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Sind Sie geimpft, Frau Taube?

In der Hausarztpraxis in Berthelsdorf ist der pandemiebedingte Beratungsbedarf bei den Patienten sehr hoch. Ein Teil der Serie "Ich & Wir".

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Ute Taube, 52, stammt aus der Oberlausitz, hat in Leipzig Humanmedizin studiert und in den 90er-Jahren ihre Facharztausbildung in Kliniken und Praxen im Westen Deutschlands absolviert. Ihre Praxis in Berthelsdorf übernahm sie im September 2002.
Ute Taube, 52, stammt aus der Oberlausitz, hat in Leipzig Humanmedizin studiert und in den 90er-Jahren ihre Facharztausbildung in Kliniken und Praxen im Westen Deutschlands absolviert. Ihre Praxis in Berthelsdorf übernahm sie im September 2002. © Ronald Bonß

Ja, ich bin geimpft. Und gleich am ersten Tag, als offiziell in den Hausarztpraxen mit dem Impfen gegen Corona begonnen wurde, haben wir von 8.30 Uhr bis abends 19 Uhr Impfungen verabreicht. Die Lieferkette funktionierte reibungslos. Wir bekamen den Impfstoff frühmorgens aus der Apotheke – erstaunlicherweise die höchstmögliche Bestellmenge pro Praxis. Wir haben uns gut vorbereitet, indem wir bereits im Vorfeld Patientenlisten nach Priorisierungsgruppen erstellt haben, um dann nach dem Impfstart gezielt einladen zu können. Auch der Ablauf unserer Impfsprechstunden wurde vorab geplant. Das Angebot wird gern angenommen. Schließlich ist Impfen in der Hausarztpraxis nichts Neues, sondern fester Bestandteil des Praxisalltags und unseren Patientinnen und Patienten vertraut. Ihr Interesse an der Corona-Schutzimpfung können sie schon mal anmelden, auch wenn ich ihnen heute sagen muss, dass noch nicht jeder in den nächsten Tagen geimpft werden kann.

Auch das Testen stellt derzeit ein wesentliches Element unserer Tätigkeit dar, beispielsweise bei Infektionsverdacht, für Einweisungen in Krankenhäuser, vor geplanten Reha-Maßnahmen. Meine Mitarbeiterinnen und ich testen uns regelmäßig. Selbstverständlich tragen wir FFP2-Masken und bei verschiedenen Untersuchungen und Behandlungen zusätzlich Schutzkittel, Schutzbrille und Handschuhe in der Praxis, beim Hausbesuch und bei der Visite im Pflegeheim, um unsere Patienten und uns zu schützen.

Der Beratungsbedarf, den alle Patienten, ob junge Eltern oder Senioren zur Corona-Pandemie haben, ist seit nunmehr einem Jahr groß und facettenreich. Dafür braucht es Zeit und so haben wir unseren „ Normalbetrieb“ teilweise anders organisiert. Dabei hilft die Telefonsprechstunde, dabei hilft auch die Möglichkeit, jemanden, der uns wegen eines Atemwegsinfekts anruft, krankschreiben zu können. Diese Maßnahme wurde unter Ärzten und Ärztinnen kontrovers diskutiert, denn Missbrauch ist nicht ausgeschlossen. Ich bin da ja eher eine Optimistin und gehe grundsätzlich davon aus, dass meine Patienten ehrlich zu mir sind. In den meisten Fällen ist es dennoch sinnvoller, wenn möglich, in unsere zusätzlich eingerichtete Infektionssprechstunde zu kommen, weil bei einer Untersuchung in der Praxis die Befunderhebung umfassender und konkreter erfolgen kann.

Vor einem Jahr fragten die Patienten am häufigsten: Wo muss ich mich melden, wenn ich Symptome habe? Ich könnte Kontaktperson gewesen sein – wie muss ich mich jetzt verhalten? Jetzt informieren sie sich bei uns vor allem über Tests und Impfungen. Außerdem waren wir zu Beginn der Pandemie nicht selten mit dem Problem konfrontiert, dass chronisch kranke Patienten nicht mehr in die Praxis kommen wollten, obwohl sie dringend eine Untersuchung benötigten. Einige hatten und haben Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Ich habe ihnen dann erklärt, warum ich sie trotzdem sehen muss, habe versucht, Sicherheit zu vermitteln. Natürlich kann es trotz extra Infektionssprechstunde und Hygienekonzept in der Praxis keine 100-prozentige Sicherheit geben, das ist ja ganz klar.

Wir müssen uns immer wieder neu anpassen

Aber wir haben einige Maßnahmen ergriffen, um so viel Sicherheit wie möglich herzustellen. Unter anderem wurde unser Bestellsystem verändert, damit sich nicht zu viele Patienten gleichzeitig in der Praxis aufhalten. Wir haben priorisiert, welche Untersuchungen unbedingt zeitnah durchgeführt werden müssen und welche noch etwas warten können. Wichtige Informationen zum Praxisbetrieb während der Pandemie für die Patienten haben wir in einem Flyer zusammengestellt. Selbstverständlich sind die AHA-L-Regeln Pflicht in der Praxis.

Der Verlauf der Pandemie ist dynamisch und erfordert immer wieder eine Anpassung von Handlungskonzepten an die jeweils aktuelle Situation. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn über das Virus und das Krankheitsbild, welches durch eine Infektion hervorgerufen wird, erfolgt genauso dynamisch. Demzufolge lernen wir Ärztinnen und Ärzte quasi jeden Tag etwas Neues darüber hinzu.

Es braucht eine klare Struktur in den Arbeitsabläufen, um allen Versorgungsaufgaben in der Hausarztpraxis gerecht zu werden. Die Akutsprechstunden kann man nicht planen, da stellen wir uns der jeweiligen Situation. In meinem Team arbeiten eine angestellte Ärztin, insgesamt acht Krankenschwestern bzw. Medizinische Fachangestellte und Raumpflegerinnen. Achtsamkeit uns selbst gegenüber ist wichtig. Wir können weder die Pandemie bewältigen noch unsere Patienten umfassend medizinisch versorgen, wenn Ärzte und Mitarbeiterinnen nicht mehr leistungsfähig sind.

Das gilt nicht nur in der Hausarztpraxis, sondern auch für Ärzte, Pflegepersonal und alle Mitarbeiter in Krankenhäusern und auf Intensivstationen, die derzeit bis an ihre Belastungsgrenzen gefordert sind.

Wir Hausärzte sind in der Regel der erste Ansprechpartner für die Patienten. Ungefähr zehn Prozent der an Covid-19 Erkrankten werden stationär aufgenommen, die Mehrheit der Betroffenen wird mit leichten und mittelschweren Symptomen ambulant behandelt. Wir übernehmen zunächst Diagnostik und Therapie. Eine Einweisung in ein Krankenhaus kann sofort oder im Verlauf der Erkrankung erforderlich sein. In Sachsen werden im ambulanten und stationären Bereich verschiedene Studien durchgeführt, um anhand der Ergebnisse u. a. Diagnostik und Therapieoptionen der Covid-19 Erkrankung weiterentwickeln zu können. Während der zweiten Welle von November bis Januar war der Landkreis Görlitz, speziell auch die Gegend um Herrnhut, Corona-Hotspot.

Viele Einrichtungen der Altenpflege, Wohn- und Werkstätten für Menschen mit Handicap waren betroffen. Soweit ambulant möglich, wurden die erkrankten Bewohner in den Einrichtungen behandelt. Auch in dieser Zeit waren Kita und Schule geschlossen. Meinen Mitarbeiterinnen kann ich definitiv kein Homeoffice anbieten. Trotzdem ist es uns bisher immer gelungen, die Situation auch diesbezüglich zu meistern.

Große Angst vorm Krankenhaus

Oft spenden wir auch Trost, fangen so gut wir können die Emotionen auf, wenn Tränen fließen, weil wir jemanden ins Krankenhaus einweisen müssen. Nicht selten hören wir: „Bitte, jetzt nicht ins Krankenhaus. Sonst sehe ich meine Familie vielleicht nie wieder“. Aber manchmal gibt es eben keine Alternative zur stationären Behandlung. Ein Herr erzählte mir, dass er seit acht Wochen seine Frau nicht gesehen habe wegen der Besuchseinschränkungen. Oft wurde ich von Angehörigen gefragt, wie es ihren Verwandten im Altenheim gerade geht, wenn sie wussten, dass ich zum Hausbesuch dort gewesen war. In meinem Patientenkreis haben viele einen Angehörigen durch die Covid-19-Krankheit verloren, nicht selten waren es Heimbewohner, die lange Zeit keinen Besuch haben durften, auch dann nur sehr eingeschränkt, als ihr Leben zu Ende ging. Die Mutter, den Vater in den letzten Stunden begleiten zu können, das wünschen sich viele. Begleitung, Abschiednehmen und Trauern müssen Betroffene gerade sehr befremdlich durchleben, denn zurzeit sind Beerdigungen und Trauerfeiern nur im kleinsten Kreis erlaubt, kein Händedruck, keine Umarmung ...

Als Palliativmedizinerin arbeite ich im Hospiz und im SAPV-Team Oberlausitz (spezialisierte ambulante Palliativversorgung) mit. Diese Qualifikation habe ich nach der Facharztweiterbildung erworben, weil die Versorgung der Patienten in der letzten Lebensphase in der Tätigkeit der Hausärzte eine wichtige Rolle spielt.

Hausärztin zu sein war mein Wunsch schon im Studium. Als Ärztin im Praktikum und später als Assistenzärztin begann ich mein Berufsleben in den 90er-Jahren in Kliniken und in einer Hausarztpraxis in Baden-Württemberg, weil ich einmal „über den Tellerrand hinausblicken“ wollte. Ich möchte diese Zeit nicht missen. Aber als das Angebot kam, hier in meiner Heimat eine eigene Praxis zu übernehmen, habe ich nicht gezögert. Ich liebe das Leben auf dem Land, hier bin ich zu Hause, hier ist meine Familie. Nun kenne ich die meisten meiner Patienten schon so lange Jahre, und das Miteinander ist von gegenseitiger Wertschätzung geprägt.

Auch wenn wir jetzt regelmäßig testen und gegen Corona impfen, sind noch viele Fragen offen. Wie in jeder Krise, so zeigen sich auch jetzt die Stärken und Schwächen einer Gesellschaft wie in einem Brennglas. In Sachen Digitalisierung haben wir ordentlich aufzuholen. Aber klar geworden ist auch, dass unser Gesundheitssystem sehr gut aufgestellt ist, auch im internationalen Vergleich. Allerdings heißt das nicht, dass es in diesem Bereich keinerlei Probleme gibt. Nachwuchsgewinnung zum Beispiel ist nach wie vor ein bedeutsames Thema. Was ich wünsche: Dass wir endlich zu klaren Regelungen kommen von politischer Seite. Wir haben es im ganzen Land mit dem gleichen Erreger zu tun. Es braucht ein weitgehend einheitliches Grundkonzept. Das Virus ist und bleibt tückisch. Ein Flickenteppich an Maßnahmen ist meiner Meinung nach gefährlich.

Notiert von Birgit Grimm.

In der Reihe „Ich & Wir“ erzählen Menschen aus Sachsen, wie sie die Brüche in der Gesellschaft erleben.

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