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Lage bei den Neurologen verschärft sich

In Löbau ist ein Facharzt in den Ruhestand gegangen - mit 80. Auch im Raum Bautzen haben Kollegen aufgehört. Warum sich trotzdem kein neuer Arzt niederlassen darf.

Von Romy Altmann-Kuehr
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Wieder hat eine Arztpraxis ohne Nachfolger schließen müssen: Der Löbauer Mediziner Reinhard Wolf hat jetzt seine Praxis aufgegeben - mit fast 80 Jahren. Noch bis Anfang Juli praktizierte der Facharzt für Psychiatrie und Neurologe im Löbauer Ärztehaus an der Breitscheidstraße. Bis September sind seine Mitarbeiterinnen nun noch vor Ort, wickeln die Praxis ab, erledigen Büroarbeiten.

Die Patienten, die Dr. Wolf bisher betreute, hängen nun kurzfristig in der Luft. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsens (KVS) ist auch kein neuer, zusätzlicher Arztsitz für einen Neurologen mehr frei im Raum Löbau-Zittau. Mediziner können sich nicht einfach mit einer Praxis niederlassen, wo sie möchten. Die Krankenkassen ermitteln, ob eine Region mit Ärzten bestimmter Fachrichtungen ausreichend versorgt ist - rein rechnerisch. Je nachdem werden Zulassungen erteilt oder aber abgelehnt. Nur mit einer Zulassung können die Ärzte ihre Leistungen über die Krankenkassen abrechnen.

Eine Neuzulassung von Ärzten aus dem Fachgebiet der Neurologie sei derzeit im Raum Löbau-Zittau nicht ohne Weiteres möglich, heißt es von der KVS auf Nachfrage. Lediglich für Ärzte, die den Bereich Neurologie und Psychiatrie gleichzeitig abdecken, sei eine freie Stelle zur Neubesetzung vorhanden.

So könnte theoretisch ein Interessent die Stelle von Dr. Wolf übernehmen. Sie sei zur Nachbesetzung ausgeschrieben, informiert die KVS.

KVS verhängt Zulassungssperre für Neurologen

Laut der Kassenärztlichen Vereinigung ist die Region mit Nervenärzten sogar überversorgt: bei 121 Prozent liegt der Versorgungsgrad. Den Versorgungsgrad ermittelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach einem sehr komplexen Berechnungssystem. Die Einwohnerzahl, Alters- und Geschlechterstruktur in der Bevölkerung einer Region spielen dabei eine Rolle. Und auch, welche Krankheiten wie oft vorkommen in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. So werden bei den Frauenärzten zum Beispiel nur die Frauen zur Berechnung herangezogen, bei Kinder- und Jugendärzten nur die Minderjährigen unter 18 Jahren.

Bis zu einem Versorgungsgrad von 110 Prozent lässt die Kassenärztliche Vereinigung neue Arztstellen zu. Darüber hinaus wird eine Sperre verhängt, sodass grundsätzlich keine Neuzulassungen möglich sind. Für den Raum Löbau-Zittau gilt also im Bereich der Nervenärzte bereits eine solche Sperre.

Für Patienten in Löbau-Zittau klingen diese theoretischen Berechnungen wie Hohn. Denn die tägliche Praxis sieht ganz anders aus. Kranke warten Monate auf einen Termin bei Fachärzten, wie eben Neurologen - oder werden gar nicht mehr aufgenommen. Erst im vorigen Jahr ging eine Neurologin in Zittau ohne Nachfolger in den Ruhestand. Zwar zog kurz danach Neurologin Kyra Ludwig aus Seifhennersdorf nach Zittau um. Sie wechselte aber nur den Standort und brachte ihren Patientenstamm mit. Nach der Schließung der Kollegin rannten die Patienten ihr die Türe ein, Frau Ludwig musste Patienten abweisen.

Ärzte arbeiten bis ins hohe Alter

Und auch jetzt können die Berufskollegen von Dr. Wolf keine neuen Patienten aufnehmen, bestätigt Dr. Torsten Werner. Der Neurologe führt seit sechs Jahren seine Praxis in Löbau an der Bahnhofstraße. Der Wegfall von Dr. Wolfs Praxis stellt ihn und die verbliebenen Kollegen in Löbau-Zittau vor eine unlösbare Aufgabe. Aktuell gibt es nun vier Neurologen, zählt Werner auf: neben ihm sind das jeweils einer in Zittau, Herrnhut und Neugersdorf. Dem gegenüber stehen rund 4.000 Patienten pro Quartal, die betreut werden müssen. Und Dr. Werner hat in seiner Praxis täglich etwa fünf bis zehn Anfragen neuer Patienten, die er nicht mehr aufnehmen kann.

"In der Neurologie werden vorwiegend chronisch kranke und nur selten heilbare Patienten betreut, die regelmäßig - quartalsweise, halbjährlich oder jährlich - in die Praxis kommen", sagt Dr. Werner. Gibt es zu wenige Ärzte führe das dazu, dass neue Termine erst in sechs bis neun Monaten vergeben werden können. "Egal, wie clever Sie planen oder Ihre Termine organisieren. Es müsste dann jemand wegziehen oder sterben, damit ein neuer Patient aufgenommen werden kann." Ständig Patienten abzusagen, führe auch zu einer erheblichen Frustration bei allen Praxismitarbeitern. "Wir haben ja diese Berufe ergriffen, um zu helfen und nicht, um erforderliche Hilfe abzulehnen."

Schon vor drei Jahren hatte Dr. Werner sich an die KVS gewandt mit einer selbst erstellten Analyse. Denn auch er wollte wissen: Warum ist die Diskrepanz zwischen den theoretischen Bedarfsberechnungen und der Realität so groß? Nach seinen Ermittlungen von damals geht Torsten Werner davon aus, dass im Gebiet Löbau-Zittau bis zu 30.000 Patienten mit neurologischen Erkrankungen zu versorgen sind - also rund jeder vierte. Das macht er an den sogenannten Prävalenzzahlen fest. Das ist die Rate derer, die an einer bestimmten Krankheit leiden. Demenz, Migräne, Schlaganfall, Epilepsie oder Parkinson sind das zum Beispiel auf dem Gebiet der Neurologie.

Hinzu kommt noch die angespannte Situation in den Nachbarregionen. Ein Großteil von Dr. Werners Patienten kommt bereits aus dem Raum Bautzen und Görlitz. Denn nicht nur Dr. Wolf ist nun in den Ruhestand gegangen, sondern weitere Fachkollegen im Umkreis, zum Beispiel in Bautzen und Schirgiswalde. Auch deren Patienten brauchen einen neuen Facharzt. Sie werden aber hier nicht berücksichtigt, sondern zählen zum Versorgungsgebiet Bautzen.

Der Fall von Dr. Wolf aus Löbau, der noch bis ins hohe Rentenalter arbeitete, um seine Patienten so lange wie möglich zu versorgen, ist ein besonders gravierendes Beispiel - aber bei Weitem kein Einzelfall. Viele Mediziner arbeiten bis ins hohe Alter, oft mangels Nachfolge. Laut Auskunft der KVS sind aktuell 20 Mediziner, die als Vertragsärzte im Raum Löbau-Zittau tätig sind, bereits über 65 Jahre alt. Laut Übersicht der KVS werden im nächsten Jahr im Raum Löbau für drei Hausarzt-Praxen Nachfolger gesucht. Eine Praxis wird bereits ab Januar 2022 abgegeben, zwei weitere Mitte des Jahres.

Freistaat will Medizin-Studenten mit Zuschüssen locken

Nachfolger zu finden, wird dabei immer schwieriger, bei den Fach- wie den Hausärzten. Deshalb gibt es inzwischen diverse Förderprogramme, um Mediziner gerade in ländliche Regionen zu locken. So gibt es zum Beispiel das Sächsische Hausarztstipendium, bei dem Medizinstudenten vom Sozialministerium mit 1.000 Euro monatlich gefördert werden. "Dafür machen die Absolventen nach abgeschlossenem Medizinstudium eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und sind anschließend für mindestens sechs Jahre als Hausarzt im ländlichen Raum Sachsens außerhalb der Städte Dresden/Radebeul und Leipzig tätig", erklärt ein Sprecher der KVS.

Zudem gibt es das Modellprojekt „Studieren in Europa – Zukunft in Sachsen“, das die KVS zusammen mit der Uni im ungarischen Pécs ins Leben gerufen hat. Seit 2013 werden in den Studiengängen jeweils 20 Studenten gefördert, die das Medizinstudium im deutschsprachigen Studiengang Humanmedizin an der Universität Pécs aufnehmen. Diese Studenten verpflichten sich nach Abschluss ihres Medizinstudiums, sich als Hausarzt im ländlichen Raum Sachsens niederzulassen.

Merkliche Verbesserungen haben sich durch diese Maßnahmen vor Ort im Südkreis noch nicht eingestellt - obwohl der Freistaat sogar noch tiefer in die Tasche greift gegen den Ärztemangel: Bis zu 100.000 Euro Zuschuss können Ärzte erhalten für eine Praxis. Das gilt aber eben nur, wenn die Kassenärztliche Vereinigung eine Unterversorgung feststellt - oder aber in einer Region besonderen Bedarf sieht. Für Neurologen ist das aber in Löbau-Zittau eben nicht der Fall.

Doch selbst, wenn die KVS die Bedarfszahlen anpassen würde, fürchtet Neurologe Torsten Werner, bliebe weiterhin das Problem, Ärztenachwuchs für die Region zu finden.