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„Würde auch kein Schnitzel für 20 Euro essen“ – Görlitzer Wirtin gibt Lokal auf

Sabine Fritzsche aus Ostritz übernahm vor einigen Jahren das Gasthaus "Zum Alten Bahnhof" in Hagenwerder. Weil es nicht mehr lohnt, zieht sie nun die Reißleine.

Von Marc Hörcher
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Im Gasthaus "Zum Alten Bahnhof" in Hagenwerder wird am Sonntag die vorerst letzte Mahlzeit an Gäste serviert.
Im Gasthaus "Zum Alten Bahnhof" in Hagenwerder wird am Sonntag die vorerst letzte Mahlzeit an Gäste serviert. © Martin Schneider

Viele reagieren auf die Nachricht, die jüngst in der Facebook-Gruppe „Freunde von Ostritz“ gepostet wurde, mit Bedauern: Die Bahnhofsgaststätte in Hagenwerder, das Ausflugslokal unweit des Berzdorfer Sees und nahe des Oder-Neiße-Radwegs, schließt Ende Januar. Einer der Gruppen-Admins hat diese Mitteilung gepostet. Über ein Online-Inserat steht das Inventar des beliebten Ausflugslokals zum Verkauf. „Sehr schade und wieder ein touristischer Anziehungspunkt weniger“, schreibt ein Nutzer, „Dankeschön für die schöne Zeit“ ein anderer. Eine Nutzerin kommentiert: „Ich kann es verstehen.“

Warum aber schließt das Lokal? Was ist mit der Wirtin Sabine Fritzsche? Das fragt sich in der Gruppe so mancher. Frau Fritzsche hatte die Gaststätte vor reichlich sechs Jahren übernommen. Die Anzeige jedoch ist von jemand anderem aufgegeben, der das Mobiliar nur vermittelt.

Es seien „finanzielle Gründe“, antwortet Fritzsche auf telefonische Nachfrage der SZ. Diese Gaststätte weiterzubetreiben lohne sich für sie einfach nicht mehr. Zuletzt habe sie dort „null bis zwei Essen am Tag“ verkauft. Damit seien die laufenden Kosten für Gas, Wasser, Strom und Miete natürlich nicht mehr zu decken. Und auch die Löhne nicht, selbst in einem kleinen Drei-Personen-Betrieb wie dem ihren. Da müsse sie eben aufgeben, bevor sie mit ihrem Betrieb untergehe. Bereits seit Längerem bot Fritzsche in der Bahnhofsgaststätte nur Mittagstisch und Essen für Feierlichkeiten an. Öffnungszeiten waren zuletzt mittwochs bis sonntags, montags und dienstags war ohnehin Ruhetag. Sich davon über Wasser zu halten, klappt jetzt eben nicht mehr.

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Obendrauf kommt für alle Gastwirte seit Januar die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer von sieben auf 19 Prozent auf Speisen. Diese Steuererleichterung war zu Zeiten der Corona-Krise noch von der vorherigen Bundesregierung beschlossen worden, die Ampel verlängerte sie dann zunächst aufgrund von Inflation und Energiekrise. Wirte und auch der Lobbyverband Dehoga hatten lange dafür getrommelt, den Steuersatz von sieben Prozent dauerhaft beizubehalten - doch daraus wurde nichts. Auch in der Bahnhofsgaststätte dürfte die höhere Mehrwertsteuer bei der Gesamtkalkulation zu Buche schlagen. Für sie persönlich sei das aber nicht der ausschlaggebende Grund fürs Aufhören, sagt Fritzsche. Schwierig geworden sei es bereits seit der Corona-Krise, die Nachfrage im vergangenen Jahr beschreibt sie als „sehr verhalten“. Und nun müsse sie eben die Reißleine ziehen.

Fritzsche selbst ist in dem Gebäude nach eigenen Angaben Pächterin. Der Besitzer, ein Privatmann, wolle es ohnehin seit Längerem verkaufen. Deswegen hat sie sich auch nicht darum bemüht, einen Nachfolger zu finden. Auch ein Anheben der Preise auf der Speisekarte kam für sie nicht infrage. Das möchte sie ihren Kunden nicht zumuten, sie wisse und spüre ja selbst, wie das ist. „Ich selbst würde auch kein Schnitzel für 20 Euro essen“, sagt sie. Dann würde Essen gehen zum Luxus. Mit dieser Einstellung liegt Frau Fritzsche, was Görlitz angeht, im Trend: Die SZ hat bei fast 20 Restaurants und Cafés in Görlitz die Preise im Dezember und Januar verglichen. Davon haben nur zwei ihre Preise erhöht. Das muss freilich nicht bedeuten, dass andere nicht nachziehen. Gastronom Paul Otto, Chef des Restaurants Destille am Görlitzer Nikolaiturm, sagte etwa vor wenigen Tagen im SZ-Interview: „Bei 22 oder 23 Euro für ein Schnitzel hört der Spaß auf.“

Wirtin möchte als Angestellte weiterarbeiten

Die Ostritzerin Sabine Fritzsche ist in der Gegend als engagierte Geschäftsfrau bekannt. 2021 eröffnete sie, ebenfalls im Bahnhofsgebäude, einen Lebensmittelladen. Zuletzt half sie ganz praktisch im Betrieb auch bei der Klosterschenke, dem Gasthaus des Klosters St. Marienthal, in Ostritz aus. Gefragt war sie dort aber auch als Beraterin beim Versuch eines Neustarts - beim Erstellen einer realistischen Speisekarte beispielsweise. Auch die Klosterschenke hat, wie viele andere Gastronomie-Betriebe, in dieser Zeit mit Problemen zu kämpfen. Aktuell ist sie geschlossen - erstmal bis Ende Februar. Das größte dieser Probleme sei nach wie vor der Mangel an gutem Personal - so die Äbtissin des Klosters vor einigen Wochen im Gespräch mit der SZ.

Bis Sonntag, 28. Januar, ist die Bahnhofsgaststätte in Hagenwerder nun noch geöffnet - dann ist Schluss. Die 50-jährige Gastwirtin ist eigentlich gelernte Weberin und hat vor einigen Jahren zur Köchin umgeschult. Jetzt gebe sie ihre Selbstständigkeit auf und suche einen neuen Job als Angestellte, sagt sie - in der Pflege, in der mobilen Hauswirtschaft oder im Servicebereich bei einem Restaurant - vorstellen könne sie sich manches, sie suche noch und führe erste Bewerbungsgespräche. „Wer weiß, wofür es gut ist“, sagt sie mit optimistischem Blick nach vorne. Und ihre beiden Mitarbeiterinnen? Die eine habe etwas in Aussicht, die andere werde wohl vorerst zu Hause bleiben müssen, auch wegen gesundheitlicher Schwierigkeiten.