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"Das schmerzt schon noch"

In ihrer Bibliothek war Barbara Lenk glücklich. Dass sie für die AfD aus Meißen in den Bundestag einziehen möchte, ist Folge einer schwierigen Erfahrung.

Von Peter Anderson
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Im Wahlkreis Meißen bewirbt sich mit Barbara Lenk eine der wenigen Frauen in der AfD am 26. September um ein Bundestagsmandat.
Im Wahlkreis Meißen bewirbt sich mit Barbara Lenk eine der wenigen Frauen in der AfD am 26. September um ein Bundestagsmandat. © Claudia Hübschmann

Meißen. Das Wetter spielt nicht mit. Immer wieder rauschen Regenschauer an diesem frühen Abend über den Meißner Heinrichsplatz. Den langsam eintrudelnden Mitgliedern und Sympathisanten der AfD kann das die Laune nicht verderben. Offenbar kennt hier jeder jeden. Zur Begrüßung gibt es einen kräftigen Handschlag. Mit geübten Griffen wird schnell ein Pavillon für die Gäste der heutigen Wahlkampfveranstaltung aufgebaut, das Rednerpult platziert und mit kleinen Mineralwasserflaschen bestückt.

Aus Radebeul kommt der Landtagsabgeordnete René Hein vorbeigeschaut. Aus dem Bundestag haben sich die beiden sächsischen Parlamentarier Andreas Maier mit modischem Sommerfesthut und Detlev Spangenberg in hellem Trenchcoat auf den Weg gemacht. Einzige Frau in der Runde: die Meißner Bundestagsbewerberin Barbara Lenk. Hochgewachsen ragt sie teilweise über ihre Parteifreunde heraus. Zu dunklen Hosen trägt sie einen passenden Blazer. Sie und Carolin Bachmann aus Mittelsachsen sind die einzigen beiden Frauen auf der 16 Namen umfassenden sächsischen Direktbewerberliste der Alternative.

Etwas Zeit bleibt noch, bis die ersten Reden geschwungen werden. Gelegenheit für ein Gespräch im Eiscafé Venezia gegenüber. Eine italienische Großfamilie beendet dort gerade ihr Nachmittagstreffen. Wie der Wahlkampf angelaufen ist? So lautet die erste Frage zum Warmwerden bei einer großen Tasse Milchkaffee. Tatsächlich gehört die gebürtige Dresdnerin, Jahrgang 1982, zu den frühen Startern. Kaum ein anderer der insgesamt elf Kandidaten im Land- und Wahlkreis Meißen hat so zeitig begonnen, für sich zu werben. Infostände auf Wochenmärkten und Veranstaltungen mit mehreren Rednern, verteilt über die gesamte Region, füllten und füllen wöchentlich den Kalender.

Barbara Lenk berichtet von einem überwiegend positiven Feedback. Die Menschen beschäftige die Frage, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen werde. Drohe im Herbst ein erneuter Lockdown? Wie stark leide die Wirtschaft unter der Pandemie? Weshalb würden Proteste gegen die staatlichen Corona-Auflagen anders behandelt, als etwa eine Parade zum Christopher Street Day in Berlin?

Die eigene Biografie als Trumpf

Die Gespräche am Stehtisch, die wöchentlichen Auftritte als Rednerin – all dies nutzt die in Klipphausen lebende junge Frau als Gelegenheiten, dazuzulernen und lockerer zu werden. Noch gar nicht so lange ist es her, als sie im Februar auf dem Landesparteitag in der Dresdner Messe vor Hunderten von Delegierten sprechen durfte. Das Herzklopfen ist seitdem etwas leiser geworden. Routine hilft, das Lampenfieber vor dem Mikrofon niedrig zu halten.

In ihrer später auf dem Heinrichsplatz folgenden Rede wird Barbara Lenk stark herausstellen, dass sie keine Berufspolitikerin sei, sondern "etwas Richtiges" studiert und hart in der Praxis gearbeitet habe. Tatsächlich weist die AfD-Politikerin eine ganz andere Biografie auf als etwa der CDU-Mitbewerber Sebastian Fischer oder der frühere Radebeuler FDP-Bundestagsabgeordnete Jan Mücke. Beide arbeiteten über die Junge Union und die Jungliberale Aktion zielstrebig auf ein Parlamentsmandat hin. Dass Lenk nun für die AfD aus Meißen in den Bundestag einziehen möchte, ist dagegen die Folge einer schwierigen Erfahrung.

Ursprünglich machte Barbara Lenk als Bibliothekarin Karriere. Dass sie wegen einer AfD-Kandidatur die Bibliothek der Hochschule für Bildende Künste in Dresden verlassen musste, bewegt sie bis heute.
Ursprünglich machte Barbara Lenk als Bibliothekarin Karriere. Dass sie wegen einer AfD-Kandidatur die Bibliothek der Hochschule für Bildende Künste in Dresden verlassen musste, bewegt sie bis heute. © (c) Christian Juppe

Anschließend an das Abitur am Beruflichen Gymnasium in Meißen studierte sie Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Abschluss mit 1,5. Nach ersten Arbeitsjahren in der Bibliothek der Hochschule für Musik Nürnberg übernahm sie dort den Chefposten. Es folgten berufsbegleitend ein Masterabschluss und der Wechsel nach Dresden auf die Leiterstelle an der Bibliothek der Hochschule für Bildende Künste.

Dort kam es im Mai 2019 zum Eklat. Studenten hatten erfahren, dass Lenk als Parteilose auf der AfD-Liste in den Meißner Kreistag einziehen wollte. Es gab Proteste, die Bibliothek wurde besetzt. In der Endkonsequenz nahm die Bibliothekschefin ihren Hut und wechselte als freie Mitarbeiterin zu einem Abgeordneten der sächsischen AfD-Landtagsfraktion. Dieser unfreiwillige Abgang schmerze noch immer, sagt sie. Doch die Zeit heile alle Wunden.

Der Austausch im Café geht zu Ende. Spangenberg und Maier sind draußen mit ihren Reden dran. Ihr Themen-Repertoire kann kaum überraschen. Es deckt ein weites Feld ab: Dieses reicht von der Kriegsschuldfrage über eine drohende "links-grüne Gedankendiktatur", das Klagen wegen einer "Zahlmeisterrolle" Deutschlands in Europa bis hin zur Kritik an einem angeblich "die Ausländer" bevorzugenden Rechtssystem.

In ihrer eigenen Rede nimmt Barbara Lenk teilweise die Klischees auf, dann wieder wird sie persönlich, berichtet von Heimatverbundenheit, vom Wandern in den linkselbischen Tälern und ihren Katzen. Manchmal traut sie sich Gesten zu und hebt verstärkend den Zeigefinger. Die Effekte eines Coachings sind ihrem Auftritt deutlich anzumerken.

Einmal mehr benennt sie die CDU als Gegner. Dies dürfte auch für die direkte Auseinandersetzung um das Direktmandat im Wahlkreis Meißen zutreffen. Die Chancen der Direktbewerber lassen sich allerdings aufgrund der vielen Unterschiede zu vorangegangenen Wahlen nur sehr schwer abschätzen. Bis auf Sebastian Fischer und vielleicht noch Barbara Lenk selbst sind die Bewerber kaum öffentlich bekannt. Dies legt nahe, dass die Wähler bei den Direktkandidaten doch eher die dahinterstehende Partei ankreuzen. Eingedenk der Ergebnisse der letzten Wahlen im Kreis dürfte es somit auf ein Rennen zwischen Fischer und der AfD-Spitzenfrau hinauslaufen.