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Transgender: Wie ein 13-jähriger Dresdner als Junge leben will

Mit 13 gibt sich Annas Tochter einen Jungennamen. Nun will sie Pubertätsblocker nehmen, die unter Experten umstritten sind. Was macht eine Mutter, deren Kind sich im eigenen Körper nicht wohlfühlt?

Von Nora Domschke
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Anna ist mit dem Wunsch ihres 14-jährigen Kindes konfrontiert, dass es nun als Junge leben will. Geboren wurde es als Mädchen.
Anna ist mit dem Wunsch ihres 14-jährigen Kindes konfrontiert, dass es nun als Junge leben will. Geboren wurde es als Mädchen. © René Meinig

Dresden. Den neuen Namen ihrer Tochter hat Anna zum ersten Mal in einem Schulbuch gelesen. Als die Mutter die Bücher für das neue Schuljahr kontrolliert, wird sie stutzig. Alex*? Wer soll das sein? Es ist die Schrift ihrer Tochter, auch der Nachname stimmt. "Erst dachte ich mir nichts dabei", erzählt Anna. Doch es lässt sie nicht los.

*In einer früheren Version des Textes hieß Annas Sohn anonymisiert Marley. Nach dem Gespräch mit ihm möchte er im Text Alex genannt werden.

Seitdem dreht sich im Leben von Anna aus Dresden alles um die Frage: Wie gehe ich damit um, dass meine Tochter als Junge leben will? Denn bei der Namensänderung bleibt es nicht. Plötzlich kommen Medikamente ins Spiel, sogenannte Pubertätsblocker, Hormone, die die natürliche körperliche Entwicklung von Jugendlichen quasi ausbremst, den Status quo halten sollen. "Ich habe große Angst, dass meine Tochter so etwas nimmt", sagt Anna. Und damit womöglich ihren Körper schädigt, für immer und unumkehrbar.

Im Herbst 2021 spricht Anna, die eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben will, ihre damals 13-jährige Tochter auf den neuen Namen an. Deren Antwort: "Wir sind halt so. Hast du was gegen uns?" Darauf kann Anna nichts erwidern, sie weiß gar nicht, wer mit "wir" gemeint sein soll.

Dass ihr Kind in letzter Zeit nur noch Jungenklamotten und Männerunterhosen trägt, ist der Mutter nicht entgangen. Mit engen Bustiers verbirgt die inzwischen 14-Jährige ihre Brüste. Auch, dass sie plötzlich neue Freunde hat und sich mit ihnen regelmäßig in der Dresdner Neustadt trifft, ist ihr aufgefallen. "Ich war so froh, dass sie wieder rausgeht und Kontakt zu anderen hat. In der Coronazeit war sie nur in ihrem Zimmer und völlig lethargisch."

Lehrer sprechen Tochter mit Jungennamen an

In diesem Text wird nun vom Sohn die Rede sein. Inzwischen respektiert Anna den Namenswunsch von Alex. Ein offenes Gespräch über die Situation kam zunächst dennoch nicht zustande. Erst eineinhalb Jahre später, Anfang 2023, finden Mutter und Kind am Küchentisch die richtigen Worte. Bis dahin ist es ein langer Weg.

Die alleinerziehende Mutter versucht zunächst weiter, den nicht immer einfachen Alltag mit dem pubertierendem Kind zu meistern. Die schulischen Leistungen lassen zu wünschen übrig, oft gibt es Streit über Hausaufgaben und schlechte Noten. Ein paar Wochen, nachdem Anna vom neuen Namen erfahren hat, ruft die Lehrerin bei ihr an, lädt sie zum Gespräch in die Schule ein und fragt, ob Alex dabei sein soll. "Ich war total geschockt. Wie kann es sein, dass offenbar alle Lehrer mein Kind ganz selbstverständlich mit Alex ansprechen, und ich davon nichts erfahre?"

Plötzlich wird Anna die Tragweite bewusst. Ihr Kind hat für sich entschieden, einen Jungennamen zu tragen. Steckt noch mehr dahinter? Will es auch körperlich ein Junge sein?

Anna trifft sich mit der Lehrerin. Als sie im Foyer der Dresdner Oberschule wartet, fällt ihr ein Aushang ins Auge: "Wer will einen LGBTQ-Club an unserer Schule gründen und mitmachen?" Es sind die Abkürzungen für unterschiedliche sexuelle Orientierungen: Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer. Den Aushang hatte eine Sozialarbeiterin der Schule gestaltet, wie die Mutter später erfährt.

"Ich bin dann ins Klassenzimmer und war sehr aufgeregt. Ich habe am ganzen Körper gezittert, denn ich war so wütend, dass niemand mit mir über ein so wichtiges Thema im Leben meines Kindes gesprochen hat." Immerhin habe sie ihr Kind als Mila eingeschult. "Da ist es doch selbstverständlich, dass mir jemand Bescheid gibt, wenn sie mit einem anderen Namen angesprochen werden will."

Anna recherchiert im Internet und stößt unter anderem auf das Regenbogenportal, eine Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. "Dort wurde sogar dafür geworben, dass Jugendliche Pubertätsblocker nehmen sollen, wenn sie sich noch nicht auf ein Geschlecht festgelegt haben", sagt Anna. Sie ist entsetzt.

Und sie hat Angst, dass ihr Kind irgendwie Zugang zu solchen Medikamenten bekommt. Ob er tatsächlich welche nimmt, weiß die Mutter nicht. "Ich habe viele Gespräche mit ihm geführt und ihm ins Gewissen geredet, wie gefährlich diese Pubertätsblocker sein können." Alex entgegnet, dass er darüber Bescheid wisse und es eine Salbe gebe, über die Hormone in den Körper gelangen, was nicht so schlimm sei.

Der umstrittene Hinweis auf die Pubertätsblocker ist inzwischen vom Regenbogenportal verschwunden. Dennoch rät das Bundesministerium den Eltern: "Erlauben Sie Ihrem Kind, sich in seiner Geschlechtsidentität auszuprobieren – wenn es sich später für die 'alte' oder eine ganz andere Rolle entscheidet, ist auch das okay."

„Ich wollte mit drei Jahren keine Kleider mehr tragen“

Nach anfänglichen Zweifeln ist Alex zu einem gemeinsamen Gespräch mit der SZ bereit. Er bringt einen Freund mit, Markus. Sie haben sich im vergangenen Jahr auf dem Christopher Street Day in Dresden kennengelernt. Schon vorher hatte Alex Kontakt mit Jugendlichen, "die ein Problem mit ihrer Geschlechterrolle haben", wie er es beschreibt.

Markus ist 16 und wurde als Mädchen geboren. Schon mit drei Jahren wollte er keine Kleider oder Röcke tragen. So habe es ihm seine Mutter geschildert, erzählt er. "Ich habe mich einfach nicht wohl gefühlt in diesen Sachen." Später kommt hinzu, dass er mit weiten Jungsklamotten die eine oder andere Stelle am Körper verbergen will, "die zu breit geraten ist". Seine Stimme ist inzwischen die eines heranwachsenden Mannes, seine Statur und sein Auftreten wirken maskulin. Schließlich sei der Wunsch, nicht mehr als Mädchen erkannt zu werden, immer größer geworden. Heute würde wohl kaum jemand vermuten, dass er als Mädchen auf die Welt kam.

Im vergangenen Jahr beginnt er eine Therapie bei einem Psychiater, der ihm zunächst helfen soll, seine Ängste zu überwinden. Dieser diagnostiziert recht schnell, dass es bei Markus um Transsexualität geht und vermittelt ihn auf dessen Wunsch an einen Endokrinologen, einem Experten für Hormone. "Ich wollte unbedingt auch körperlich ein Junge sein", sagt Markus. Für Pubertätsblocker sei es zu spät gewesen, er bekommt stattdessen das männliche Hormon Testosteron.

Einmal monatlich holt er sich eine Spritze bei seinem Arzt ab, seit gut einem Jahr schon. Alle sechs Monate muss Markus zum Endokrinologen, der Blut abnimmt und alle Werte im Blick behält. Mit der Diagnose des Psychiaters trägt die Krankenkasse die Kosten dafür.