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DVB-Streik zum "unpassenden Zeitpunkt"?

In Dresden fuhren am Dienstag keine Straßenbahnen und nur wenige Busse. Am Zeitpunkt des Ausstands gibt es Kritik. Und es könnte teuer werden.

Von Julia Vollmer & Christoph Springer
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Straßenbahnen und die meisten Busse werden bis Dienstagabend in Dresden nicht fahren - die Dresdner Verkehrsbetriebe werden bestreikt.
Straßenbahnen und die meisten Busse werden bis Dienstagabend in Dresden nicht fahren - die Dresdner Verkehrsbetriebe werden bestreikt. © Arvid Müller

Dresden. 150 Straßenbahnen und etwa genau so viele Busse sind pro Tag in Dresden im Einsatz. Keine Bahn und nur etwa ein Drittel der Busse rückt am Dienstag aus den vier Betriebshöfen des Unternehmens in Gruna, Gorbitz, Trachenberge und Reick aus. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat zum Streik aufgerufen. Es geht um einen bundesweiten Rahmentarifvertrag für den öffentlichen Personennahverkehr. Die Dresdner, die mit Bussen oder Bahnen zur Arbeit fahren oder andere Wege erledigen wollen, müssen an diesem Dienstag Alternativen finden: S-Bahnen, das eigene Auto, das Fahrrad oder längere Fußmärsche sind ihre Ausweichmöglichkeiten.

Der Streik beginnt am Morgen gegen 3 Uhr. Zu dieser Zeit geht normalerweise die Frühschicht auf Strecke. Linienbusse rücken in Gruna aus, Straßenbahnen vor allem in Gorbitz und Reick. Doch an diesem Dienstagmorgen ist das anders. Auf den Straßen ist es gegen 5 Uhr absolut ruhig. Keine Straßenbahn ist zu sehen und nur vereinzelt fahren Busse. Die werden von Kollegen gesteuert, die zwar auch täglich im Dresdner Linienverkehr im Einsatz sind, aber nicht zu den DVB-Mitarbeitern gehören. Es sind Fahrer vom Dresdner Verkehrsservice, von Taeter Tours und anderen Firmen, die im Auftrag der DVB arbeiten.

Verdi-Sekretär Jürgen Becker geht davon aus, dass diese Fahrer an diesem Dienstag an den Haltestellen besonders willkommen sind. Pöbeleien seien sie bestimmt nicht ausgesetzt, eher würden sich die Leute freuen, dass doch etwas fährt, meint der Gewerkschaftssekretär, der an diesem Morgen am Streikposten vor dem Betriebshof-Tor in Gruna steht.

Er weiß, dass der Ausstand auch zu Kritik führen wird. "Wir können nur um Verständnis bitten. Dass dabei auch sofort die Fahrgäste betroffen sind, bedauern wir sehr." Es gehe um die Arbeitszeit, Überstunden, Nachwuchsförderung und Sonderzulagen, ergänzt sein Kollege Daniel Herold, Bezirksgeschäftsführer von Verdi in Dresden. "Die Arbeitgeber lehnen Verhandlungen ab, da ist der Streik nun mal das letzte Mittel."

Dieses "letzte Mittel" macht am Morgen zum Beispiel Schülern das Leben schwer. "Viele meiner Schüler sind heute nicht zur Schule gekommen", stellt eine Lehrerin der Freien Waldorfschule fest. Die 12-jährige Ronja musste wegen des Streiks vom Stadtrand bei Kaditz mit dem Fahrrad zu ihrer Schule in der Neustadt fahren.

Ein Bus der Linie 75 fährt an Streikenden am Straßenbahn-Betriebsbahnhof Trachenberge vorbei. Diesen Bus fährt ein Kollege von einem Tochterunternehmen der DVB.
Ein Bus der Linie 75 fährt an Streikenden am Straßenbahn-Betriebsbahnhof Trachenberge vorbei. Diesen Bus fährt ein Kollege von einem Tochterunternehmen der DVB. © SZ/Christoph Springer

Verträge im öffentlichen Dienst bundesweit vereinheitlichen

Lars Seiffert, Vorstand der DVB für das Personal und damit auch zuständig für die Arbeitsverträge der Kollegen, stellt klar: "Es geht nicht um den Tarif vor Ort, es geht um eine bundesweite Vereinheitlichung der Tarifverträge im öffentlichen Dienst." Die DVB-Mitarbeiter werden nach dem sächsischen Spartentarif für den Nahverkehr bezahlt. Steigen die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst, dann steigen sie parallel dazu um den gleichen Prozentsatz in diesem Nahverkehrstarif. Beide Tarife hat Verdi gekündigt.

Zu dem Ziel, dass im öffentlichen Dienst bundesweit nur ein Tarifvertrag gelten soll, kommt die Forderung, den Nahverkehrstarif in Sachsen so anzupassen, dass die DVB-Mitarbeiter wie ihre Kollegen bei Kommunen und anderen öffentlichen Einrichtungen bezahlt werden. Allein das wären bei den DVB pro Jahr 20 bis 25 Millionen Euro mehr, heißt es in einem Verdi-Papier an das Unternehmen. Zum Vergleich: Die Fahrgast-Einnahmen, die die DVB in diesem Jahr vor Corona eingeplant haben, betragen rund 163 Millionen Euro. 

Unpassender Zeitpunkt für einen Streik

Ein weiterer Grund für den Dienstag-Streik sind Forderungen, die aus Sicht des Vorstands nicht auf die DVB passen. 30 Tage Urlaub pro Jahr zum Beispiel. Die Hälfte der Mitarbeiter habe schon diese 30 Tage und die Ausbildungsvergütung sei bei den DVB bereits am Anfang vierstellig. Das habe das Dresdner Unternehmen entgegen den aktuellen Forderungen anderen Unternehmen ebenfalls voraus. Bei der Nachwuchsgewinnung und wenn Fahrer für die Busse und Bahnen gebraucht werden, habe das Unternehmen anders als von Verdi behauptet "überhaupt keine Probleme".

Seiffert räumt aber ein, dass der Nahverkehrstarif in Sachsen im Vergleich mit anderen Bundesländern am unteren Ende der Skala liegt. Trotzdem: Den Streikzeitpunkt findet er mit Blick auf Corona "unpassend". Die DVB seien "mit einem blauen Auge" durch die Covid-19-Krise gekommen, andere Unternehmen, Gewerbetreibende, Händler und Gaststätten hätten dagegen Existenzsorgen. Deshalb kann er nicht verstehen, dass Verdi gerade jetzt zum Streik aufgerufen hat, der Ausstand sei schließlich nicht an Termine gebunden.

"Stress und Verantwortung haben zugenommen"

Diese Ansicht teilt auch die Dresdner SZ-Leserin Birgit Krug. "Es wird überlegt, wie man erreichen kann, dass die Züge nicht so voll sind und da ruft die Gewerkschaft zum Streik auf. Das ist nicht nur völlig unangebracht sondern unverantwortlich", schreibt sie auf Facebook. Ihr fehle dafür jedes Verständnis. Sie schlägt vor, man müsse solche Aktionen in Corona-Zeiten verbieten können, erntet damit aber deutlichen Widerspruch.

André Kühlberg (46), seit 2017 Bus- und Bahnfahrer bei den DVB, nimmt an diesem Dienstag zum ersten Mal an einem Streik teil. Er sagt: "Es ist komisch, wir müssen die Leute nach Hause schicken, wir würden gern mehr Präsenz zeigen." Dass nicht mehr Streikende vor Ort sind, hat mit dem Coronavirus zu tun, große Streikversammlungen dürfen nicht stattfinden. So kommen die Fahrer nur kurz vorbei und unterschreiben die Streiklisten. Warum sie streiken? Kühlberg sagt: "Der Stress im Verkehr und die Verantwortung der Fahrer haben zugenommen, seit 2000 ist die Zahl der Fahrgäste um 24 Prozent gestiegen, das muss sich auch in der Bezahlung bemerkbar machen. Wir wissen, dass gesagt wird, wegen Corona ist kein Geld da, aber wir sind es wert."

17 Stunden keine Busse und Bahnen

Verdi plant in Dresden an diesem Tag einen 17 Stunden langen Streik. In anderen deutschen Städten sind dagegen nur wenige Stunden lange Warnstreiks angekündigt. Für Dresden bedeutet das, dass bis zu 400.000 Fahrgäste betroffen sein könnten, denn so viele nutzen derzeit an einem Werktag die Busse und Bahnen der DVB. Das entspricht laut Unternehmenssprecher Falk Lösch rund zwei Dritteln der Vor-Corona-Zahl, derzeit fehle noch viel Freizeitverkehr, Touristen und der Veranstaltungsverkehr, etwa zu großen Festen.

Ob dieser Warnstreik im Rahmen der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst eine einmalige Aktion bleibt, steht noch nicht fest. Bleibt es bei der Verweigerung der Arbeitgeberseite, die laut der Gewerkschaft Verdi Anlass des Ausstands war, könnten weitere und längere Streiks folgen, heißt es an diesem Morgen. (mit cc)

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