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Warum im Dresdner Stadtrat erstmals ein Asyl-Antrag der AfD eine Mehrheit fand

Zum ersten Mal überhaupt fand ein Asyl-Antrag der AfD im Dresdner Stadtrat mit den Stimmen der CDU eine Mehrheit. Die Bundes-CDU hat sich eingeschaltet.

Von Dirk Hein
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Im Stadtrat der Landeshauptstadt fand ein Asyl-Antrag der AfD eine umstrittene Mehrheit. Das hat Auswirkungen bis nach Berlin.
Im Stadtrat der Landeshauptstadt fand ein Asyl-Antrag der AfD eine umstrittene Mehrheit. Das hat Auswirkungen bis nach Berlin. © Sven Ellger

Dresden. Wenige Monate bevor bundesweit ohnehin eine Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt wird, muss sich Dresden auf den Weg machen und ein eigenständiges Bezahlsystem entwickeln. Hauptgrund dafür ist, dass die Dresdner CDU, entgegen dem Brandmauer-Beschluss der eigenen Partei offen für einen AfD-Antrag gestimmt hat. Das hat bundesweite Konsequenten.

CDU-Parteichef Friedrich Merz persönlich hat sich eingeschalten und eine Prüfung der Vorgänge in Dresden angekündigt. "Die Entscheidung ist in der Sache richtig, im Verfahren inakzeptabel", so Merz in Berlin. "Das war ein Fehler. Und wir werden über alles Weitere mit den Betroffenen sprechen."

Was hat der Stadtrat beschlossen?

Mit 33 Ja- und 32 Nein-Stimmen hat der Stadtrat am Donnerstag mit der denkbar knappsten Mehrheit mit den Stimmen von AfD, CDU, Freien Wählern/Freien Bürgern und FDP für den AfD-Antrag "Bezahlkarte statt Bargeld, Sachleistungsprinzip für Asylbewerber konsequent umsetzen" gestimmt.

Damit wird die Verwaltung beauftragt, Leistungen für Asylbewerber anstatt als Bargeldzahlung mittels einer Bezahlkarte umzusetzen. Geldtransfers ins Ausland würden ausgeschlossen. Die Karte könnte zum Beispiel nicht bei Glücksspielanbietern eingesetzt werden. So sollen Fluchtanreize reduziert werden. Gegner der aktuellen Diskussion warnen davor, das Klischee zu bedienen, Geflüchte würden so viel Geld bekommen, dass reichlich übrig bleibt.

Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) befürwortet die Bezahlkarte, weil damit Asyl-Leistungen nicht mehr aufwendig bar ausgezahlt werden müssen. Sie warnte jedoch vor einem Alleingang der Stadt. "Eine eigene Dresdner Lösung würde kaum vor dem bundesweiten Start fertig - und würde dann von der Karte des Bundes wieder abgelöst." Sehr wahrscheinlich wird die Stadt jetzt mit angezogener Handbremse den Beschluss abarbeiten. Das die Bezahlkarte in Dresden vor dem Bundesstart eingeführt wird, ist unwahrscheinlich.

Wie ist der Umgang mit der AfD im Rat eigentlich?

Eigentlich haben AfD, CDU, Freie Wähler und FDP im Stadtrat genauso viele Stimmen, wie Grüne, Linke, SPD und Dissidenten. Welche Seite eine Mehrheit bekommt, wechselt je nachdem, auf welcher Seite mehr Räte fehlen. Generell stimmen jedoch weder Grüne noch Linke, SPD oder Dissidenten für Anträge der AfD.

Die Freien Wähler/Freien Bürger entscheiden je nach Thema neu, haben insgesamt aber die geringsten Berührungsängste zu den extremen Rechten im Dresdner Stadtrat. Die FDP hat dazu auf Landesebene festgelegt: "Bei Sachanträgen der AfD entscheiden wir fallbezogen im Rahmen unserer gesellschaftlichen und parlamentarischen Verantwortung. Versuchen der AfD zum rein taktischen Vorführen anderer Parteien oder der Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie treten wir konsequent entgegen."

Die CDU hat auf Bundesebene einen "Unvereinbarkeitsbeschluss", also eine Art Brandmauer zur AfD beschlossen. Die Dresdner CDU hat diese Brandmauer unter ihrer neuen Vorsitzenden Heike Ahnert deutlich aufgeweicht. Immer häufiger wurde in Asyl-Debatten mit der AfD gestimmt. Eine Mehrheit für die Asyl-Pläne der Stadt ermöglichte meist die FDP, die zum Beispiel konsequent für Anträge hinsichtlich der Unterbringung von Geflüchteten gestimmt hat.

Warum fand der AfD-Antrag eine Mehrheit?

Problematisch am jetzt im Rat behandelten AfD-Antrag, der aus dem Oktober 2023 stammt, war, dass mittlerweile fast alle Parteien eine Bezahlkarte grundsätzlich einführen wollen. "Bürger haben keine Lust mehr auf parteipolitische Spielchen. Wir können nicht auf der einen Seite sagen, dass wir für so eine Karte sind, dann aber dagegen stimmen", so FDP-Chef Robert Malorny.

Genau das ist aber eigentlich möglich. Parteien haben die Möglichkeit, von anderen Fraktionen gestellte Antrage zu ergänzen, oder über Ersetzungsanträge komplett abzuändern. Den aktuellen AfD-Antrag hätte man zum Beispiel dahingehend abändern können, dass die Verwaltung beauftragt wird zu prüfen, inwieweit eine eigene Bezahlkarte wirtschaftliche und verfahrenstechnische Vorteile bringen könnte.

Rein praktisch fand der AfD-Antrag eine Mehrheit, weil während der Abstimmung ein Rat der Grünen und einer der Dissidenten fehlte. Linke-Chef André Schollbach versuchte während der Abstimmung noch Zeit zu gewinnen, indem er eine Wiederholung der Abstimmung und eine Auszeit beantragt hatte. Die Auszeit lehnte OB Dirk Hilbert (FDP), der selbst gegen den AfD-Antrag stimmte, jedoch ab. Tatsächlich sind Auszeiten während der Abstimmung extrem ungewöhnlich, aber rechtlich wohl zulässig.

Welche Reaktionen gibt es?

"Die CDU hat nun alle Hemmungen fallen lassen und macht ganz offen gemeinsame Sache mit den Nazis. Damit ist klar: Die bisherigen Beteuerungen, sich klar von der rechtsextremen AfD abzugrenzen, waren nichts anderes als Lippenbekenntnisse", sagt André Schollbach.

Johannes Lichdi (Dissidenten) sagt: "Was die CDU getan hat, war eine sehr schwerwiegende Entscheidung. Die Partei arbeite ganz offen mit der AfD zusammen. Das ist ein ganz klarer Strategiewechsel, der mich in dieser Offenheit drei Monate vor der Kommunalwahl überrascht."

CDU-Fraktionschefin Ahnert sieht das anders. Für einen christdemokratischen Antrag habe es keine Mehrheit gegeben. Was nun beschlossen worden sei, spiegle einstimmige Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz. Ahnert betonte allerdings: "Es wäre besser gewesen, hätte es einen eigenen Antrag dazu aus der Mitte des Stadtrates gegeben. Das muss der gemeinsame Anspruch der Fraktionen der Mitte für die Zukunft sein."

Aus den Reihen der Landespolitik äußerte sich SPD-Landeschef Henning Homann. "Auf die CDU ist in Sachsen offenbar kein Verlass", schrieb er auf der Plattform X. Der Dresdner SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas fragte mit Blick auf die Dresdner Verbände von CDU und FDP: "Warum sollten euch Demokraten noch wählen?" (mit SZ/ale)