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Kohleausstieg: "Weniger reden, mehr machen"

Auch der Görlitzer Landrat Bernd Lange steht in der Kritik wegen der kommunalen Kohleausstiegsprojekte. Dabei ist er selbst unzufrieden mit dem Strukturwandel. Warum, sagt er im SZ-Interview.

Von Sebastian Beutler
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Landrat Bernd Lange und Ministerpräsident Michael Kretschmer jüngst in Görlitz. Beim Strukturwandel gehen ihre Ansichten auseinander.
Landrat Bernd Lange und Ministerpräsident Michael Kretschmer jüngst in Görlitz. Beim Strukturwandel gehen ihre Ansichten auseinander. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die ersten kommunalen Kohleausstiegsprojekte in der Oberlausitz können Gelder beantragen. Der Bund hat sie gebilligt, nachdem sie vom regionalen Begleitausschuss im Juni beschlossen worden waren. Doch die Kritik an diesen Vorhaben reißt nicht ab.

Ob mit neuen Gehegen für den Görlitzer Tierpark, Wegeschildern in Boxberg oder Kitas in Herrnhut der Strukturwandel gelingen und neue Arbeitsplätze für die wegfallenden in der Kohle entstehen können, wird stark bezweifelt. Der Görlitzer Landrat Bernd Lange sitzt für den Kreis Görlitz in dem Ausschuss. Im SZ-Interview stellt er sich den Fragen.

Vom Sächsischen Innovationsbeirat bis zur IHK: Die Kritik an den ersten beschlossenen kommunalen Kohleausstiegsprojekten durch den Begleitausschuss ist enorm. Was läuft da schief?

Ich finde die Ergebnisse nicht so schlecht. Es war die erste Sitzung, wir stehen ganz am Anfang einer Entwicklung bis 2038, da muss man uns allen auch einen Lernprozess einräumen. Aber grundsätzlich ist eben ein Problem, dass die Gelder aus dem Kohleausstieg nicht zusätzlich in die Region kommen, sondern Summen aus anderen Förderprogrammen ersetzen. So war das aber nie gedacht.

Was folgt nach der Kohle in der Oberlausitz? Darüber gibt es eine politische Debatte,
Was folgt nach der Kohle in der Oberlausitz? Darüber gibt es eine politische Debatte, © Symbolbild: Jan Woitas/dpa

Bahnstrecken wie nach Berlin haben nichts mit Kohleausstieg zu tun

Wie dann?

Ich habe schon 2019 den Bund auf dieses Problem hingewiesen. Aber im Handlungskonzept für den Strukturwandel ist das nicht aufgenommen worden. Und der Bund war der Erste, der Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan nahm wie die B 178, die jetzt über den Kohleausstieg finanziert wird. Das Problem: Wir kommen nicht mit anderen Vorhaben wie dem Ausbau der B 115, der Verbindung von der A 4 zur A 15 oder der Mitteldeutschen Verbindung zwischen Leipzig und Weißwasser in den Bundesverkehrswegeplan, sondern die Gelder für die B 115 werden jetzt andernorts in Deutschland ausgegeben.

Sehen Sie das nicht zu kritisch. Die Bahnstrecke Berlin-Görlitz wäre mit zwei Milliarden Euro nie für den Schnellverkehr ausgebaut worden, wenn sich jetzt nicht die Möglichkeit über den Kohleausstieg eröffnet hätte?

Das ist wahr, ich bin auch gar nicht dagegen. Nur: Die Berliner Strecke war ja mal zweigleisig und für den Schnellverkehr ausgelegt. Aber durch die Reparationen an die Sowjetunion haben wir das zweite Gleis verloren. Wenn jetzt eben gesagt wird, dass durch den Kohleausstieg die Region zusätzlich Geld erhält, dann ist das aus meiner Sicht nicht ehrlich. Im Westen gab es nach dem Krieg den Marshallplan der Amerikaner, wir sind hier immer noch beschäftigt, die Infrastruktur-Nachteile aus der Entwicklung seit 1945 wieder aufzuholen. Das aber hat mit dem Kohleausstieg nichts zu tun. Das muss Deutschland sowieso leisten.

Was wäre denn Ihr Modell für die Kommunen gewesen?

Die Städte und Gemeinden, auch der Kreis Görlitz verlieren an Steuereinnahmen, wenn es keinen Ersatz für den Wegfall der Kohlearbeitsplätze gibt. Dadurch aber können Kommunen ihre Eigenanteile für wichtige Investitionen nicht mehr absichern. Ich hätte es gut gefunden, wenn die Kommunen die Kohleausstiegsgelder als Eigenmittel für andere Fördergelder nutzen hätten können. Beispiel: Bei Schulen fördert der Freistaat die Arbeiten mit 60 Prozent, 30 Prozent hätten die Kommunen aus dem Kohleausstieg erhalten, zehn Prozent hätten sie selber tragen müssen. Gerade Schulen sind wichtig, damit die Gegend attraktiv bleibt. Schulen, kommunaler Straßenbau oder Feuerwehrgerätehäuser dürfen nun aber gar nicht mit Kohleausstiegsgeldern finanziert werden. Ganz ähnlich bei Kita-Sanierungen. Die dürfen zwar, aber da bezahlen wir jetzt 90 Prozent der Kosten aus Kohlemittel. Der Freistaat spart dafür seine Fachförderung, die es für Kitas gibt und kann das Geld andernorts in Sachsen ausgeben. Also wieder nichts zusätzlich.

Kommunen brauchen ordentliche Finanzausstattung

Der Grund für den Ausschluss von Schulen, Feuerwehrgerätehäusern oder kommunaler Straßenbau ist, dass der Bund dafür nicht zuständig ist. Und da es hier um Bundesgelder geht, können sie dafür nicht verwendet werden. So ist die deutsche Finanzverfassung, zumal auch die Begehrlichkeiten anderer Bundesländer, die beispielsweise bei der Automobilfertigung auch vor großen Strukturveränderungen stehen, immens sind. Da wird sich also nichts ändern.

Das ändert aber nichts am Problem. Wenn die Kommunen nicht finanziell ordentlich ausgestattet werden, dann können sie ihre Attraktivität nicht erhöhen, damit die Leute hierbleiben. Daher plädiere ich für die Kombination. Wenn der Rahmen nicht passt, muss er geändert werden.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) errichtet in Weißwasser einen Neubau. Wirtschaftsminister Peter Altmaier wurden jüngst die Entwürfe präsentiert. Mehr als 200 Jobs hat der Bund bereits in der Stadt mit der Außenstelle des Bafas ang
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) errichtet in Weißwasser einen Neubau. Wirtschaftsminister Peter Altmaier wurden jüngst die Entwürfe präsentiert. Mehr als 200 Jobs hat der Bund bereits in der Stadt mit der Außenstelle des Bafas ang © Sabine Larbig

Ministerpräsident Kretschmer ist 2019 durch viele Gemeinen, auch im Kreis Görlitz gereist, und hat darum geworben, groß zu denken und sich mit pfiffigen Ideen zu bewerben. Warum ist da nichts geschehen?

Das sehe ich nicht so. Seit 2018 habe ich zusammen mit dem Bautzener Landrat Michael Harig versucht, grenzüberschreitende Strukturen für den Strukturwandel aufzubauen, damit wir für die gesamte Lausitz in Sachsen und Brandenburg gemeinsam planen und auch gegenüber dem Bund eine stärkere Rolle spielen können. Deswegen haben wir die Wirtschaftsregion Lausitz (WRL) gegründet, an der sich alle betroffenen Kreise beteiligt haben. Doch Sachsen hat dann einen Strategiewechsel vorgenommen und die Agentur für Strukturentwicklung gegründet (SAS).

Auch das angeblich, weil das für die Abrechnung der Gelder nicht anders ginge?

Zumindest haben sich die Dinge jetzt auch eingespielt, und wir finden dort auch gute Unterstützung. Auch beim Sächsischen Ministerium für Regionalentwicklung, auch wenn ich mir wünschen würde, dass es gegenüber dem Wirtschafts- oder Umweltministerium eine stärkere Rolle hätte. Aber was fehlt, sind einfach die großen Rahmenbedingungen, die von den Ländern vorgegeben werden. Planungsseitig fehlen da wichtige Grundlagen. Und auf der anderen Seite gehen wir nicht pragmatisch genug um. Ich versuche seit Jahren, die Bahn zur Elektrifizierung der Strecke Niesky-Görlitz zu bringen. Damit könnten wir nach Leipzig zum Flughafen schnell kommen, die Bahn könnte auch internationale Verbindungen über die Strecke aufbauen. Die kurze Strecke kostet 40 Millionen Euro. Und sie muss sowieso im Zuge der Investitionen in die Berliner Strecke elektrifiziert werden. Aber es führt kein Weg hinein, weil - wie sich jetzt herausstellt - der Strom nicht reicht und niemand dieses Problem beheben will. Dabei könnten wir damit schnell das Signal an die Menschen senden, es bewegt sich was.

Der Start des binationalen Casus-Forschungsinstitut in Görlitz wurde aus den Sofortgeldern des Kohleausstiegs finanziert. Institutsleiter Dr. Michael Bussmann kann nun auf eine schnelle Entwicklung des Instituts verweisen. An diesem Sonnabend können sich
Der Start des binationalen Casus-Forschungsinstitut in Görlitz wurde aus den Sofortgeldern des Kohleausstiegs finanziert. Institutsleiter Dr. Michael Bussmann kann nun auf eine schnelle Entwicklung des Instituts verweisen. An diesem Sonnabend können sich © Miriam Schönbach/dpa-Zentralbild

Mir ging es eher um die kommunalen Projekte. Die ersten beschlossenen zeichnen sich ja nun nicht gerade durch große Innovationskraft aus.

Für mich ist das Wichtigste, dass wir mit den Strukturgeldern Defizite ausgleichen. Vor allem in der Infrastruktur, denn Firmen dürfen wegen des Beihilfeverbots aus diesem Topf nicht direkt gefördert werden. Aber der Rahmen passt dann eben nicht, wenn die Kommunen nicht Straßen bauen können mit diesen Geldern. Gerade jetzt, wo der Freistaat seine Mittel gekürzt hat, wäre das ein guter Ausgleich für uns.