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"Man sollte die Alten nicht einfach wegsperren"

Antje Schmidt kann ihre demente Mutter in einem Dresdner Seniorenheim seit Wochen nicht besuchen. Nun wurde die 80-Jährige auch noch positiv getestet.

Von Henry Berndt
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Antje Schmidt will ihrer Mutter im Seniorenheim auch in Corona-Zeiten ein würdevolles Leben ermöglichen.
Antje Schmidt will ihrer Mutter im Seniorenheim auch in Corona-Zeiten ein würdevolles Leben ermöglichen. © Christian Juppe

Dresden. Quarantäne macht niemandem Spaß. Wenig Platz, kaum frische Luft und Langeweile. Wenigstens bleibt den meisten die Gewissheit: Nach 14 Tagen ist der Spuk zu Ende.

Antje Schmidt jedoch darf ihre Mutter nun schon seit über vier Wochen nicht mehr sehen. Allenfalls kann sie ihr von weitem auf der Terrasse winken.

Manchmal gibt sie unten an der Tür auch kleine Geschenke ab. Schokolade oder eine Karte mit der Aufschrift: "Halte durch."

Seit einem Jahr wohnt die 80-jährige Gertraud Schmidt in einem Seniorenheim in der Dresdner Neustadt. Sie zeigt starke Anzeichen von Demenz und hatte bis zum Herbst vor allem noch eine Freude: Die regelmäßigen Ausflüge mit ihrer Tochter, die auch die Vorsorgevollmacht für ihre Mutter besitzt.

Nachdem seit Ende Oktober aber immer neue Corona-Fälle in der Einrichtung auftraten, wurde zunächst der Bereich der Wohngruppe 1 für Besucher gesperrt. Bald darauf ließ das Gesundheitsamt das gesamte Heim abriegeln.

Vor einem Jahr entschied Antje Schmidt schweren Herzens, ihre Mutter Gertraud ins Seniorenheim zu geben.
Vor einem Jahr entschied Antje Schmidt schweren Herzens, ihre Mutter Gertraud ins Seniorenheim zu geben. © privat

Niemand darf rein. Niemand darf raus. Wie lange das so bleiben muss, weiß derzeit niemand. "Das ist eine absurde Situation", sagt Antje Schmidt, die selbst als ausgebildete Krankenschwester in der ambulanten Pflege arbeitet und nach eigener Auskunft weit davon entfernt ist, die die Gefahr des Coronavirus zu relativieren und die Schutzmaßnahmen grundsätzlich infrage zu stellen.

"Diese alten Menschen werden aber auf nicht absehbare Zeit auf minimalstem Raum eingesperrt", sagt die 45-Jährige. Konkret stünden ihrer Mutter 15 Quadratmeter zur Verfügung, die sich sich mit einer Mitbewohnerin teile.

Ist das noch würdevoll, fragt sich Antje Schmidt. "Niemand würde auf die Idee kommen, uns jüngere Menschen über Wochen und Monate im Zimmer einzusperren." Das habe sie bisher nur aus China gehört.

"Hier wird meiner Meinung nach die Grenze des Zumutbaren weit überschritten." Antje Schmidt fordert daher eine Debatte darüber, ob unsere Gesellschaft die alten Menschen dauerhaft einsperren dürfe.

Über das Coronavirus informieren wir Sie laufend aktuell in unserem Newsblog.

Im Sommer habe man noch gesagt, eine weitere Schließung der Heime würde es nicht geben. Und nun? Warum seien in den vergangenen Monaten keine Konzepte für diese Notsituation erarbeitet worden? Sie hätte da so einige Ideen, und würde, wenn nötig, auch im Schutzanzug zu Besuch kommen.

"Über die Wochen hat sich meine Mutter bereits sehr in sich zurückgezogen und jeglichen Lebensmut verloren", klagt Antje Schmidt. Telefonate könnten daran nichts ändern.

Briefe schreiben könne die Mutter nicht mehr. Aufbauen würde sie nur der persönliche Kontakt zu ihren Angehörigen. "Eine Runde außerhalb des Heims zu laufen, könnte schon Wunder bewirken."

Jetzt auch noch ein positiver Test

Antje Schmidt schrieb eine Mail mit ihren Fragen an das Gesundheitsamt. Antworten bekam sie keine. Stattdessen erfuhr sie Ende vergangener Woche, dass nun auch ihre Mutter positiv auf das Coronavirus getestet wurde - glücklicherweise mit einem bislang milden Verlauf. Dennoch: Ein Ende der Quarantäne rückt damit in noch weitere Ferne.

Heimsprecher Stefan Vogler ist sich des Dilemmas bewusst, in dem alle Beteiligten im Moment stecken. "Normalerweise sind wir ein offenes Haus, wo jeder raus und rein kann. Nun stehen wir aber vor der Herausforderung, einen Mittelweg zwischen Gesetzlichkeit und Menschlichkeit zu finden", sagt er.

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Von den 141 Bewohnern seien derzeit 30 infiziert. "Einige von ihnen verstehen, was hier gerade passiert. Viele aber auch nicht." Das mache ein Hygienemanagement im Seniorenheim besonders schwer.

Es gebe Bewohner und auch Angehörige, die darauf bestünden, dass die Türen für Besucher weiter geschlossen bleiben und möglichst auch niemand raus darf. "Andere, wie Frau Schmidt, legen großen Wert auf Freiheit."

Es sei daher fast unmöglich, in diesen Tagen Entscheidungen zu treffen, die jeder gleichermaßen akzeptieren und nachvollziehen könne. Wie viel Fürsorge ist angebracht - und zu welchem Preis?

In dieser Woche wird im Heim eine zusätzliche Fachkraft ihren Dienst antreten, die sich ausschließlich um die Corona-Tests kümmert.

Auch Vogler wandte sich zuletzt an die Stadt und bekam Antwort von Dominic Heyn, dem persönlichen Referenten von Dresdens Gesundheitsbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke).

Dieser schreibt, die Kollegen im Gesundheitsamt würden sich ausschließlich nach dem Infektionsschutzgesetz, den fachlichen Vorgaben des Robert-Koch-Institutes und der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung richten. Für die politischen Rahmenbedingungen sei daher das Sächsische Sozialministerium der richtige Ansprechpartner.

Der aktuelle Quarantäne-Bescheid für das Seniorenheim in der Neustadt lief am Montag aus und bislang hat sich das Gesundheitsamt nicht wieder gemeldet. Damit ergibt sich für das Heim die Gelegenheit für vorsichtige Lockerungen. Negativ getestete Bewohner können die Einrichtung ab Dienstag wieder für Spaziergänge verlassen. Außerdem können Angehörige ihre Lieben dann immerhin wieder in einem infektionssicheren Besucherraum zu Gesicht bekommen. Hinter Plexiglas.

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