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Lausitzer Antworten auf den Ressourcenhunger

Der Wettbewerb für ein Großforschungszentrum im Kohlerevier läuft. Von den 50 Anträgen sind hier drei vorgestellt.

Von Nora Miethke
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In der Energiefabrik Knappenrode bei Hoyerswerda könnte die Zukunftsfabrik Lausitz einziehen, sollte die Idee für ein Großforschungszentrum den Zuschlag bekommen.
In der Energiefabrik Knappenrode bei Hoyerswerda könnte die Zukunftsfabrik Lausitz einziehen, sollte die Idee für ein Großforschungszentrum den Zuschlag bekommen. © www.rainer-weisflog.de

„Wassernotstand in der Lausitz“, „Trocknet die Lausitz aus?“, „Lausitzer Sumpflandschaft“ sind nur drei von vielen Überschriften, unter denen in den Medien das Problem des zunehmenden Wassermangels in der Kohleregion beschrieben wird. Der Verteilungskampf, wer darf Wasser nutzen, wenn es knapp wird – Bürger und Bürgerinnen zu Hause, die Kraftwerke zum Kühlen, die Industrie für ihre Produktion oder die Bauern zum Bewässern ihrer Felder – droht nicht in weit entlegenen Erdteilen, sondern ganz nah in unserem Umland.

Vor diesem Hintergrund schlagen Ideengeber aus der Fraunhofer Gesellschaft, der Technischen Universität Dresden, der Bergakademie Freiberg, der Hochschule Zittau/Görlitz und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden vor, eine „Zukunftsfabrik Lausitz“ zu errichten. Konkret soll in der sächsischen Lausitz ein Forschungs- und Transferzentrum für Wasser-, Energie- und Ernährungstechnologien mit 1.500 direkten Arbeitsplätzen entstehen. Mit dieser Idee ist das Konsortium ins Rennen um eines von zwei Großforschungszentren gegangen, die mit jeweils 170 Millionen Euro im Jahr gefördert werden sollen. Zurzeit läuft ein Wettbewerb unter dem Titel „Wissen schaft Perspektiven für die Region!“. Ende April lief die Antragsfrist aus.

"Wie bekommen wir acht Milliarden satt?"

„Das Thema ressourceneffiziente Wassernutzung mit seinen Implikationen für die klimaneutrale Energie- und Ernährungswirtschaft wird zum Kernthema des 21. Jahrhunderts werden“, ist sich Professor Alexander Michaelis sicher, Institutsleiter des Fraunhofer IKTS in Dresden und Koordinator der „Zukunftsfabrik Lausitz“-Initiative. Er und seine Mitstreiter konnten schon rund 40 Unterstützer aus Wirtschaft, Forschung, Verbänden und Lausitzer Kommunen für die Idee begeistern. Adressiert sie doch gleich mehrere große Herausforderungen für die Menschheit. „Wir wollen disruptive Technologien entwickeln, die dazu beitragen, eine Weltbevölkerung von über acht Milliarden Menschen nachhaltig versorgen zu können“, so Michaelis.

Beim Klimaschutz dürfe es nicht nur darum gehen, CO2 zu reduzieren. Eine entscheidende Frage sei: „Wie bekommen wir acht Milliarden Menschen satt?“ Und das bei zunehmender Trockenheit und Wassermangel.

Um Beispiellösungen zu finden, die international übertragbar sind, muss die „Zukunftsfabrik Lausitz“ die gesamte Kette von der Grundlagenforschung bis hin zum Transfer in die Praxis abdecken. Dafür sind drei thematisch miteinander gekoppelte Teilfabriken mit modernsten Forschungsinfrastrukturen geplant:

In der „Wasserfabrik“ möchten Forschungsteams und Unternehmen an Großanlagen neue Konzepte für die Abwasserbehandlung erproben. Aus dem Abwasser sollen Energie und Wertstoffe – etwa für Dünger – gewonnen werden. Die „Pflanzenfabrik“ nebenan kann diese Energie und Stoffe dann einsetzen, um Forschungs-Hightech-Gewächshäuser nach dem „Vertical Farming“-Prinzip zu düngen und zu beheizen. Auch extrem wassersparende Landwirtschaftstechnologien sollen hier getestet werden. Die „Energiefabrik“ wiederum versorgt die beiden anderen Fabriken mit Strom und Wärme aus Erneuerbaren Energien – beispielsweise durch Wasserstoff-Blockheizkraftwerke. So wird die Brücke zur zukünftigen Wasserstoffwirtschaft geschlagen, einem weiteren Großprojekt für den Strukturwandel in der Lausitz.

Zuzug von mehreren tausend Menschen

Das Zusammenwirken aller drei Fabriken wird am Leitprojekt „Haber-Bosch-Goes-Green“ demonstriert. Die Ernährung jedes zweiten Menschen auf dem Globus hängt vom Haber-Bosch-Prozess ab, einem chemischen Verfahren zur Synthese von Ammoniak, das zu Ammoniakdünger verarbeitet wird. Im neuen Ansatz soll grüner, CO2-freier Wasserstoff aus Wasser genutzt werden zur Ammoniakherstellung.

Ein weiterer Baustein für die Zukunftsfabrik sind die „Lausitz Challenges“. Rund ein Drittel des Forschungsbudgets soll in regelmäßig ausgerufene wissenschaftlich-wirtschaftliche Wettbewerbe fließen, die Forscher aus aller Welt an die Lausitz holen. Auch an ein „Experience Center“ ist gedacht, ein gläsernes Labor, in dem sich Fachbesucher wie Touristen ein Bild von der Arbeit in der Zukunftsfabrik machen und Schulklassen selbst mit neuen Wasser-, Energie- und Agrartechnologien experimentieren können. So hoffen die Ideengeber die Begeisterung für den Wandel durch Innovation zu wecken.

Wenn Unternehmen, Landwirte und Gemeinden diese miteinander gekoppelten Ressourcentechnologien dann auch konsequent einsetzen, seien enorme ökologische und ökonomische Effekte zu erwarten, betont Michaelis. Neben den 1.500 Arbeitsplätzen könnten zwei- bis dreimal so viele Jobs im Umfeld entstehen und den Zuzug von 4.000 bis 5.000 Menschen auslösen, so die Prognose.

Das Konsortium hat sogar schon einen Standort für den Hauptsitz des Forschungszentrums – die Energiefabrik Knappenrode, eine ehemalige Kohleveredelungsanlage. Es könnte also im Falle eines Zuschlags sofort losgehen mit dem Aufbau.

Es gibt noch 47 andere Ideen

Auch wenn die Zukunftsfabrik Lausitz rund um das Thema Wasser eine starke Vision für die Region ist, ist es bislang nur ein Vorschlag von vielen. Die TU Dresden ist noch an anderen beteiligt. Forscher aus den Bereichen Materialforschung, Nachrichtentechnik, Robotik, Künstliche Intelligenz, Psychologie und Gesellschaftswissenschaften haben sich unter Federführung von Professor Karl Leo zusammengetan, um ein Großforschungszentrum für Digitalisierung unter dem Titel „Saxonian Institute of Technology“ zu errichten.

„Am SIT wollen wir digitale Innovationen für die Zukunft gestalten, für die Gesundheitsversorgung, die Ernährung, die Mobilität und die Energie, die vertrauenswürdig und nachhaltig sind“, beschreibt Karl Leo den Kern der Idee. Wesentlicher Bestandteil ist ein umfassendes Ausbildungsprogramm, das sämtliche Qualifizierungsstufen von der Berufsausbildung bis zum Promotionsstudium umfasst. Denn die Lausitz braucht für ihre wirtschaftliche Zukunft auch viele IT-Fachkräfte.

Die Perspektive neuer Jobs für die Menschen im Kohlerevier steht auch im Mittelpunkt des Antrags von Professor Manfred Curbach für ein Bauforschungszentrum in der Lausitz. Er und ein internationales Konsortium von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen wollen Europas größtes Laboratorium errichten, in dem Technologien für nachhaltiges Bauen entwickelt werden sollen. Im Umfeld eines solchen Zentrums würden sich Start-ups wie Niederlassungen großer europäischer Baukonzerne ansiedeln, heißt es in einer Pressemitteilung der TU Dresden.

Ob die Zukunftsfabrik Lausitz kommt, oder das Bauforschungszentrum oder das SIT für humane Digitalisierung, steht noch nicht fest. Es gibt noch 47 andere Ideenskizzen, die die Jury bewerten muss. Im Juli werden die sechs besten Ideen ausgewählt, die dann bis zum Jahresende vertieft ausgearbeitet werden.