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Im Kreis Meißen gibt es kaum Rechtsextremisten

Der Landesverfassungsschutzbericht enthält überraschende Aussagen zum Rechtsextremismus im Landkreis Meißen. Doch die Anhänger des Flügels fehlten.

Von Martin Skurt
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Das Verlagsgebäude der Deutschen Stimme in Riesa. Dem sächsischen Verfassungsschutzbericht zufolge ist dieses ein inoffizielles rechtsextremes Zentrum im Landkreis Meißen.
Das Verlagsgebäude der Deutschen Stimme in Riesa. Dem sächsischen Verfassungsschutzbericht zufolge ist dieses ein inoffizielles rechtsextremes Zentrum im Landkreis Meißen. © Sebastian Schultz

Meißen. Seit Jahren bleibe das Potenzial an Rechtsextremen im Landkreis Meißen gleich. So geht der Freistaat Sachsen 2020 von 150 bis 200 Rechtsextremen aus, berichtet das Landesamt für Verfassungsschutz. Das sei im sachsenweiten Vergleich wie bereits in den Vorjahren im unteren Bereich. Im Landkreis gebe es bis auf die Bundesgeschäftsstelle der NPD-Jugendorganisation in Riesa eher eine unstrukturierte, hauptsächlich subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene sowie die Verbindung der Szeneangehörigen untereinander zudem lose. Doch das könnte sich 2021 geändert haben.

Denn die Zahl Rechtsextremer im Landkreis Meißen, die so im Verfassungsbericht steht, enthält aktuell noch nicht die Anhänger des Flügels der AfD. Sachsenweit sind es etwa 1.400. Die Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte wäre für das Jahr 2020 aber nicht mehr möglich gewesen. Auch weil es keine festen Strukturen gebe, erklärt das sächsische Verfassungsschutzamt. Ebenso nicht im Bericht aufgeführt: die Partei Freie Sachsen. Die stufte der Landesverfassungsschutz im Juni 2021 als rechtsextrem ein.

Im Landkreis Meißen ist ein NPD-Kreisverband aktiv, auch wenn die Partei kaum eigene Veranstaltungen im Jahr 2020 durchführte. Vielmehr waren Mitglieder auf Veranstaltungen des Bundes- und Landesverbands anzutreffen. Einzelne Anhänger nahmen zudem an den Leipziger „Querdenken“-Demonstrationen im November 2020 teil, so der Verfassungsschutzbericht.

Deutsche-Stimme-Verlag gilt als rechtsextremes Zentrum

Die bedeutendste rechtsextreme Gruppierung im Kreis hat ihren Sitz in Riesa, und zwar der Deutsche-Stimme-Verlag (DS). Dieser gibt das rechtsextremistische Magazin Deutsche Stimme heraus, das Presseorgan der NPD. Zusätzlich verkauft der Verlag noch wenige Bücher im eigenen Onlineshop.

Interessanter ist jedoch, dass mit dem Riesaer Verlag die NPD als Eigentümer einen Treffpunkt von bundesweiter Bedeutung besitzt, steht weiter im Verfassungsschutzbericht. Dort treffen sich die Mitglieder der Partei aus Deutschland. So wie am 5. September zum jährlichen Sommerfest des NPD-Landesverbandes mit etwa 90 Teilnehmern. Am selben Ort lud die NPD in unregelmäßigen Abständen rechtsextremistische Liedermacher ein, die die Begleitmusik zu Parteiveranstaltungen lieferten. Das heißt jedoch nicht, dass der Landkreis eine rechtsextremistische Musikszene besitzt. Eher im Gegenteil.

Finanziell geht es dem Riesaer Verlag dabei vermutlich schlecht. So machte er in den vergangenen zehn Jahren mehr Verluste als Gewinne, und sein Kapital schwand immer mehr. Das geht aus Daten des Onlinerecherche-Werkzeugs North Data hervor, welches Gewinn- und Umsatzzahlen deutscher Firmen für jeden kostenlos bereitstellt. Aufgrund dessen übernahm Thorsten Heise den Versandhandel 2015, schreibt das Onlineportal Endstation rechts. Thorsten Heise ist ein Thüringer NPD-Funktionär. Bekannt ist er in Sachsen vor allem als Veranstalter des rechtsradikalen Rockfestivals „Schild und Schwert“ in Ostritz.

Neben dem DS-Verlag gibt es noch einen weiteren in Riesa: Nation und Wissen. Der Verfassungsschutz stuft diesen ebenso als rechtsextremistisch ein. Das Angebot auf der Internetseite fasst der Verfassungsschutz so zusammen: „Ein großer Teil seines Sortiments weist Bezüge auf die Zeit des Nationalsozialismus auf und ist auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet.“ Konkret verkauft werden Aufkleber mit dem Symbol der schwarzen Sonne oder Thors Hammer, verschiedene Erfahrungsberichte von Veteranen, die im Zweiten Weltkrieg dienten – und zwar in der Waffen-SS. Daneben noch Bücher mit Überlebenstipps für den Ernstfall und ganz viele andere Dinge, die sich mit militärischen Themen auseinandersetzen.

Verbindungen zwischen Freien Sachsen und DS-Verlag

Die Rechtsextremisten im Landkreis Meißen fallen hauptsächlich durch Straftaten auf. So wurden im vergangenen Jahr 89 Verstöße festgestellt, in etwa so viele wie 2019. Von diesen fast 100 Straftaten waren null Gewalttaten. Insgesamt gab es davon 2020 im gesamten Freistaat 73 von insgesamt 2.070 Straftaten. Die sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, Kerstin Kröditz, hat jedoch mehr Fälle errechnet. Die Politikerin stellt monatlich kleine Anfragen im Landtag zur Zahl extremistischer Straftaten. „Der gesamte Datensatz für 2020 summiert sich auf 2.227 Fälle im ganzen Freistaat, gut 100 mehr als kürzlich bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik mitgeteilt wurden. In meine Auswertung einbezogen habe ich Nachmeldungen, die erst nach dem Jahreswechsel bekannt wurden“, schreibt Köditz auf ihrer Internetseite.

Sie berechnete ebenso das relative Fallaufkommen. Das heißt, wie viele Straftaten pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner begangen wurden. So stellte sie fest, dass im Landkreis Leipzig rund 80 Fälle und damit die meisten vorkamen. Danach folgen die Landkreise Görlitz und Nordsachsen mit 70 und 67 sowie die Stadt Chemnitz (66). Diese Regionen wären auch bereits 2019 die „Hotspots“ gewesen, so Kröditz. Die Städte Dresden und Leipzig hingegen fanden sich damals wie auch im vergangenen Jahr im Mittelfeld bei etwa 50 Fällen pro 100.000 Bewohnerinnen und Bewohnern. Im Landkreis Meißen sind es nach eigenen Berechnungen 37 Fälle.

Im Landkreis Meißen bleibt die rechtsextremistische Szene im sachsenweiten Vergleich eher klein. Ob die sich 2021 vergrößert hat, darüber wird der Landesverfassungsschutz im nächsten Jahr urteilen müssen. Möglich wäre es. Denn bemerkenswerterweise gibt es offenbar öffentliche Verbindungen zwischen den Freien Sachsen und dem Riesaer Verlag – zumindest nach Aussagen der Deutschen Stimme auf Facebook vom 26. November. Die Mobilisierung und Vernetzung auf Telegram könnte zudem zu einer strukturierteren und organisierteren rechtsextremen Szene im Landkreis verholfen haben.