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Malereien machen Görlitzer Landratsamt noch teurer

In der Berliner Straße wurde mehr Kunst entdeckt als gedacht. Sie ist sehenswert. Doch der Bau muss umgeplant werden.

Von Ingo Kramer
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Diese Malereien kamen in der Berliner Straße 42 zum Vorschein. Links ist das Schmuckwappen der Gerberzunft zu sehen.
Diese Malereien kamen in der Berliner Straße 42 zum Vorschein. Links ist das Schmuckwappen der Gerberzunft zu sehen. © Martin Schneider

Ein paar alte Malereien hier und da in den Treppenhäusern der Berliner Straße in Görlitz, damit hatte Philipp ter Braake schon gerechnet. Und diese Prognose des Projektleiters vom Architekturbüro S.E.K. aus Berlin hat sich bei der begonnenen Sanierung der Gebäude für das Landratsamt inzwischen auch bestätigt.

Aber mit dem, was jetzt in der Nummer 42 – dem einstigen Wächterhaus – gefunden wurde, hatte niemand gerechnet. Erst beim Entfernen einer Zwischendecke in der Hausdurchfahrt kam der Schatz zum Vorschein: Hochwertige figurale und florale Malereien. Die Motive an der Decke wurden 1879 mit Leimfarben aufgetragen. Alles, was sich darunter an den Wänden befindet, kam später, vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts, und wurde mit Öl-Wachs-Farben gezeichnet. Die Malereien deuten darauf hin, dass der damalige Besitzer des Gebäudes recht wohlhabend war.

Die Malereien befinden sich an Wänden und Decke in der Hausdurchfahrt. Sie wurden entdeckt, als eine abgehangene Zwischendecke entfernt wurde. Deren Reste sind auf diesem Bild noch zu sehen.
Die Malereien befinden sich an Wänden und Decke in der Hausdurchfahrt. Sie wurden entdeckt, als eine abgehangene Zwischendecke entfernt wurde. Deren Reste sind auf diesem Bild noch zu sehen. © Martin Schneider

„Die Decke wurde 1904 eingezogen“, sagt Torsten Steinert, Bauamtsleiter beim Landkreis: „Darunter wurden damals Nischen angelegt als Ladenvitrinen.“ Im Innenhof befand sich damals eine lederverarbeitende Fabrik, in der Koffer, Taschen und Hüte hergestellt wurden. Die Öffentlichkeit durfte nicht in die Fabrik, sondern nur in diesen Durchgang. „Deshalb befanden sich alle Ausstellungsstücke des Lederhändlers in den Schaufenstern rechts und links, das war wie eine Passage“, erläutert Steinert. Die Malereien passen inhaltlich dazu, enthalten ist unter anderem das Schmuckwappen der Gerberzunft.

Die Durchfahrt war also ein wichtiger Raum. Und sie soll es auch künftig wieder werden: Geplant ist an dieser Stelle ein öffentlicher Durchgang. Fußgänger sollen hier künftig von der Salomon- zur Berliner Straße abkürzen können. Tagsüber wird der Durchgang auf jeden Fall offen sein, für die Nächte gibt es noch keine Entscheidung. Doch mit dem Fund sind ter Braake, Steinert und der zuständige Projektsachbearbeiter im Landratsamt, Daniel Reckzeh, nun etwas hin- und hergerissen.

Auf der einen Seite müssen die Malereien nicht nur erhalten, sondern auch bestmöglich geschützt werden. Dafür ist beim Bau viel Behutsamkeit gefragt. Für die Sicherung der Decke muss ein zusätzlicher Restaurator beauftragt werden. Andererseits verursacht das Mehrkosten, die niemand erwartet hatte, „Wir stellen uns dem, denn die Malereien sind kulturhistorisch wertvoll“, sagt Steinert: „Aber das Finanzielle wird auf dem Rücken des Bauherrn ausgetragen.“ Die Töpfe beim Denkmalschutz seien leer, sodass er für die Mehrkosten keinen Zuschuss erwartet.

Die Malereien an den Wänden wurden Ende des 19. Jahrhunderts mit Öl-Wachs-Farben aufgebracht.
Die Malereien an den Wänden wurden Ende des 19. Jahrhunderts mit Öl-Wachs-Farben aufgebracht. © Martin Schneider

Insgesamt sollte die Sanierung der Altbauten an Berliner- und Salomonstraße knapp 27 Millionen Euro kosten, mit Neubauten und Tiefgarage sogar 60 Millionen. Durch die Ergebnisse der Ausschreibungen aber wird es ohnehin teurer. Wie hoch nun die Mehrkosten wegen der Malereien ausfallen werden, kann derzeit noch keiner abschätzen. Steinert und Reckzeh hoffen, dass sie die Summe von 100.000 Euro nicht übersteigen. Sicher ist das aber nicht. Die Kosten ergeben sich freilich nicht nur aus der Restaurierung. Weitaus schwerer wiegt, dass vieles umgeplant werden muss. „Und das erst jetzt, wo alle Planungsphasen eigentlich abgeschlossen sind und der Bau schon läuft“, sagt ter Braake. Viel einfacher wäre es gewesen, wenn die Malereien weitaus früher entdeckt worden wären.

Vor allem zwei gewaltige Veränderungen sind nötig. Zum einen sollte die Zwischendecke abgerissen und durch eine Betondecke ersetzt werden. Nun muss die Holzbalkendecke bleiben. „Das ist eine Herausforderung für den Brandschutz“, so Reckzeh. Das andere: Neben der Durchfahrt wird ein Saal errichtet. Der braucht Haustechnik. Geplant war, für all die Kabel und Rohre einen großen Schacht einzuziehen – und zwar dort, wo jetzt die Malereien gefunden wurden. Der Schacht muss nun umgeplant werden. Ziel ist es, ihn komplett aus dem Durchgang rauszunehmen, erklärt ter Braake: „Wir versuchen, an anderen Stellen einzelne Kanäle zu bauen.“

Die Malereien mit Leimfarben an der Decke stammen von 1879 und sind somit noch älter als die Wandmalereien.
Die Malereien mit Leimfarben an der Decke stammen von 1879 und sind somit noch älter als die Wandmalereien. © Martin Schneider

Die gute Nachricht: Weder der öffentliche Durchgang noch der Saal sind durch die Funde in Gefahr. Durch die Umplanung bei laufendem Baubetrieb wird es aber erheblich teurer. „Wir versuchen, es so zu lösen, dass inzwischen weiter gearbeitet werden kann“, sagt der Berliner Projektleiter. Das habe oberste Priorität. Gebaut werden soll jetzt von oben nach unten.

Die anderen Funde in den Gebäuden hingegen entsprechen den Erwartungen, sie wirbeln nichts durcheinander. So gibt es tatsächlich in vielen Treppenhäusern Malereien. Außerdem wurde direkt in der Durchfahrt viel Schwammbefall entdeckt – und zwar an der Wand zum Nachbarhaus Berliner Straße 43, dem einstigen Görlitzer Hof, der nicht zum Landratsamt gehört. „In beiden Häusern sind Schwammsperrmaßnahmen nötig“, sagt Steinert. Er hat inzwischen Kontakt zum Eigentümer der 43 aufgenommen und hofft, dass er mitmacht.

Wie es nun zeitlich weitergeht, ist noch nicht ganz klar. „Wir versuchen, diese Woche das Konzept festzuzurren“, sagt ter Braake. Bis Ende Oktober soll dann alles Rohbau-relevante geplant werden, die Details später. Zudem, ergänzt Reckzeh, „müssen wir einen Restaurator finden, der überhaupt Zeit hat, die Decke zu sichern.“