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Geldsorgen bei Dresdner Auffangstation: "Die Wildvögel werden sich selbst überlassen"

Ronja Fulsche rettete die Wildvogelauffangstation personell, als sie Leiterin wurde. Doch nun treiben die junge Frau andere Sorgen um: Ohne finanzielle Hilfen kann sie verletzte Wildvögel bald nicht mehr aufnehmen.

Von Juliane Just
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Verwaiste Schwäne, hier ein Jungtier aus Sporbitz, beschäftigen die Wildvogelauffangstation stetig. Doch wenn das Geld knapp wird, kann nicht mehr jeder Wildvogel in Not gerettet werden.
Verwaiste Schwäne, hier ein Jungtier aus Sporbitz, beschäftigen die Wildvogelauffangstation stetig. Doch wenn das Geld knapp wird, kann nicht mehr jeder Wildvogel in Not gerettet werden. © Sven Ellger

Dresden. Sie hat schon so viele Tiere leiden sehen. Sie hat sie bekniet, zu fressen. Sie hat Wunden gepflegt. Sie hat nachts den Fütterdienst übernommen. Doch Ronja Fulsche war auch dabei, wenn die Vögel wieder in die Freiheit entlassen wurden. Vielleicht ist es das, was ihren Beruf am Ende eines jeden Tags ausmacht: Meist gibt es ein Happy End.

Zwei Jahre ist es her, dass Ronja Fulsche mit gerade einmal 23 Jahren den Posten als Leiterin der Auffangstation für Wildvögel in Kaditz übernahm. Damit rettete sie die Einrichtung, die aufgrund von Personalmangel kurz vor der Schließung stand. Für Rotmilan, Waldkauz und Mäusebussard rund um Dresden war das ein Glück. Im Jahr 2022 fanden 1.000 verletzte Wildvögel hier Unterschlupf.

Von Bruchpiloten und Pechvögeln

Die Gründe für Verletzungen bei Wildvögeln können vielfältig sein. Derzeit wird ein Teichhuhn, ein "seltener Gast", wie Ronja Fulsche sagt, hier aufgepäppelt. Vermutlich hatte das Tier eine Kollision mit einem Auto und verletzte sich dabei das Rückgrat. Nun sitzt der schwarze Vogel mit dem flammend roten Schnabel in einem Katzenkörbchen im Warmen und lässt die Wunden heilen.

Auch aus zahlreichen anderen Körbchen, um die die Mitarbeiter der Auffangstation herumwirbeln, piept und krächzt es. Eine Waldschnepfe kollidierte mit einer Glasscheibe, ein Mäusebussard drohte zu verhungern, eine Amsel wurde von einer Katze angegriffen, ein Schwan brach sich beide Flügel, als er sich in den Seilen der Wasserskianlage in Leuben verfing. Etwa 100 Bruchpiloten und Pechvögel kommen derzeit unter dem Dach des Häuschens, das geschützt auf dem Gelände der Stadtentwässerung steht, zusammen.

Die bislang größte Aufgabe der Wildvogelauffangstation: Sechs Schwäne, die ihre Eltern im Sommer 2022 verloren hatten, wurden von Ronja Fulsche und den Mitarbeitern großgezogen.
Die bislang größte Aufgabe der Wildvogelauffangstation: Sechs Schwäne, die ihre Eltern im Sommer 2022 verloren hatten, wurden von Ronja Fulsche und den Mitarbeitern großgezogen. © Sven Ellger
Bei der Auswilderung wurden die sechs Jungschwäne, deren Eltern totgebissen wurden, von den Helfern der Wildvogelauffangstation zum Dresdner Elbufer getragen.
Bei der Auswilderung wurden die sechs Jungschwäne, deren Eltern totgebissen wurden, von den Helfern der Wildvogelauffangstation zum Dresdner Elbufer getragen. © Marion Doering
Zurück in die Freiheit: Die sechs verwaisten Ullersdorfer Schwäne wurden nach drei Monaten Pflege in der Wildauffangstation in Dresden-Kaditz in die Elbe entlassen.
Zurück in die Freiheit: Die sechs verwaisten Ullersdorfer Schwäne wurden nach drei Monaten Pflege in der Wildauffangstation in Dresden-Kaditz in die Elbe entlassen. © Marion Doering
Im Oktober 2021 übernahm Ronja Fulsche die Leitung der Wildvogelauffangstation und rettete die Einrichtung damit vor der Personalnot.
Im Oktober 2021 übernahm Ronja Fulsche die Leitung der Wildvogelauffangstation und rettete die Einrichtung damit vor der Personalnot. © Sven Ellger
Diese Amsel muss sich mit der Hilfe von Ronja Fulsche von einem Katzenangriff erholen.
Diese Amsel muss sich mit der Hilfe von Ronja Fulsche von einem Katzenangriff erholen. © Sven Ellger

Doch es gibt nicht nur tierische Sorgen. Ronja Fulsche ist eine zurückhaltende Person, würde nie laut um Hilfe schreien. Aber nötig hat es die Station durchaus. Der Auffangstation wurden öffentliche Mittel gestrichen. Diese Gelder deckten bislang nicht einmal 50 Prozent der Kosten der Wildvogelstation. Bergung, medizinische Versorgung, Betreuung und Pflege der Tiere kosten bis zu 85.000 Euro jährlich.

Der Grund für das Finanzloch: Im Juli 2022 wurde die Sächsische Förderrichtlinie für Tierschutz neu aufgesetzt. Darin steht, dass nur noch Heimtiere förderfähig sind, Wildtiere jedoch nicht. Das ärgert die Leiterin: "Unsere Wildvögel fallen damit durchs Raster."

Ohne Spenden können Wildvögel in Not nicht gerettet werden

Bisher erhielt die Auffangstation jährlich bis zu 6.000 Euro aus öffentlichen Finanztöpfen, die nun fehlen. Ein Betrag, der wortwörtlich über Leben und Tod entscheiden kann. "Wenn keine weiteren Spenden dazukommen, können wir das alles nicht mehr finanzieren", sagt Ronja Fulsche. Das würde bedeuten, Vögel in Not nicht aufnehmen zu können - und damit das zu verneinen, wofür die Auffangstation steht. "Die Wildvögel werden sich selbst überlassen."

Für die junge Frau ist das bitter. Aufopfernd kümmern sich wenige Mitarbeiter und viele ehrenamtliche Helfer um die Tiere, deren Verletzungen größtenteils durch den Menschen zustande kommen. Von Juni bis August ist Hochsaison in der Auffangstation, dann ist die Arbeit kaum noch zu schaffen. "Eigentlich ist unsere Einrichtung zu klein für die Anzahl der Tiere, die zu uns kommen", sagt Fulsche.

Die Dresdner Einrichtung ist die größte in Sachsen, Ausweichstationen gibt es kaum. In Leipzig gibt es eine Wildvogelhilfe vom Naturschutzbund (Nabu), ein Zwei-Mann-Betrieb. Die Vogelwarte in Neschwitz hat nur wenig Platz. In Pirna gebe es noch einen Vogelretter, der die Tiere in private Pflege nimmt. Mehr gibt es nicht.

Vogel-Ersatzmama in den Nachtstunden

Ohne Ehrenamtler wäre der Betrieb auch in Dresden nicht stemmbar, betont Ronja Fulsche. Es gebe Mitmenschen, die regelmäßig helfen und einen großen Teil ihrer Zeit für die Tiere opfern. Doch oft ist sie diejenige, die Jungvögel abends mit nach Hause nimmt. Denn sie ist die einzige Vollzeit-Festangestellte. Nach acht Stunden im Dienst mimt sie in ihren privaten Wänden dann die Ersatzmama. Bis 22 Uhr müssen die Jungvögel gefüttert werden. Bis zum Sonnenaufgang hat Ronja Fulsche nur wenige Stunden, bis die morgendliche Fütterung ansteht.

Im Sommer 2022 war die 25-Jährige sogar sechsfache Mama - auf einen Schlag. Sechs Jungschwäne wurden im Juli plötzlich Waisen, als ein Hund ihre Eltern totbiss. Es war wohl die bislang größte Aufgabe für das gesamte Team. Ronja Fulsche versuchte lange, die Schwäne zum Fressen zu bewegen. Als das gelang, haben die Jungvögel "gefressen wie Scheunendrescher". Drei Monate später konnten die Tiere an der Elbe ausgewildert werden. Bislang wurden sie nicht mehr gesichtet.

Doch zu nah darf Ronja Fulsche die Schicksale nicht an sich heranlassen. "Einerseits fühlt man mit dem Tier mit, andererseits muss man auch den nötigen Abstand behalten. Das macht man sonst psychisch nicht mit." Es gebe auch Verletzungen und Rettungsaktionen, bei denen die Tiere "danach nichts mehr vom Leben haben".

Doch wie geht es jetzt weiter? Die junge Frau zuckt mit den Schultern. Bis jetzt sehe es nicht so aus, als würde die Auffangstation an dem Finanzproblem zerbrechen. "Die Frage ist, in welchem Umfang uns das trifft", sagt sie. Ob es dieses Mal ein Happy End gibt?

Weitere Informationen zurr Arbeit der Einrichtung oder Tierpatenschaften gibt es auf der Website der Wildvogelauffangstation. Spenden können Sie an das Umweltzentrum Dresden, IBAN: DE68 8505 0300 3120 1358 00, BIC: OSDDDE81XXX, Ostsächsische Sparkasse Dresden, Verwendungszweck: Spende Vogelstation und Ihre Adresse für eine Zuwendungsbescheinigung.