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Sachsens Kenia-Koalition in der "Vertrauenskrise"

Grüne und SPD kritisieren heftig den CDU-Umgang mit der Leipziger Demo. Die wiederum hadert mit den illoyalen Koalitionspartnern.

Von Annette Binninger
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Vize-Regierungschefs Wolfram Günther (Grüne)und Martin Dulig (SPD)
Vize-Regierungschefs Wolfram Günther (Grüne)und Martin Dulig (SPD) © Steffen Unger

Ein kleiner Tweet-Schlagabtausch brachte die Situation des gestrigen Tages vielleicht am besten auf den Punkt. Da fragte der Dresdner SPD-Stadtrat Richard Kaniewski zunächst öffentlich. „Ist Herr Wöller eigentlich noch im Amt? Frage für nen Freund.“ Und der Dresdner Linken-Stadtrat Tilo Wirtz konterte fröhlich: „Sind SPD und Grüne noch in der Koalition mit der CDU? Ich frage für nen Freund.“

Die dramatischen Ereignisse des Leipziger Demo-Wochenendes haben die sächsische Regierungskoalition innerhalb weniger Tage nahezu in zwei Lager geteilt. Grüne und SPD hadern mit dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizei-Einsatz gegen Tausende Corona-Skeptiker, -Leugner sowie Hunderte Rechtsextremisten. Sie fordern empört Aufarbeitung und Einsatz-Änderungen verlangen, während die CDU-Seite die angeblich übertriebene, skandalisierende Reaktion von Grünen und SPD kritisiert. Vor allem aber stört man sich dort an mangelnder Loyalität und die öffentliche Infragestellung des Innenministers.

Harte Worte bei Video-Schalte

Der Koalitions-Kleinkrieg, der am Samstag nach der Leipziger Demo zunächst mit wechselseitigen Tweets begonnen hatte und mit Rücktrittsforderungen von SPD- und Grünen-Politikern an Wöller gespickt war, ging in der Kabinettssitzung am Dienstag in die nächste Runde. Dafür konnte man sich aber nicht einmal persönlich treffen. Denn wegen der Corona-Infektion von Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) mussten Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und mehrere Kabinettsmitglieder in Quarantäne. So kam eine Aussprache lediglich per Video-Schalte zustande. Auch dabei ging es nach Informationen aus Teilnehmerkreisen hart zur Sache. So soll Kretschmer laut geworden sein und gemeinsam mit Kultusminister Christian Piwarz (CDU) Grüne und SPD zur Loyalität innerhalb der gemeinsamen Regierung aufgefordert haben.

Doch der starke Druck, den nächsten Doppelhaushalt, wenn auch bereits verspätet, endlich auf den Weg zu bringen, schweißte, die Runde dann doch kurz wieder zusammen. Am Nachmittag dann, als die Eckpunkte des künftigen Doppelhaushalts von Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) sowie Günther und Dulig in einer Online-Pressekonferenz vorgestellt werden sollten, bemühte man sich in Dresden um ein harmonisches Bild nach Außen. So sprach Vize-Regierungschef Wolfram Günther (Grüne) lediglich von einer „Vertrauenskrise“. Angefeuert nahezu zeitgleich durch eine Pressemitteilung des Grünen-Landeschefs Norman Volger, der öffentlich fragte, „ob alle Partner in dieser Regierung gemeinsam daran arbeiten, unsere Demokratie zu stärken.“

„Verantwortung bei der CDU“

Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) sprach von einer „sehr intensiven Belastung“ für die Regierungskoalition, machte aber auch deutlich, dass er nicht lockerlassen werde. „Wir akzeptieren nicht, dass in Sachsen angeblich keine Fehler gemacht werden.“ Die SPD habe bereits Tage vor der Samstags-Demo das Thema angesprochen, doch vergeblich. Zugleich machte er deutlich: „Das größte Problem heisst nicht Roland Wöller, das größte Problem heisst Corona.“ Für Personalfragen sei die jeweilige Partei und der Ministerpräsident verantwortlich. „Die Verantwortung, das zu klären, liegt in der CDU.“ Aber die Parteien würden in den nächsten Tagen das Gespräch miteinander suchen, um alle notwendigen Fragen aufzuarbeiten.

An dieser Stelle hätte die Pressekonferenz durchaus harmonisch enden können, doch da setzte CDU-Finanzminister Vorjohann, pikanterweise zwischen den beiden Ministern platziert, noch einmal nach. Man schätze die ganze Angelegenheit in der CDU eben „ganz anders“ ein. „Bilder von Wasserwerfern, um die Demonstration gewaltsam aufzulösen, wären die falschen Bilder gewesen“, sagte Vorjohann.

Das brachte wiederum Wolfram Günther erneut sichtbar und hörbar in Rage. „Es stand nie in Rede, Wasserwerfer einzusetzen gegen friedliche Demonstranten. Aber es sei auch Gewalt ausgegangen von Teilnehmern, außerdem habe ein erhebliches Infektionsrisiko bestanden durch die mehr als 20.000 Teilnehmer, die fast alle ohne Mund-Nasen-Schutz unterwegs waren. Es gehe um die Verhältnismäßigkeit. „Wenn Gewalt ausgeübt wird gegen Polizisten und Journalisten sowie gegen Corona-Auflagen verstoßen wird, dann muss man wenigstens versuchen einzugreifen“, forderte Günther.