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Dem Krankenhaus Neustadt droht das Aus

In einem vertraulichen Gutachten zu den angeschlagenen städtischen Kliniken schlagen Berater massive Veränderungen vor.

Von Sandro Pohl-Rahrisch & Andreas Weller
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Das Krankenhaus Neustadt von Außen. Foto: Sven Ellger
Das Krankenhaus Neustadt von Außen. Foto: Sven Ellger © Sven Ellger

Dresden. Die Landeshauptstadt Dresden will ihr Städtisches Klinikum neu ausrichten. Der Grund: Seit Jahren schreiben die Krankenhäuser Friedrichstadt und Neustadt Verluste. Zwischen 2017 und 2019 waren es zusammen rund 25 Millionen Euro. Die Kreditlinie ist bis zum Anschlag ausgereizt. Die Wende soll mit einem neuen Betriebskonzept gelingen, an dem die Klinikleitung und Unternehmensberater von Ernst & Young derzeit arbeiten. Inzwischen gibt es einen vertraulichen Zwischenbericht, der in nichtöffentlichen Runden vorgestellt wurde. Er liegt der SZ vor. Das sind die wichtigsten Eckpunkte.

Was soll aus dem Städtischen Klinikum werden?

Vieles spreche dafür, die stationäre Patientenversorgung an einem Standort zu konzentrieren, sagen Betriebsleitung und Unternehmensberater. Sie schlagen das Friedrichstädter Krankenhaus als Campus mit rund 1.000 Betten vor. Dort soll die interdisziplinäre, ganzheitliche Behandlung gebündelt werden. Das würde für das Krankenhaus Dresden-Neustadt in Trauchau das Aus bedeuten, zumindest in der Form, wie es die Dresdner kennen – mit Kinderklinik, Geburtenklinik und Allgemeinchirurgie. 

Um die Notversorgung im Dresdner Norden zu gewährleisten, soll an der Industriestraße ein notfallmedizinisches Zentrum behalten werden.

Darüber hinaus könnten dort die ambulanten Angebote des Städtischen Klinikums, inklusive ambulanter Operationen, zusammengefasst werden. Stationäre Betten würde es hingegen nicht mehr geben. Der Umzug könnte schrittweise im laufenden Betrieb erfolgen. Ziel sei es, die „Qualitätsführerschaft, insbesondere in spezialisierten Bereichen“ zu erlangen. Nicht festgelegt haben sich Betriebsleitung und Berater bislang zur psychiatrischen Klinik am Weißen Hirsch. Den Standort zu halten, wird als optional bezeichnet. Sollte die Klinik am Weißen Hirsch fortgeführt werden, dann mit 240 Betten.

Was spricht für den Vorschlag?

Das Ziel ist klar: Mit den Untersuchungen und Operationen muss das Klinikum so viel Geld verdienen, dass am Jahresende keine Verluste entstehen. Zwar sind die beiden Krankenhäuser Friedrichstadt und Neustadt schon 2017 zu einem Eigenbetrieb verschmolzen. Ein hoher finanzieller Nutzen konnte aus dieser Fusion bisher aber nicht gezogen werden. Denn viele Bereiche, zum Beispiel Gynäkologie und Geburtshilfe, Intensivmedizin, Psychiatrie, Kardiologie und Allgemeinchirurgie, existieren doppelt – sowohl an der Industriestraße als auch in Friedrichstadt. Diese Doppelstrukturen würden der Vergangenheit angehören, sollte der Stadtrat dem Vorschlag folgen. 

Weniger Ausgaben und eine bessere Auslastung der Stationen in Friedrichstadt wären die Folge, so die Hoffnung. Dabei geht es auch um den Abbau von Personal, etwa durch Renteneintritte. Von betriebsbedingten Kündigungen ist im Bericht nicht die Rede. Diese hatte Dresdens Sozialbürgermeister Kristin Kaufmann (Linke) im Februar ausdrücklich ausgeschlossen, ebenso eine Privatisierung. Ein weiterer Vorteil aus Sicht der Berater: Die Zahl der Betten würde auf insgesamt etwa 1.000 sinken, den Weißen Hirsch nicht mitgerechnet. 

Da immer mehr Eingriffe ambulant durchgeführt werden und auch der Aufenthalt im Krankenhaus immer kürzer wird, gebe es bereits heute etwa 230 Betten zu viel – Tendenz steigend, heißt es in dem Papier. Alles in allem wäre demnach nach einem Verlust von reichlich elf Millionen Euro nach Steuern im Jahr 2018 ein Gewinn von knapp 16 Millionen Euro im Jahr 2035 möglich.

Was spricht dagegen?

Dagegen spricht, dass die Patientenzahlen anfänglich einbrechen könnten, sollte die stationäre Versorgung in Neustadt eingestellt werden. Auch würde sich das Einzugsgebiet des Städtischen Klinikums verkleinern, was den Verlust von Marktanteilen nach sich ziehen könnte. Außerdem scheint man sich im Klaren zu sein, dass den Mitarbeitern an der Industriestraße der Plan nicht gefallen dürfte. Betriebsleitung und Berater sprechen von einer „potenziell sinkenden Zufriedenheit der Mitarbeiter des Standorts Neustadt“.

Welche Baumaßnahmen wären nötig?

Zwar sei der Vorschlag mit dem geringsten finanziellen und zeitlichen Aufwand verbunden, heißt es in dem Bericht. Um den Campus Friedrichstadt zum zentralen Standort des Klinikums auszubauen, müsste dennoch viel Geld investiert werden. So ist zum Beispiel ein Neubau an der Seminarstraße vorgesehen, wo jetzt noch ein Plattenbau steht. Außerdem soll das Haus P, in dem aktuell die Innere Medizin untergebracht ist, saniert und erweitert werden.

 Auf der anderen Seite der Friedrichstraße könnte ebenfalls ein Neubau entstehen.

Was würde das kosten und wer soll das bezahlen?

Bei dem Szenario, für das sich sowohl die Klinikleitung als auch die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young aussprechen, würden Baukosten von rund 339 Millionen Euro entstehen. Wahrscheinlich, heißt es, könnte es für das Haus P Fördermittel geben. Sollte die Psychiatrie in Bühlau geschlossen werden, würde der Grundstücksverkauf ebenfalls Geld einbringen, sodass ein weiterer Teil der Gesamtbaukosten gedeckt wäre. Hinzu kämen die Kosten für den Umzug, die im Zwischenbericht nicht beziffert werden.

Welche Möglichkeiten gebe es noch für das Klinikum?

Es gibt zwei weitere Szenarien, für die sich Klinik und Berater jedoch nicht aussprechen. Sollte die Klinikverteilung bleiben wie bisher, würde das Klinikum laut dem Papier vermutlich dauerhaft Verluste von rund zehn Millionen Euro pro Jahr machen. Nur Friedrichstadt wäre in einem guten Zustand.

In Trachau sind in den kommenden 15 Jahren Sanierungsvorhaben geplant. Danach wird eine Weiternutzung aber als unwahrscheinlich eingeordnet. Der Investitionsbedarf liegt bei 322 Millionen Euro. Laut den Beratern bringe dies keine wesentlichen wirtschaftlichen Verbesserungen. Als Risiken werden außerdem benannt: „geringe gesellschaftliche und politische Akzeptanz aufgrund Förderbedarf“ und „keine nachvollziehbare Einbeziehung externer Faktoren wie der demografischen Entwicklung“.

Noch mehr Investitionsbedarf entsteht mit „Szenario 1“: Die vorgeschlagene komplette Schließung des Krankenhauses Neustadt müsste durch einen Neubau im Dresdner Norden kompensiert werden. Dafür werden insgesamt 411 Millionen Euro kalkuliert. Die Verluste des Klinikums würden sinken, wären mit gut acht Millionen Euro pro Jahr aber immer noch sehr hoch. Die kritisierten Doppelstrukturen würden nur in Teilen abgebaut. Die Berater erwarten zudem einen Rückgang der Patientenzahlen wegen des Standortwechsels und der Nähe zum Uniklinikum. Zudem bestehe das Risiko, dass die Suche nach einem Grundstück für den Neubau zu lange dauert und die Zeit für die Förderung abläuft.

Wie sieht nun der Zeitplan aus?

Um die dringend benötigten Fördermittel aus dem Landes-Krankenhausstrukturfonds für die Zentralisierung in Friedrichstadt zu bekommen, muss es schnell gehen. In dem Papier wird eine „gute Ausgangslage“ für die Förderung prognostiziert, allerdings nur „sofern die Anträge bis 2022 gestellt und bewilligt“ werden. Das bedeutet, die Grundsatzentscheidung, für welches Szenario sich der Stadtrat entscheidet, muss sehr bald erfolgen. Dann müssen die Pläne ausgearbeitet und eingereicht werden. „Der Umsetzungserfolg hängt maßgeblich von der Schnelligkeit der Entscheidungsfindung ab“, heißt es in dem Bericht. Die Baumaßnahmen dauern dann allerdings bis 2035. In der Zeit bis dahin müssen gute Zwischenlösungen gefunden werden. Denn die Berater warnen auch: „Das langsame Ausbluten von Standorten muss vermieden werden, um die Gefahr einer Fachkräfte- und Patientenabwanderung zu verhindern.“Bis Ende September sollen zunächst die Varianten weiter ausgearbeitet und womöglich noch dieses Jahr dem Stadtrat zur Entscheidung vorgelegt werden. Begleitet werden Klinikleitung und Unternehmensberater von einem 21-köpfigen Team. Diesem gehören unter anderem Vertreter der Stadtratsfraktionen, Chefärzte und Personalräte an. Sie sollen sich mit in das neue Konzept einbringen können. Entscheidet sich der Stadtrat schnell, könnte Anfang 2021 mit der Umsetzung des neuen Betriebskonzeptes begonnen werden. Bis zu 500.000 Euro gibt die Stadt für die externen Berater aus.

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