SZ + Sachsen
Merken

Kliniken am Limit: "Werden es auch diesmal schaffen"

Peter Spieth leitet die Intensivstation der Dresdner Uniklinik. Ein Gespräch über den Alltag an der Überlastungsgrenze und den Sinn der Corona-Impfung.

 12 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Ärzte und Intensivpfleger bei der Behandlung eines schwerkranken Covid-Patienten auf der Intensivstation der Dresdner Uniklinik.
Ärzte und Intensivpfleger bei der Behandlung eines schwerkranken Covid-Patienten auf der Intensivstation der Dresdner Uniklinik. © Ronald Bonß

Dresden. Die Zahl der Corona-Patienten hat ein kritisches Niveau erreicht. Ab Freitag gilt in Sachsen die sogenannte Überlastungsstufe. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat angesichts der dramatischen Lage einen "Wellenbrecher" gefordert. Neue Maßnahmen und vorübergehende Kontaktreduzierung soll dafür sorgen, das Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu bewahren.

Wie ernst ist die Lage an den Kliniken wirklich? Peter Spieth ist Arzt und Leiter der Corona-Intensivstation am Uniklinikum Dresden. In der aktuellen Folge des CoronaCast bei Sächsische.de berichtet er eindrücklich aus seinem momentanen Alltag, die Überlebenschancen seiner Patienten - und die Impfung. Lesen Sie hier einen Auszug des Interviews.

Herr Spieth, ab Freitag gilt die Überlastungsstufe in Sachsen. Dem Begriff liegt ein Rechenmodell zugrunde, das mit einem Vorlauf von rund zwei Wochen die zu erwartende Lage an den Kliniken prognostiziert. Sie leiten die Intensivstation am Uniklinikum Dresden. Wie ist die Situation bei Ihnen?

Wir sind eine Intensivstation, auf der eigentlich Fälle aller Fachgebiete behandelt werden. Vor drei Wochen haben wir wieder angefangen, die Station schrittweise auf die Covid-Versorgung umzustellen, weil sich die Patientenzahlen kontinuierlich erhöht haben. Aktuell behandeln wir 20 Corona-Patienten. Alle werden beatmet, sechs von ihnen über ein Lungenersatzverfahren. Wir haben jetzt noch zehn freie Betten.

Also sind noch Kapazitäten vorhanden?

Das Problem sind gar nicht unbedingt die Betten, die man zur Verfügung hat. Davon haben wir eigentlich genug. Um diese Betten aber auch mit einer adäquaten, hochqualitativen Pflege betreiben zu können, ist ein enormer personeller Aufwand nötig. Und da ist es ab jetzt so, dass wir wirklich mit jedem neuen Patienten auch neue Pflegekräfte mobilisieren und Umverteilungen in der Klinik vornehmen müssen.

Heißt das, dass der normale Stationsbetrieb schon jetzt gar nicht mehr möglich ist?

Da gibt es Einschränkungen, wir haben viel heruntergefahren. Alles, was jetzt nicht unbedingt sofort behandelt werden muss, wird aufgeschoben, um Personal auf die Behandlung von Covid-Patienten umzulenken. Das komplette Klinikum können wir aber nicht einfach umstellen, weil wir auch für die Nicht-Corona-Patienten in der Region die Versorgung sicherstellen müssen.

In der Intensivmedizin gibt es bei uns zum Beispiel noch eine Station mit 30 Betten für operative Fälle. Und es gibt auch weiterhin eine internistische Intensivstation, die sich um die Patienten kümmert, die zwar wieder Corona-negativ sind, aber immer noch intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Kurzum: Auch trotz Corona müssen und werden wir weiterhin schwere Verkehrsunfälle, große Krebs-OPs oder Herzinfarkte und Schlaganfälle behandeln.

In Sachsen gibt es drei Klinik-Cluster: Dresden, Chemnitz und Leipzig. Dresden und Chemnitz sind schon seit Tagen über dem Grenzwert der Überlastung, Leipzig hält sich immer noch ein bisschen darunter. Nun ist das Wort Überlastungsstufe ein plastischer Begriff. Was passiert da gerade im Hintergrund?

Die Aufteilung in Cluster ermöglicht es uns, relativ präzise Vorhersagen treffen zu können. Insbesondere in der Intensivmedizin ist es so, dass wir anhand der in den Regionen aufgenommen Patienten relativ genau abschätzen können, wie viele davon in den nächsten 14 Tagen von Normalstationen auf Intensivstationen verlegt werden. Und wir sehen, wann in welchen Kliniken eine Leistungsgrenze erreicht sein wird. Es erwischt uns also nie komplett kalt, was bei der Planung von Ressourcen ein großer Vorteil ist. Damit dieses Frühwarnsystem so funktioniert, sind die Cluster im ständigen Austausch. Da läuft jeden Tag viel Kommunikation im Hintergrund.

Wenn nun eine Klinik ans Limit kommt, dann müssen Patienten verlegt werden. Stellt Sie das vor besondere Herausforderungen?

Die Uniklinik Dresden ist da in einer etwas spezielleren Situation als andere Häuser. Wir sind in unserem Cluster das Zentrum für die besonders schweren Fälle. Etwa 90 Prozent der Patienten auf unserer Corona-Intensivstation sind gar nicht über das Uniklinikum aufgenommen worden. Es ist also gängige Praxis, dass wir immer wieder Patienten mit schweren Krankheitsverläufen übernehmen. Dass Intensivpatienten aber aus Kapazitätsgründen zu uns abgegeben werden, das passiert noch relativ selten.

Fakt ist aber: Jeder Patienten, der aus anderen Kliniken zu uns kommt, macht wieder ein Bett in dem anderen Krankenhaus frei. Diese Umverteilungen fließen in die tägliche Bewertung der Lage in den Clustern ein.

Sind solche Transporte von Patienten mit schweren Verläufen nicht auch riskant? Und wie beurteilen Sie, dass jemand für eine Verlegung überhaupt infrage kommt?

Wenn beispielsweise ein Krankenhaus aus Kapazitätsgründen abgeben muss, dann sprechen wir mit den Kollegen vor Ort und wählen die Patienten aus, die am ehesten von der weiterführenden Therapie auf unserer spezialisierten Station profitieren würden. Das sind in aller Regel die jüngeren Patienten, die ohne relevante Vorerkrankungen eingeliefert wurden, bei denen sich aber besonders schwere Verlaufsformen entwickelt haben.

Weil jeder Transport für diese hoch kritischen Patienten eine Gefahr darstellt, versucht man die Transportwege möglichst niedrig zu halten. Das läuft bei uns in Sachsen in den Clustern, denke ich, noch sehr gut. Sollten wir in Sachsen jedoch an unsere tatsächliche Leistungsgrenze kommen, dann könnten wir es wie vergangenes Jahr machen und über das sogenannte Kleeblatt-Konzept auch Patienten in andere Bundesländer verlegen.