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Nahverkehr: So wollen andere Städte an Geld kommen

Görlitz hofft auf 67 Millionen Euro aus dem Kohleausstieg. Die Neißestadt kann dabei von anderen lernen.

Von Ingo Kramer
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In Cottbus sollen, ähnlich wie in Görlitz, neue Straßenbahnen angeschafft werden.
In Cottbus sollen, ähnlich wie in Görlitz, neue Straßenbahnen angeschafft werden. © lausitznews.de

Das Nahverkehrsprojekt ist so innovativ wie umstritten: Nachdem der Görlitzer Antrag beim ersten Anlauf am 29. Juni noch einmal zurückgestellt wurde, soll es nun doch noch klappen. Die Neißestadt hofft auf 67 Millionen Euro aus dem Kohleausstieg, um davon ihren Nahverkehr grundlegend zu modernisieren.

Für den zweiten Anlauf hat Görlitz seinen Antrag neu zusammengestellt und formuliert. Dabei geht es nicht nur um neue Straßenbahnen, sondern auch um autonomes Fahren, Wasserstoffantrieb, um moderne Kundeninformation, die Vernetzung mit dem Umland, die Klimawende. Der regionale Begleitausschuss muss auf seiner nächsten Sitzung am 3. November in Hoyerswerda nun darüber entscheiden.

Die Görlitzer Straßenbahnen sind veraltet. Doch für neue Niederflurwagen war bisher kein Geld da.
Die Görlitzer Straßenbahnen sind veraltet. Doch für neue Niederflurwagen war bisher kein Geld da. © André Schulze

Kritik kommt vor allem von den Bürgermeistern im Norden des Landkreises, allen voran Torsten Pötzsch aus Weißwasser. Wie die Lausitzer Rundschau kürzlich berichtete, entsteht für Pötzsch der Eindruck, dass mit dem Kohlegeld „alte Projekte, die nie finanzierbar waren, nun umgesetzt werden sollen.“ Das ist nicht gelogen: Görlitz plant tatsächlich schon lange, seinen Nahverkehr zu modernisieren, bisher scheiterte das jedoch am Geld. Doch andererseits: Wenn sich jetzt mit dem Kohlegeld endlich die Chance bietet, warum sollte Görlitz sie verstreichen lassen? Vermutlich wird es eine solche Chance so schnell kein zweites Mal geben.

Und: Görlitz ist bei Weitem nicht die einzige Stadt, die mit Geldern aus dem Kohleausstieg ihren Nahverkehr modernisieren will. Die SZ hat Beispiele aus anderen Städten zusammengetragen, von denen Görlitz zum Teil sogar lernen kann.

Hoyerswerda: Alles soll rein elektrisch angetrieben werden

Die Verkehrsgesellschaft Hoyerswerda (VGH) möchte das erste Verkehrsunternehmen in Sachsen, vielleicht sogar in Ostdeutschland werden, das über eine 100-prozentig rein elektrisch angetriebene Fahrzeugflotte verfügt. Über den Strukturwandel hofft die VGH, in den Genuss einer 90-Prozent-Förderung zur Neubeschaffung zu kommen. Immerhin handelt es sich um 23 Fahrzeuge zu je rund einer halben Million Euro Anschaffungskosten. Wie VGH-Geschäftsführer Stefan Löwe die Mitglieder des Technischen Ausschusses informierte, sei der entsprechende Antrag gestellt. Befunden wird darüber wohl erst im kommenden Jahr.

Auf SZ-Nachfrage bestätigt Löwe: „Es lagen ,unfertige Pläne’ in der Schublade, die wir im Rahmen unseres Förderantrages für den Strukturwandel weiterqualifiziert und fertiggestellt haben.“ Als moderner Mobilitätsdienstleister verfolge die VGH alle Entwicklungen in der Mobilität: „Deshalb prüfen wir schon länger die Eignung von Elektrobussen für den Stadtverkehr in Hoyerswerda.“ Über allem stehe natürlich die Frage, wie das zu bezahlen ist. „Dazu prüfen wir fortlaufend alle relevanten Förderprogramme“, so Löwe. Nachdem die Förderrichtlinie für den Strukturwandel veröffentlicht wurde, habe die VGH hier sehr schnell viele Übereinstimmungen gefunden. Für Löwe steht fest: „Ohne Mittel aus dem Strukturwandel wäre das Projekt kaum umsetzbar – schon gar nicht in der jetzt geplanten Zeit von vier Jahren.“

Cottbus: 15 neue Straßenbahnen sollen angeschafft werden

Die Stadt Cottbus plant die Netzerweiterung zwischen der Universität und dem Technologie- und Industriepark. Außerdem sollen die Takte verdichtet werden. „Das heißt, Straßenbahnen sollen zukünftig nicht mehr nur im 15-Minuten- sondern im 10-Minuten-Takt fahren“, erklärt Mary-Ann Basto von der Stadtverwaltung auf SZ-Nachfrage. Unter dem Projekttitel „Die Straßenbahn als Baustein der Strukturentwicklung“ sei dafür die Beschaffung von 15 zusätzlichen Straßenbahnfahrzeugen notwendig. Bei der Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG) sei der Auftrag bestätigt worden. Jetzt befinde sich die Stadt gemeinsam mit Cottbusverkehr in der Antragstellung und Bearbeitung bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB).

Der Netzausbau kostet nach ihrer Aussage 30,5 Millionen Euro, die Bedienung neuer Teilstrecken und die Takterhöhung 36 Millionen Euro. In Summe ergibt sich also exakt der gleiche Preis wie in Görlitz.

In Cottbus lagen keine Pläne in der Schublade, aber mit dem Umdenken hinsichtlich einer doch wieder wachsenden Stadt und der Verabschiedung des Nahverkehrsplanes im Jahr 2018 wurden Untersuchungen hinsichtlich des Netzausbaus festgeschrieben. „Durch die Strukturwandelprojekte und die Ansiedlungen bekam das Ganze nun den entscheidenden Push“, erklärt die Sprecherin.

Leipzig: S-Bahn-Linie soll verlängert werden

Der Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) will eine S-Bahnlinie von Leipzig über Grimma nach Döbeln verlängern und außerdem Dieselfahrzeuge durch solche mit alternativem Antrieb ersetzen. In der ersten Runde des Begleitausschusses Mitteldeutsches Revier im Sommer wurde bereits die Förderfähigkeit des 104 Millionen Euro-Projektes festgestellt. Wie ZVNL-Geschäftsführer Bernd Irrgang auf SZ-Nachfrage mitteilt, liegt ihm noch kein Bescheid über die Fördersumme vor. Stattdessen laufe zurzeit das eigentliche Antragsverfahren.

Bereits 2013 sollten Grimma und Döbeln eingebunden werden, erklärt er. Das sei damals aber nicht möglich gewesen, weil Dieselfahrzeuge nicht im City-Tunnel verkehren dürfen, die Strecke nicht elektrifiziert war und Fahrzeuge mit alternativen Antrieben nicht zur Verfügung standen. Als sich abzeichnete, dass es mit alternativen Antrieben Chancen gibt, habe der ZVNL das Thema ab 2019 intensiver bearbeitet. Ohne Fördermittel werde es nicht gehen.

Fazit: Görlitzer Bewerbung hat Vorbilder und ist legitim

Natürlich kann Pötzsch jetzt sagen, Hoyerswerda, Cottbus und der Raum Leipzig sind beim Kohleausstieg kernbetroffenes Gebiet. Der Gesetzgeber hat aber kein solches kernbetroffenes Gebiet vorgesehen, sondern das Fördergebiet umfasst in der Oberlausitz die gesamten Landkreise Bautzen und Görlitz. Die Kreisstadt wäre also dumm, diese Chance nicht zu nutzen.