„Ich setze mich nicht mit Extremisten an den Tisch“
Karsten Vogt will OB in Bautzen werden. Er hat jetzt Teilnehmer und Gegner der Corona-Proteste zum Gespräch eingeladen. Im Interview erklärt er seine Beweggründe.
Bautzen. Bei der Versammlung gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Bautzener Kornmarkt am 10. Januar hat auch Karsten Vogt zu den
Teilnehmern gesprochen - und ein Gesprächsangebot unterbreitet. An jenem Montag war es erneut zu unerlaubten Aufzügen in der Bautzener Innenstadt gekommen, bei denen Steine und Flaschen auf Polizisten geworfen wurden. Die Polizei leitete 19 Ermittlungsverfahren ein, unter anderem wegen Landfriedensbruch und Widerstand gegen Polizeibeamte.
Karsten Vogt (CDU) ist Schulleiter des Philipp-Melanchthon-Gymnasiums, er will sich bei der OB-Wahl im Juni um das Amt des Oberbürgermeisters bewerben. Im
Interview mit Sächsische.de sagt er, warum er auf dem Kornmarkt
gesprochen hat, wem sein Gesprächsangebot gilt und wie diese Diskussion
stattfinden soll.
Herr Vogt, Sie haben sich auf dem Kornmarkt als Schulleiter
vorgestellt. Aber haben Sie nicht vor allem als Kandidat für die OB-Wahl in
Bautzen gesprochen?
Ich habe auch als potenzieller Kandidat für die Wahl gesprochen, es aber für den Auftakt nicht als gegeben empfunden, damit einzusteigen.
Also ist das jetzt auch Wahlkampf?
Absolut. Wenn ich mich zur Wahl stelle und die Stadt ein solches Thema bewegt, kann ich nicht untätig danebenstehen und versuchen, mich ohne Positionierung durchzulavieren. Die Bautzenerinnen und Bautzener haben dadurch auch die Möglichkeit, sich eine Meinung von meiner Person und meinem Agieren in der Zeit bis zur Wahl zu bilden.
Wieso haben Sie bei der Versammlung auf dem Kornmarkt gesprochen?
Ich denke, dass beide Seiten, also die Personen, die für und die gegen die Impfung sind, ihre Sichtweise umfänglich dargelegt haben: auf Demonstrationen, in Petitionen und in den sozialen Netzwerken. Wir dürfen dort aber nicht stehenbleiben, sondern wir müssen miteinander ins Gespräch kommen, um trotz dieser sehr unterschiedlichen Positionen einen Konsens zu erarbeiten. Ich bin Erstunterzeichner der Erklärung „Bautzen gemeinsam“ und habe mich dadurch positioniert, aber ich habe den Eindruck, dass sich verschiedene Seiten bilden und auf ihrem Standort verharren.
"Nicht mit der Diskussion um Begriffe aufhalten"
Sie sprachen auf dem Kornmarkt von
einem Gesprächsangebot. Wie soll das aussehen?
Ich habe Kontakt mit dem Landratsamt aufgenommen, das den Kreistagssaal für das Gespräch zur Verfügung stellen wird. Vizelandrat Udo Witschas (CDU) wird vonseiten des Landratsamtes mit am Tisch sitzen. Es sollen sowohl Teilnehmer der Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen als auch Bautzener Bürger, die nicht zu diesen Versammlungen gehen, am Gespräch beteiligt werden. Die Organisatoren der Mahnwache, Veit Gähler und Eckhard Schumann, werden ebenfalls bei dem Gespräch dabei sein. Es sollen insgesamt 20 bis 25 Personen teilnehmen.
Wer von den Versammlungsteilnehmern und wer von den Bürgern kann
daran teilnehmen?
Ich werde "Spaziergänger" auffordern, sich an dem Gespräch zu beteiligen, und sehen, wie sie darauf reagieren. Ich denke, dass dies ebenso wenig ein Problem sein wird, wie Teilnehmer aus der übrigen Bürgerschaft zu finden. Wir haben zum Beispiel Händler, die sich öffentlich positioniert haben und die darunter leiden, dass sie ihr Geschäft am Montag eher schließen, weil sie Sorge um ihre Mitarbeiter haben.
„Spaziergänger“
ist eine Selbstbezeichnung der Teilnehmer oder Mobilisierenden und klingt angesichts von Ausschreitungen und Gewalt bei den Aufzügen recht harmlos. Ist das der passende
Begriff?
Ich setze mich nicht mit Extremisten an den Tisch. Wir sollten uns jedoch nicht mit der Diskussion um Begrifflichkeiten aufhalten. Zu verhindern, dass Menschen zu Schaden kommen oder irgendwann in Bautzen ein Gebäude infolge eines gezündeten Bengalos brennt, muss uns momentan wichtiger sein als die Debatte um Begriffe.
Ich selbst bin im Wechsel auf dem Korn- und dem Hauptmarkt unterwegs gewesen und habe Erleichterung darüber empfunden, dass es insgesamt friedlicher blieb. Ich sehe das Problem aber noch nicht als beseitigt an.
Wird die Öffentlichkeit an dem Gespräch beteiligt, und gibt es schon
einen Termin?
Das Gespräch soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, damit wir uns in Ruhe austauschen können. Es soll innerhalb der nächsten drei Wochen passieren, damit wir das nicht zu lange vor uns herschieben.
Ist dieses Gesprächsformat Ihre alleinige Idee?
Vertreter des CDU-Stadtverbandes und ich haben uns mit Herrn Gähler und Herrn Schumann von der Mahnwache getroffen, alle Kontroversen zum Thema Corona beiseitegeschoben und allein über die Befriedung der Stadt Bautzen gesprochen. Daraufhin hat das Landratsamt zugesagt, das Gespräch zu begleiten.
Gerade Herr Gähler ist seit Jahren dafür bekannt, Verschwörungserzählungen zu verbreiten.
Zum Beispiel hat er die Impfung als Mord bezeichnet. Das ist für Sie kein
Hindernis?
Das große Ziel obendrüber ist die Befriedung der Stadt. Auch der Landrat hat für dieses Ziel Kontakt zu Herrn Gähler und Herrn Schumann aufgenommen. Die Bilder, die von Bautzen nach außen gegangen sind, waren sehr negativ, und sie haben die Stadt wieder in dem Klischee des „braunen Bautzen“ dargestellt. Man muss sich die Frage stellen, ob man es an dem Punkt belassen will oder etwas entgegensetzen möchte.
Ich begrüße es, obwohl wir unterschiedliche Auffassungen haben, dass wir hoffentlich in der Lage sind zu reden. Wir müssen ausloten, ob es Positionen auch zu diesen Themen gibt, die uns einen. Sobald jemand als extremistisch eingestuft und vom Verfassungsschutz beobachtet wird, verlässt er den Boden des Grundgesetzes. Bis dahin muss eine Gesellschaft das Ringen um Positionen aushalten. Ich habe Herrn Gähler gefragt, ob er beziehungsweise Herr Schumann vom Verfassungsschutz beobachtet werden – sie haben das verneint.
"Warum läuft man neben vermummten Personen?"
Welche einenden Positionen könnten das sein?
Ich habe auf dem Kornmarkt gesagt, dass ich
dreimal geimpft bin und mich trotzdem gegen eine Impfpflicht ausspreche. Die
Impfung sehe ich als wirksames Mittel im Sinne einer medizinischen Vorsorge, um
nicht schwerer an Corona zu erkranken. Trotzdem beobachte ich, dass innerhalb der gesamten Bundesrepublik die Zahl derer wächst, die gegen
die Impfpflicht für sich opponieren und damit ein Problem haben. Jeder muss in seiner eigenen Verantwortung entscheiden, sich impfen zu lassen oder nicht, aber Politik muss auch darüber nachdenken, ob wir die allgemeine Impfpflicht durchsetzen können und wollen. Wir müssen auch andere Entscheidungen akzeptieren, um als Gesellschaft zusammenzukommen.
Was lässt sich außer einem ersten Gespräch noch tun?
Meine Adressaten sind die friedlichen Teilnehmer der Aufzüge. Momentan laufen in diesen Aufzügen Personen, die vermummt sind, und ich stelle mir die Frage, warum das geht. Warum läuft man neben den Personen, bei denen man vermuten muss, dass sie für die Gewalt verantwortlich sind? Da ist für mich das Ziel, dass wir Möglichkeiten eines friedlichen Protestes in der Abgrenzung von diesen Personen finden. Das muss aber von den Teilnehmern der Aufzüge selbst kommen.
Als wir 2019 in der Maria-Martha-Kirche gesessen haben, gab es das Gespräch zwischen Frau Schmidt und Herrn Drews. Hier entluden sich die Emotionen innerhalb der Stadtgesellschaft. Ich habe damals schon dazu aufgerufen, dass wir miteinander reden müssen, ohne uns nur Argumente an den Kopf zu werfen und wieder wegzugehen. Wir müssen versuchen, solange es geht, einen Konsens in einer Stadtgesellschaft zu finden und auch generell in einer Gesellschaft. Das muss möglich sein.