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Asyldebatte in Dresden: Welche Behauptungen zur Ausländerkriminalität stimmen, welche nicht?

Bevor der Stadtrat über die neuen Container-Asylunterkünfte in Dresden entscheidet, wird auch versucht, Ängste zu schüren. Was an Behauptungen zur Ausländerkriminalität dran ist.

Von Sandro Pohl-Rahrisch & Alexander Schneider
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Der Wiener Platz in Dresden gilt seit mehreren Jahren als Schwerpunkt von Drogenkriminalität durch Zuwanderer.
Der Wiener Platz in Dresden gilt seit mehreren Jahren als Schwerpunkt von Drogenkriminalität durch Zuwanderer. © Christian Juppe (Archiv)

Dresden. Am 11. Mai wird der Dresdner Stadtrat entscheiden, ob und wo neue Container-Asylheime in entstehen. Die Debatte darüber ist in den vergangenen Wochen zum Teil sehr emotional geführt worden. In den betroffenen Stadtbezirken und Ortschaften äußerten Anwohner immer wieder Befürchtungen vor zunehmender Kriminalität, sollten in ihrer Nachbarschaft Asylbewerber unterkommen.

Zuletzt verbreitete sich am Freitag die Nachricht über eine Auseinandersetzung vorm Leubnitztreff an der Dohnaer Straße in den sozialen Medien. Zwei Libyer schlugen laut Polizei einen Marokkaner nieder. Außerdem verletzten sie ihn mit einem Messer leicht. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.

Sind Zuwanderer tatsächlich krimineller als Dresdner mit deutschem Pass, wie nach dem Vorfall am Freitag wieder behauptet wurde? Gibt es im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften mehr Straftaten? Das sind vier Behauptungen und die Fakten dazu.

Behauptung 1: Flüchtlinge begehen mehr Straftaten als Deutsche

Seriös lässt sich diese Behauptung weder bestätigen noch klar widerlegen. Den absoluten Zahlen in der aktuellen Dresdner Kriminalitätsstatistik zufolge stimmt diese Aussage nicht. Die Polizei hat im vergangenen Jahr insgesamt 45.227 Straftaten in Dresden gezählt, nicht enthalten sind ausländerrechtliche Straftaten wie illegale Einreisen. Davon sind 3.759 Fälle Zuwanderern zugeordnet worden. Das entspricht acht Prozent und ist der niedrigste Wert seit vielen Jahren, obwohl die Zahl der Asylbewerber 2022 Rekordniveau erreicht hat. Zum Vergleich: 2017 - inmitten der damaligen Flüchtlingswelle - wurden Zuwanderer verdächtigt, mehr als 5.000 Delikte in der sächsischen Landeshauptstadt begangen zu haben. Zu den Zuwanderern zählt die Polizei registrierte Asylbewerber, Geduldete, Bürgerkriegs- und Kontingentflüchtlinge sowie alle Personen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten.

Was stimmt: Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen, also nicht nur tatverdächtige Zuwanderer, ist verhältnismäßig hoch. Rund 30 Prozent der ermittelten mutmaßlichen Täter führt die Polizei in der Kriminalstatistik als "nichtdeutsch" auf. Dabei handelt es sich laut Polizei nicht nur um Ausländer, die in der Stadt dauerhaft leben, sondern auch um auswärtige Beschuldigte. Für die Kriminalstatistik ist lediglich der Tatort entscheidend, in diesem Fall also Dresden, nicht der Wohnort der Tatverdächtigen.

Daher ist es problematisch, die Behauptung zu bestätigen oder zu widerlegen. Denn man kann die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen nicht einfach ins Verhältnis zur ausländischen Wohnbevölkerung setzen. Zugenommen hätten jedoch Auseinandersetzungen, bei denen Messer, abgebrochene Bierflaschen oder ähnliche gefährliche Gegenstände eingesetzt werden, unter Zuwanderern passiert das spürbar häufiger, sagt Thomas Geithner, Sprecher der Polizeidirektion Dresden.

Behauptung 2: Auf der Prager Straße ist man nicht mehr sicher

Fakt ist: Das Sicherheitsgefühl auf Dresdens Einkaufsmeile hat abgenommen, zumindest im Bereich des Wiener Platzes. Das hat nicht erst die Bürgerumfrage ergeben, die im vergangenen Frühjahr durchgeführt wurde und an der sich knapp 6.000 Dresdner beteiligt haben.

Als Hauptgrund für dieses Gefühl werden Kriminalität und Drogen genannt. Was den Drogenhandel angeht, so bestätigt die Polizei, dass es rund um den Wiener Platz ein Kriminalitätsproblem gibt. Der Großteil der mutmaßlichen Drogenhändler seien Ausländer, bei den Käufern handele es sich auch um Deutsche. Eine Häufung von Gewaltdelikten oder Ladendiebstähle gibt es aus Sicht der Polizei auf der Prager Straße aber nicht.

Behauptung 3: Ausländer morden, verletzen und vergewaltigen

Tatsächlich sind Ausländer in einigen Deliktgruppen überproportional vertreten. So waren 55 Prozent aller ermittelten Tatverdächtigen, denen im vergangenen Jahr Straftaten gegen das Leben - zum Beispiel Totschlag oder Mord (samt Versuchen) - in Dresden vorgeworfen wurden, Ausländer. Wie viele Zuwanderer jeweils darunter waren, hat die Polizei in der Kriminalstatistik nicht gesondert angewiesen. Über alle Delikte hinweg liegt der Anteil tatverdächtiger Zuwanderer unter allen nichtdeutschen Tatverdächtigen bei 45 Prozent.

Bei aufgeklärten Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung - dazu zählen unter anderem Belästigungen, Exhibitionismus, Missbrauch und Vergewaltigung - liegt der Anteil tatverdächtiger Ausländer bei 46 Prozent. Sexualdelikte passieren laut Polizei häufig innerhalb einer Partnerschaft. Selten komme es vor, dass jemand von einem Unbekannten direkt von der Straße weggezerrt wird.

Bei aufgeklärten Rohheitsdelikten wie Raub oder gefährlicher Körperverletzung liegt der Anteil beschuldigter Ausländer bei 49 Prozent.

Warum Zuwanderer verhältnismäßig häufig bei manchen Delikten auffallen, darüber gibt es mehrere Untersuchungen, darunter die vielzitierte Studie "Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer" des Kriminologen Christian Pfeiffer und der Soziologen Dirk Baier und Sören Kliem. Demnach lassen sich die Kriminalitätszahlen zumindest teilweise mit der Sozialstruktur der Zuwanderer erklären. So kommen insbesondere aus dem arabischen Raum und Nordafrika junge Männer nach Deutschland. Diese Bevölkerungsgruppe verübt, Inländer wie Ausländer, statistisch und weltweit gesehen, überdurchschnittlich häufig Straftaten. Junge Männer testen nicht nur gern ihre eigenen Grenzen aus, sondern auch die des Rechtsstaats, in dem sie leben.

Weitere Erklärungen sind unter anderem der Kontakt zu kriminellen Freunden und eine unstrukturierte Freizeit.

Behauptung 4: Kinder sind auf dem Schulweg entlang eines Wohnheims nicht mehr sicher

Laut Polizeisprecher Geithner gibt es im unmittelbaren Umfeld von Übergangswohnheimen weder vermehrt Einbrüche, noch würden dort Kinder "weggefangen". Selbst Einsätze, die sich auf Taten innerhalb von Asylunterkünften beziehen, hätten abgenommen. 2018 war es noch insbesondere innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen an der Hamburger und der Bremer Straße wiederholt zu Polizeieinsätzen gekommen, allerdings vor allem wegen Körperverletzungen, Diebstählen und Hausfriedensbrüchen. Daraufhin sind die Sicherheitskonzepte überarbeitet worden, die Zahl der Fälle ging laut Polizei zurück.

Fazit: Kriminalität gibt es, Polizei erwartet aber keine Gefahr im Umfeld von Heimen

Dass es Straftaten durch Zuwanderer gibt und diese in einigen Deliktbereichen auch hoch ist, beschönigt die Polizei nicht. Insbesondere an Brennpunkten wie dem Wiener Platz oder in der Neustadt werden deshalb auch regelmäßig Großkontrollen durchgeführt.

Doch Polizeisprecher Geithner teilt die Sicht der Stadtverwaltung, dass von den städtischen Asylbewerberunterkünften keine Gefahr für die Nachbarschaft ausgehe. Sozialbürgermeisterin Kris Kaufmann (Linke) etwa hatte bei den Informationsveranstaltungen im April regelmäßig gesagt, wenn die Unterkünfte erst einmal bezogen seien, gebe es keine Probleme. Viele der jeweiligen Zuhörer hatten dies angezweifelt. (mit dpa)

Hinweis: In die Polizeiliche Kriminalstatistik fließen alle Fälle ein, die von der Polizei an die Staatsanwaltschaft übergeben werden. Ob aus allen Fällen auch Verurteilungen bezüglich der genannten Straftaten hervorgehen, wird aus der Statistik nicht ersichtlich. Die komplette Kriminalstatistik 2022 für Dresden finden Sie hier.