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Görlitzer Stadtrat bremst Investoren aus

Auf dem früheren Sportplatz am Mühlweg sollen 29 Wohnungen entstehen. Anderswo plant Lidl einen größeren Markt. Doch die Stadträte wollen beides nicht.

Von Ingo Kramer
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Der frühere Sportplatz Katze am Mühlweg soll mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden. Doch die Mehrheit des Stadtrates findet das nicht gut.
Der frühere Sportplatz Katze am Mühlweg soll mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden. Doch die Mehrheit des Stadtrates findet das nicht gut. © André Schulze

Es sind zwei Geschichten, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben: Auf dem zugewachsenen Dreiecks-Grundstück zwischen Mühlweg, Dr.-Kahlbaum-Allee und dem Ständehaus – da, wo einst die herrschaftliche Villa der jüdischen Familie Katz stand und später ein Sportplatz errichtet wurde – wollen Investoren insgesamt 29 Eigentumswohnungen in zwei mehrgeschossigen Wohnhäusern und eine Tiefgarage mit 40 Stellplätzen bauen.

So sieht der Lidl-Markt an der Ecke Zeppelinstraße/Christoph-Lüders-Straße in Görlitz derzeit aus. Lidl würde ihn gern wegreißen und größer neu aufbauen.
So sieht der Lidl-Markt an der Ecke Zeppelinstraße/Christoph-Lüders-Straße in Görlitz derzeit aus. Lidl würde ihn gern wegreißen und größer neu aufbauen. © Martin Schneider

Und auf dem Grundstück Christoph-Lüders-Straße 32/Ecke Zeppelinstraße will Lidl seinen Einkaufsmarkt mit 1.026 Quadratmetern Verkaufsfläche abreißen und an gleicher Stelle einen Neubau mit 1.418 Quadratmetern Verkaufsfläche errichten.

Eines haben beide Vorhaben aber dennoch gemein: Die Mehrheit der Görlitzer Stadträte ist dagegen und führt auch gewichtige Argumente für ihre Position auf. Aber nach dem Baurecht dürfen den Investoren die Pläne nicht verwehrt werden. Einzige Option: Der Stadtrat kann einen Bebauungsplan (B-Plan) über jedes Grundstück legen. Das ist ein in Deutschland übliches Planungselement. Im B-Plan legen Städte auf Beschluss ihres Stadtrates die gewünschten Nutzungen auf einem Grundstück fest.

Genau das soll nun bei diesen beiden Grundstücken passieren. Für beide beschlossen die Räte am Donnerstag die Aufstellung eines solchen B-Planes. Einzig die AfD und der fraktionslose Rat Jens Jäschke stimmten dagegen. Mit dem Aufstellungsbeschluss steht aber noch gar nichts fest, erläuterte Baubürgermeister Michael Wieler im Stadtrat: „Der Beschluss ist nur eine grobe Zielrichtung, was untersucht werden soll.“ Wenn das erledigt ist, muss der Stadtrat jeweils einen Satzungsbeschluss treffen. Er enthält verbindliche Aussagen für die beiden Grundstücke. Doch bis dahin können zwei Jahre ins Land gehen.

Veränderungssperre für zwei Jahre

Damit die Grundstückseigentümer innerhalb dieser zwei Jahre nicht einfach loslegen und somit vollendete Tatsachen schaffen, legten die Stadträte – erneut mit den Gegenstimmen von AfD und Jäschke – eine zwei Jahre gültige Veränderungssperre über beide Gebiete. Soll heißen: Innerhalb der nächsten zwei Jahre darf dort nichts Wesentliches verändert werden.

Für die Grundstückseigentümer beziehungsweise Investoren sind das schlechte Nachrichten. Im Wesentlichen sind sie mit ihren Plänen erst einmal für geraume Zeit ausgebremst. Und was in zwei Jahren ist, wie sich die Situation bis dahin entwickeln wird, kann heute ohnehin niemand sagen.

Fast 20 Prozent Leerstand

Aber worum geht es den Stadträten? Was wollen sie mit den Beschlüssen erreichen? Es sind für beide Vorhaben unterschiedliche Dinge. Bei dem Grundstück am Mühlweg sollen die geplanten 29 Wohnungen vor allem deshalb vermieden werden, weil es in Görlitz keine Wohnungsnot gibt. Ganz im Gegenteil. Bei der Leerstandszählung des Amtes für Stadtentwicklung im Jahr 2020 wurde ein gesamtstädtischer Wohnungsleerstand von 19,3 Prozent – insgesamt rund 6.200 Wohnungen – ermittelt. Verwaltung und Stadträte wollen, dass Denkmale saniert und bewohnt werden, anstatt weitere Wohnungen neu zu bauen.

„Sanierungsaktivitäten sollen weiterhin im Mittelpunkt der Stadtentwicklung stehen“, heißt es in der Vorlage der Stadtverwaltung. Und weiter: „Dies soll auch mit der Begrenzung des Wohnungsneubaus durch entsprechende Bauleitpläne begleitet werden.“ Die Görlitzer Maklerin Andrea Zarth, die für die Eigentümer – eine Investorengruppe – tätig ist, sieht das anders. In Görlitz mangele es an Eigentumswohnungen: „Es gibt jede Menge Interessenten, die in Görlitz gern etwas kaufen wollen, aber nichts finden.“ Wohnungen mit Aufzug, Stellplatz und Grünflächen in innerstädtischer Lage seien gefragt: „All das können wir hier bieten.“ Genau diese Punkte wären bei Gründerzeithäusern eben oft nicht zu erfüllen. AfD-Fraktionschef Lutz Jankus sieht das ähnlich: „Nicht jeder will in der Gründerzeit wohnen.“ Das seien oft große und hohe Wohnungen, die zudem beheizt werden müssten.

Ziel sind maximal neun Wohnungen

Aber letztlich scheiterte die AfD. Und im Aufstellungsbeschluss steht, was sich die anderen Stadträte und die Verwaltung für das Grundstück vorstellen können: Ein allgemeines Wohngebiet mit maximal neun Wohnungen, maximal drei Vollgeschossen – und alternativ auch Betriebe des Beherbergungsgewerbes inklusive Hotels, sonstige nicht störende Gewerbebetriebe und Anlagen für Verwaltungen.

Bei Lidl verhält sich die Sache anders. Hier verweist das Rathaus auf das Einzelhandels- und Zentrenkonzept von 2021. Demnach steht der Lidl-Markt in keinem zentralen Versorgungsbereich und ist auch kein Nahversorgungs- oder Ergänzungsstandort. Großflächige Einrichtungen mit nahversorgungsrelevantem Kernsortiment sollen aber nur in zentralen Versorgungsbereichen oder nach Einzelfallprüfung an Nahversorgungsstandorten zugelassen werden. Wieler fand dafür einfachere Worte: Die Stadt wolle Nahversorger in Wohngebieten, aber keine Auto-Versorger.

Auch hier widersprach AfD-Fraktionschef Jankus: Lidl wolle sein Sortiment doch gar nicht erweitern, sondern nur breitere Gänge anlegen, schließlich würden die Einkaufswagen ja immer breiter. Das ließ Wieler nicht gelten: „Kein anderer Supermarkt in Görlitz hat so breite Gänge wie dieser. Wer dort nicht mit zwei Wagen aneinander vorbeikommt, der hat ein anderes Problem.“ Das Argument der zu schmalen Gänge stimme schlichtweg nicht. Danilo Kuscher (Motor Görlitz) sah das genauso: „Es wäre eine unglaubliche Ressourcenverschwendung, den Markt abzureißen und einen neuen zu bauen, der 400 Quadratmeter größer ist.“ Tatsächlich ist der Lidl-Vorstoß eine Reaktion auf den beabsichtigten Bau des Rewe-Marktes im Werk 1. Nun lautet das Planungsziel des B-Plans für den Lidl-Markt: „Die Festschreibung der bestehenden Verkaufsfläche.“