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Wie sexy darf das Outfit bei Olympia sein?

Die deutschen Turnerinnen lösen in Tokio mit Ganzkörperanzügen eine Diskussion aus. In die mischen sich nun auch Spitzensportlerinnen aus Dresden ein.

Von Daniel Klein & Alexander Hiller
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Die Turnerinnen Sarah Voss, Pauline Schäfer, Elisabeth Seitz und Kim Bui sorgten mit ihren Ganzkörperanzügen für Aufsehen in Tokio.
Die Turnerinnen Sarah Voss, Pauline Schäfer, Elisabeth Seitz und Kim Bui sorgten mit ihren Ganzkörperanzügen für Aufsehen in Tokio. © dpa/Marijan Murat

Das deutsche Turn-Quartett fiel auf bei der Qualifikation in Tokio, was weniger an den Leistungen lag. Als Mannschaft verpassten Elisabeth Seitz, Sarah Voss, Kim Bui und Pauline Schäfer das Finale. Aber als einzige unter den 98 Starterinnen traten sie in Ganzkörperanzügen an und nicht in den gewohnten, knapperen Outfits. Es war ein Statement, eine Botschaft. „Wir wollen zeigen, dass jede Frau entscheiden soll, was sie anzieht. Es geht darum, sich wohlzufühlen“, erklärte Seitz. Erstmals war Voss bei der EM Ende April in Basel mit einem sogenannten Unitard angetreten.

Das löste eine weltweite Diskussion darüber aus, wie sexy Wettkampfkleidung sein darf und wo die Grenzen sind. Norwegens Beach-Handballerinnen hatten eine solche bei der EM in Varna überschritten – zumindest nach Ansicht der Europäischen Handball-Föderation (EHF). Die Spielerinnen hatten statt der vorgeschriebenen Bikini-Höschen etwas längere, aber ebenfalls eng anliegende Sporthosen getragen. Die Disziplinarkommission der EHF bewertete dies als „Fall unangemessener Bekleidung“ und verhängte eine Strafe von 1.500 Euro.

Der Weltverband schreibt in dieser nichtolympischen Sportart bei Frauen eine Hosen-Seitenbreite von „maximal zehn Zentimetern“ vor. Die Reaktion des Verbandes löste eine noch viel heftigere Reaktion aus als der spontane Kleiderwechsel selbst. US-Sängerin Pink kündigte nun an, die Strafe übernehmen zu wollen.

Wasserspringerin Tina Punzel sucht sich ihre Badeanzüge selber aus. Modelle, die auch die Beine und Arme bedecken, kann sie sich in ihrer Sportart nicht vorstellen.
Wasserspringerin Tina Punzel sucht sich ihre Badeanzüge selber aus. Modelle, die auch die Beine und Arme bedecken, kann sie sich in ihrer Sportart nicht vorstellen. © photoarena/Thomas Eisenhuth

Die Beispiele zeigen, dass die Diskussion noch lange nicht beendet ist. Und es trifft noch mehr Sportarten als Turnen und Beach-Handball. Auch Wasserspringerinnen zeigen viel Haut, wenn sie sich vom Brett oder Turm ins Wasser stürzen. Damit hat Tina Punzel prinzipiell kein Problem. Sie fühle sich im Badeanzug nicht unwohl, sagt die Dresdnerin, die zusammen mit Lena Hentschel am Sonntag die erste deutsche Olympia-Medaille in Tokio gewonnen hatte. „Was ich aber nicht verstehe, sind manche Kameraeinstellungen und Fotomotive, die dann im Fernsehen, Internet oder in den Zeitungen zu sehen sind.“

Die 25-Jährige meint die Augenblicke, wenn die Athletinnen bei gehockt ausgeführten Sprüngen ihre Beine weit öffnen müssen. Oder bei Handstandsprüngen vom Turm, wenn die Beine ganz langsam zusammengeführt werden. „Es gibt so schöne und ästhetische Motive von uns Wasserspringerinnen. Weshalb muss man dann ausgerechnet solche auswählen?“, fragt sie.

Maja Storck, Schweizer Nationalspielerin beim Volleyball-Meister Dresdner SC, macht sich über die engen Hosen ebenfalls kaum Gedanken. „Unsere Ausrüstung ist eigentlich immer so, dass abgedeckt ist, was abgedeckt sein soll“, findet die 22-Jährige. Allerdings haben die Vereine den textil eng bedeckten Po der Spielerinnen schon länger als Werbefläche entdeckt. Beim Bundesligisten VfB Suhl wurde die mit dem Schriftzug prachtregion.de bedruckt – eine etwas zweideutige Reklame für den Landkreis Schmalkalden.

Als Storck noch für einen Verein in Pfeffingen in der Schweiz spielte, war eine Metzgerei der Werbepartner. „Da sollte die Marke Goldwurst samt einer gemalten Wurst auf unseren Po“, erinnert sie sich. „Weil sich viele Spielerinnen damit unwohl gefühlt hätten, wurde entschieden, dass das Logo stattdessen auf die Oberschenkel gedruckt wird.“ Ob damit sämtliche Assoziationen weg waren?

DSC-Volleyballerin Maja Storck hat mit den engen Hosen und der Werbung darauf keine Probleme. Bei einem Schweizer Verein erlebte sie jedoch mal einen kuriosen Fall.
DSC-Volleyballerin Maja Storck hat mit den engen Hosen und der Werbung darauf keine Probleme. Bei einem Schweizer Verein erlebte sie jedoch mal einen kuriosen Fall. © kairospress/Thomas Kretschel

Eine ähnliche Frage stellte sich auch beim Kalender, den der DSC alljährlich verkauft. In diesen Tagen entstehen Bilder für 2022 zum Thema Fitness. Die Spielerinnen ließen sich früher auch schon in Bikini oder Dessous ablichten. Für Storck ist das ein absoluter Grenzbereich. „Da stelle ich mir natürlich schon die Frage: Macht der Verein umso mehr Einnahmen, desto weniger wir bekleidet sind?“, sagt die Diagonal-Angreiferin. Bei den Shootings habe sie bisher immer ein gutes Gefühl gehabt, weil das von „zwei supercoolen Frauen organisiert wird, bei denen ich mich sehr aufgehoben fühle“.

Ein absolut ungutes Gefühl hatten die Sprinterinnen bei der Leichtathletik-WM 2019 in Doha, bei dem der Weltverband Kameras in den Startblöcken verbaut hatte. Es hagelte Proteste, die Kameras blieben fortan aus. „Allein der Fakt, dass man sich am Start Gedanken macht, wo die Linse gerade hinschaut, ist doch total irre“, findet Claudia Marx, die 2001 mit der 4 x 400-Meter-Staffel WM-Silber gewonnen hatte.

Beim DSC betreut die Nachwuchsbundestrainerin nun Sprint-Talente und ist damit für junge Frauen verantwortlich, deren Körper sich verändern. „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man auch Klamotten vorgesetzt bekommt, mit deren Schnitt man nicht einverstanden ist. Man sollte dann einfach längere Hosen wählen, um im Wettkampf nicht damit beschäftigt zu sein, wie man aussieht“, findet sie.

Die Auswahl an unterschiedlichen Schnitten und Längen, sagt Marx, gibt es sowohl beim Deutschen Leichtathletik-Verband als auch beim DSC. „Sie haben die freie Auswahl, womit sie am meisten zufrieden sind. Und das finde ich wichtig.“

Tina Punzel hat das bei ihren Badeanzügen auch, sie müssen nur von einer bestimmten Marke kommen. Von ihren aktuell acht Modellen hat sie sechs selber gekauft. Alternativen zu bein- und armfreien Modellen gibt es für sie nicht. „Einen Ganzkörperanzug kann ich mir in unserer Sportart beim besten Willen nicht vorstellen“, sagt sie. „Der saugt sich mit Wasser voll, wird schwer. In den Pausen zwischen den Sprüngen friert man so schneller.“ Es gibt noch einen weiteren Punkt. Während der Drehungen und Salti müssen die Springerinnen die Beine fest greifen, dafür sprühen sie sich extra mit Wachs ein. „Bei einem nassen Stoff ist die Gefahr viel größer, dass man abrutscht.“

Erst im Playboy, dann im Schwimm-Finale

Volleyballerin Maja Storck plädiert für eine freie Kleiderwahl, allerdings wären dann womöglich Spielerinnen eines Teams unterschiedlich angezogen. „Das ist sicher eine Frage der Ästhetik. Ich fände es sehr eigenartig, wenn ich so lockere Hosen tragen würde wie die Volleyball-Männer.“

Marx war als Bundestrainerin bis vergangenes Jahr für die 400-Meter-Läuferin Alica Schmidt verantwortlich. Die hat bei Instagram inzwischen 1,8 Millionen Abonnenten – wohl auch deshalb, weil sie sich dort häufig in knappen und engen Textilien zeigt. „Sie weiß, dass sie damit jetzt Geld verdienen kann. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen“, findet Marx. „Wichtig für mich war nur, dass dies keinen Einfluss aufs Training hatte. Und da ist sie ein absolutes Tier.“

Kurz vor Beginn der Spiele ließen sich wieder drei Sportlerinnen fürs Magazin Playboy nackt fotografieren, darunter die Leipziger Schwimmerin Marie Pietruschka, die es am Mittwoch mit der Dresdnerin Leonie Kullmann und der Freistil-Staffel ins Finale schaffte. Mit nackter Haut kann man als Spitzensportlerin trotz der Diskussionen um zu freizügige Wettkampfanzüge also weiterhin Geld verdienen.

Eine persönliche Entscheidungshoheit bei der Auswahl ihres Outfits zu haben – das ist eine Forderung, die nahezu alle Athletinnen vereint, egal ob Turnerin, Wasserspringerin, Volleyballerin oder Leichtathletin. Die Modewelt im Sport wird künftig wohl vielfältiger.