiver“, sagt ein Polizist zu seinem Kollegen. Der andere nickt.