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Wie ein Görlitzer Gastronom seit 25 Jahren durchhält

Niemand ist in der Altstadt so lange da wie Enrico Walkstein mit seinem Café Flair. Und er will noch lange bleiben.

Von Ingo Kramer
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Enrico Walkstein steht vor seinem „Café Flair“ in der Brüderstraße. Am Sonntag betreibt er es seit 25 Jahren.
Enrico Walkstein steht vor seinem „Café Flair“ in der Brüderstraße. Am Sonntag betreibt er es seit 25 Jahren. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Seine Gäste werden von dem Jubiläum an diesem Sonntag überhaupt nichts merken. „Wir öffnen das Café Flair ganz normal, wie an jedem Tag“, sagt Enrico Walkstein. Und doch vollendet sich an diesem Tag in der Görlitzer Gastronomie eine absolute Ausnahme: Während ringsherum in der Altstadt Lokale eröffneten und schlossen, hat der 51-Jährige sein Café im Jahr 1996 eröffnet und betreibt es nun seit genau 25 Jahren – durchweg in den gleichen Räumen auf der Brüderstraße 3.

Als er es am 10. Oktober 1996 mit seinem damaligen Kompagnon Michael Bischoff eröffnete, war das Café 1900 am Obermarkt schon da, aber sonst mangelte es in der Altstadt an Cafés. „Und da das Café 1900 seither den Betreiber gewechselt hat, bin ich inzwischen der, der am längsten ein Café hier betreibt“, sagt Walkstein. Auch wenn Bischoff schon nach drei Jahren ausstieg, weil er aus familiären Gründen nach Dresden zog, hat Walkstein die Eröffnung nie bereut. Und sein einstiger Mitbetreiber schaut bis heute immer mal vorbei, wenn er zu Besuch in Görlitz ist.

Aber wie schafft man es, in der Altstadt-Gastronomie so lange durchzuhalten? Enrico Walkstein hat sich über diese Frage keine großen Gedanken gemacht. Klar habe er mitbekommen, dass andere Lokale öffneten und schlossen. „Ich habe einfach immer weitergemacht“, sagt er. Woran es bei den anderen gelegen habe: Keine Ahnung. Aber zumindest die, die geglaubt hätten, mit einem Café schnell das große Geld zu verdienen, seien auf jeden Fall enttäuscht worden: „Reich wird man damit nicht.“

Straßensanierung brachte Umsatzeinbruch

Ja, auch bei ihm habe es Durststrecken gegeben. 1999/2000 war schrecklich: Die Brüderstraße wurde saniert, war ein ganzes Jahr lang aufgegraben. Kunden blieben weg: „Da hätten wir das Café auch ganz zulassen können.“ Überleben konnte er nur dank des zweiten Standbeins: Von 1999 bis Ende 2004 betrieb Walkstein nebenher die Cafeteria im Carolus-Krankenhaus.

Die zweite Durststrecke kam 2020/21 mit Corona: Diesmal musste er schließen. Seine Mitarbeiter bekamen Kurzarbeitergeld, aber er selbst musste vom Ersparten leben. Auch das hat er durchgestanden, ohne den Kopf in den Sand zu stecken. Mit den Einschränkungen geht er rational um: „Ich mache es halt so, wie es gefordert ist – und gut.“ Voriges Jahr lief das Geschäft nach dem Lockdown sehr schnell wieder an, dieses Jahr hingegen dauerte es einen Monat. Dafür läuft es jetzt gigantisch, noch besser als vor Corona: „Es ist, als ob die Leute jetzt vieles nachholen würden.“

Kein Chef, vor dem alle erzittern

Aber ja, überlegt Walkstein, einen Grund könnte es schon geben, warum es bei ihm anders läuft als in anderen Lokalen: Zwar ist er seit 22 Jahren der alleinige Inhaber, aber er möchte kein Chef sein, vor dem alle erzittern, wenn er zur Tür hineinkommt. „Was soll mir das bringen?“, sagt er. Stattdessen macht jeder alles: Kuchen backen, Torten herstellen, kellnern. Selbst den Geschirrspüler räumt jeder ein, sogar der Inhaber, der sich auch hier nicht als Chef hinstellen will. Zudem dürfen seine Angestellten Marco Janke (34) und Franziska Miehrig (31) über alles mitentscheiden.

Das betrifft die Frage, welchen Kuchen es morgen geben soll genauso wie gewichtigere Entscheidungen: Wen stellen wir als neue Aushilfe ein? Fahren wir demnächst zur Messe? „Ich will, dass alle Entscheidungen vom gesamten Team getragen werden, schließlich müssen es hinterher alle gemeinsam umsetzen“, sagt er. Sogar als es um neue Standbeine für das Unternehmen ging, durften die anderen mitentscheiden – und sagten ja. So betreiben sie seit zehn Jahren auch drei Ferienwohnungen in dem Haus, seit 2020 noch eine vierte. Und seit fünf Jahren hat Walkstein zusätzlich die Hausverwaltung für die 17 Wohnungen und drei Gewerbeeinheiten in dem Gebäude übernommen. Beides seien Nebeneinkünfte: „Hauptstandbein bleibt das Café.“

Die Angestellten danken es ihm mit Treue. Marco Janke hat im August 2004 als Azubi zum Restaurantfachmann im Café Flair angefangen – und ist seither geblieben. Franziska Miehrig kam 2019 als Ersatz für einen langjährigen Mitarbeiter, der nicht länger in der Gastronomie arbeiten konnte. Zudem gibt es einen Azubi, der demnächst auslernen wird, einen neuen Azubi seit 1. September und einen jungen Mann in einer Einstiegsqualifizierung, der nächstes Jahr eine Lehre beginnen könnte.

Kann sich Enrico Walkstein vorstellen, auch in 15 Jahren noch sein Café zu führen? „Ja, ich denke schon“, sagt er. Er könne sich nichts anderes vorstellen. Klar, der Bürokram nerve. Dafür habe er kein Café eröffnet. Gefühlt mache er inzwischen über 50 Prozent der Arbeit aus: „Aber wenn ich Kuchen backen oder mit Leuten reden kann, dann macht es immer noch Spaß.“