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E-Auto, Lastenfahrrad, Paddelboard: So vielfältig kann Mobilität sein

Tuba im Lastenfahrrad, Brötchen auf dem Paddelboard: Um Alltagswege klimafreundlich zu erledigen, gibt es viele Möglichkeiten.

Von Jörg Stock & Ines Eifler & Tim Ruben Weimer & Martin Skurt
 8 Min.
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"Körper fit halten und Seele aufräumen." Jan Diestel, 57, aus Pirna ist zweimaliger Deutscher Meister im Stehpaddeln. Mit dem Board fährt er manchmal zum Bäcker und auf Arbeit.
"Körper fit halten und Seele aufräumen." Jan Diestel, 57, aus Pirna ist zweimaliger Deutscher Meister im Stehpaddeln. Mit dem Board fährt er manchmal zum Bäcker und auf Arbeit. © Norbert Millauer

Ein bisschen Gedanken machen und kreativ sein reicht, um viel sinnlosen Verkehr zu vermeiden, sagt Jan Diestel. Der blonde Wuschelkopf ist Deutscher Meister im Stand-up-Paddeln. Und damit ist klar, in welche Richtung er denkt: in die Richtung der breitesten Straße, die vor seiner Haustür in Pirna vorbei führt, und die eine Bundeswasserstraße ist: die Elbe.

Heute Morgen ist Diestel mal wieder auf das Board gestiegen und hat sich vierzig Minuten lang flussaufwärts gekämpft, bis nach Stadt Wehlen. Dort kaufte er bei seinem Lieblingsbäcker die Frühstücksbrötchen ein. Die Verkäuferin kennt ihn. Wenn er in Schuhen aus Neopren ankommt, oder, jetzt im Sommer, ganz ohne, weiß sie, dass die Brötchen wasserdicht verpackt sein sollten.

Täglich passt so eine Tour nicht in Diestels Plan. Als Selbstständiger hat er viel um die Ohren. Er führt ein Spezialgeschäft für Board-Sport, das "Wild East" in Dresden. Allerdings will er genau deshalb ein Beispiel geben und sichtbar sein auf dem Wasser. "Über die Fortbewegung will ich den Leuten das Erlebnis nahe bringen."

Jan Diestel auf der Elbe vor seinem Haus in Pirna-Posta. Hier führt er vor, wie er das Paddelboard als Lastenkahn einsetzt.
Jan Diestel auf der Elbe vor seinem Haus in Pirna-Posta. Hier führt er vor, wie er das Paddelboard als Lastenkahn einsetzt. © Norbert Millauer

Diestel, der fast das ganze Leben schon auf Brettern steht und 1990 letzter DDR-Meister im Windsurfen wurde, zählt sich zu den Stand-up-Paddel-Pionieren in Sachsen. Seit sechzehn Jahren betreibt er diesen Wassersport nach hawaiianischem Vorbild. Ab und an paddelt er auch zur Arbeit, zwanzig Kilometer die Elbe hinunter, bis zum Schillerplatz. Dort entlüftet er das Board, rollt es zusammen und läuft zum Laden.

Zusätzlich dient das Brett ihm als Lastenkahn. Bei Paddelkursen vertäut er das Gepäck seiner Schüler darauf, bei Wanderfahrten auch noch zwei bis drei Getränkekisten. Einmal fuhr er mit dem Paddelboard bis zu einer Töpferwerkstatt, wo seine neue Butterdose auf ihn wartete. Das waren an die siebzig Flusskilometer. Für den Heimweg nahm er dann doch die Bahn.

Jan Diestel denkt, dass schwitzen bei den Leuten nicht mehr so angesagt ist. Dabei stärke gerade das Stand-up-Paddeln Körper und Seele. Nach zwei Stunden Kurs sagt ihm mancher, es habe sich angefühlt wie zwei Tage Urlaub. "Das ist das schönste Kompliment."

Maria-Ruth Schäfer und ihr Lastenrad: Mit Kindern und Tuba per Rad unterwegs

Das stickige Auto gegen ein luftiges Lastenrad mit Elektroantrieb zu tauschen, können sich jetzt im Sommer sicher viele vorstellen. Maria-Ruth Schäfer jedoch transportiert damit ihre Kinder, große Instrumente und Wasserkästen für ganze Bläsergruppen bei jedem Wetter bergauf, bergab durch Görlitz. Hier gehört sie zu den wenigen, die trotz vieler Lasten fast vollständig aufs Auto verzichten.

"Ich habe zwar mit 18 den Führerschein gemacht", sagt die 36-jährige Musikerin, die als Pfarrerstochter in Mecklenburg-Vorpommern aufwuchs. "Aber wir waren sechs Kinder, da bekam nicht jeder ein Auto geschenkt." Weil sie auf ein Internat ging, vom dem sie nur alle 14 Tage zurück nach Usedom fuhr, war sie Bus und Bahn gewohnt. "Autofahren kam in meinem Denken gar nicht richtig vor."

Maria-Ruth Schäfer fährt bei Hitze, Regen und Schnee mit ihrem Lastenrad durch Görlitz. Weil darin viel Platz ist, braucht sie fast nie ein Auto.
Maria-Ruth Schäfer fährt bei Hitze, Regen und Schnee mit ihrem Lastenrad durch Görlitz. Weil darin viel Platz ist, braucht sie fast nie ein Auto. © Martin Schneider

Als sie später damit anfing, fühlte sie sich nie ganz sicher dabei und ließ es nach einem Unfall ganz bleiben, bis sie 2016 den VW T4 ihres Vaters erbte. "Den Bus habe ich wirklich geliebt, aber leider wurde er mir vor ein paar Monaten gestohlen." Für Ausflüge oder größere Transporte nutzt sie heute eins der fünf in Görlitz verfügbaren Teilautos.

Mara Schäfer war auch früher schon hauptsächlich mit Fahrrad und Kinderanhänger unterwegs. Als sie ihr Posaunenchor-Unternehmen Blech:Werk:Stadt gründete und der Anhänger zu klein wurde, schaffte sie sich 2020 das große Lastenrad an. "Auch wenn die Radwege oft zu schmal sind, es an abgesenkten Bürgersteigen fehlt und viele Kurven zu eng sind, bin ich mit meiner Entscheidung sehr glücklich", sagt Mara Schäfer. "In der Stadt ist man oft schneller als mit dem Auto unterwegs, kann sich sehr frei fühlen und durch den elektrischen Antrieb strengt es nie an."

An Akzeptanz fehle es jedoch manchmal, vor allem unter Autorfahrern. "Einige werfen mir vor, auch ein E-Bike würde Energie verbrauchen, ich solle doch lieber treten", sagt Mara Schäfer. Andere ärgerten sich, ihr Rad sei zu breit und brauche viel Platz. "Dabei sehen viele gar nicht, dass ich das Lastenrad statt eines Autos nutze und nicht zusätzlich."

Dirk Bertram pendelt mit dem Fahrrad: Ausgleich zur Arbeit

Bevor Dirk Bertram seine Ausbildung als Anlagenmechaniker in Pirna begonnen hatte, stand er vor einem Dilemma. Sollte er nun den in seinen Augen unzuverlässigen ÖPNV nutzen, ein eigenes Auto holen oder sein Elternhaus in Dresden verlassen und nach Pirna ziehen? Für Letzteres hat er sich entschieden und es nicht bereut. Jetzt wohnt er aber in Meißen und fährt täglich nach Radebeul auf Arbeit und zurück. Eine Strecke ist 13 Kilometer lang.

Am Anfang wollte er noch Geld sparen, da ihm die ÖPNV-Tickets zu teuer gewesen waren, jetzt fährt er bewusst mit dem Fahrrad. Die Strecke ist für ihn inzwischen ein Ausgleich zur Arbeit. Sobald er aufs Fahrrad steigt und nach Hause radelt, ist er im Moment. "Ich kann meine Gedanken neu sortieren." Er genieße den Weg entlang der Elbe mit dem Rad. Für eine Strecke braucht er 25 Minuten.

Dirk Bertram, 35 Jahre alt, pendelt täglich mit dem Rad von Meißen nach Radebeul. Sein Trekkingrad fährt er schon seit mehr als 20 Jahren.
Dirk Bertram, 35 Jahre alt, pendelt täglich mit dem Rad von Meißen nach Radebeul. Sein Trekkingrad fährt er schon seit mehr als 20 Jahren. © Claudia Hübschmann

Sein erstes Trekking-Fahrrad hat er dabei schon mit 15 Jahren gekauft. Das fährt er auch heute noch – wenn auch nicht mehr ganz im Original. Bis auf den Rahmen wurde das Meiste schon ausgetauscht. In seinen Augen sollte man aber an einer Stelle nicht sparen: dem Sattel. "Der muss passen." Das heißt aber nicht, dass bei Schmerzen gleich ein anderer gewählt werden sollte. "Mir tut regelmäßig mein Hintern weh, wenn ich im Frühjahr auf mein Rennrad steige. Beim zweiten Mal aber schon nicht mehr."

Das sei aber besser, als ein eigenes Auto zu besitzen. Denn das bedeute für ihn Zwang, sagt Dirk Bertram. Er will nicht dafür arbeiten, sein Auto in Schuss zu halten. Lieber bleibt er unabhängig. "Ab und zu leihe ich mir einen Mietwagen, wenn ich größere Strecken zurücklege oder etwas transportieren muss." Dafür hat er sich aber zwei Motorräder gekauft, mit denen er selten in seiner wenigen Freizeit eine Spritztour macht. "Es ist schön, sich diese Freiheit leisten zu können. Andere kümmern sich um ihren Garten oder gehen gerne ins Konzert. Trotzdem könnte ich darauf verzichten. Denn wenn er zu seinen Eltern nach Dresden fährt, nimmt er trotzdem sein Fahrrad. Auch auf dem Weg zur Arbeit wäre er mit seinen Maschinen nicht schneller. Letztlich sind für ihn die Kosten entscheidend.

Vollelektrisch unterwegs

„Wenn ich an einer Ampel Gas gebe, lasse ich jeden Mercedes SL weit hinter mir“, scherzt der 74-jährige Hans Helmig, der mit seinem gemieteten Elektroauto täglich im Stadtgebiet von Bautzen unterwegs ist. Er fährt einen MG4, den chinesischen Konkurrenten zum VW ID.3, Batteriereichweite rund 400 Kilometer, Listenpreis mehr als 38.000 Euro. „Eine Neuanschaffung war bei den derzeitigen Preisen keine Option“, sagt der Rentner, der bis vor einem Jahr noch einen Verbrenner fuhr. Stattdessen zahlt Helmig monatlich 439 Euro Miete an ein Start-up, das Autos zum Abopreis anbietet. Das Limit auf 1.000 Kilometer pro Monat reiche für ihn völlig aus, dafür muss er sich nicht um Reparaturen oder Versicherung kümmern.

Der Grund für den Wechsel zum E-Auto waren für ihn die gestiegenen Kosten. Vor allem die Kurzstrecken als Enkeltaxi, für Einkaufs- oder Kurierfahrten, die er für einen Minijob im Bautzener Stadtgebiet unternimmt, hätten die Spritkosten auf durchschnittlich 17 Cent pro Kilometer klettern lassen. Für Strom zahle er jetzt nur noch acht Cent.

Hans Helmig ist hauptsächlich mit seinem E-Auto unterwegs.
Hans Helmig ist hauptsächlich mit seinem E-Auto unterwegs. © Steffen Unger

„Ich wollte für mich die Erkenntnis sammeln, wie es ist, mit einem E-Auto zu fahren“, sagt Helmig. Und die falle vor allem positiv aus – zumindest auf Kurzstrecken in Bautzen und Umgebung. Bei Fahrten nach Dresden oder Leipzig müsse er dagegen vorher gut planen, wo es unterwegs Ladesäulen gibt. „Ich fahre da momentan lieber mit dem Zug, auch aufgrund der Parkplatzsituation“, sagt er. Doch auch in Bautzen geht das Laden nicht ganz unkompliziert: Helmig wohnt zur Miete, eine eigene Lademöglichkeit hat er nicht. Alle zwei Wochen stöpsle er sein Auto für etwa eine Stunde an die rund zehn Minuten entfernte Schnellladesäule an, dort zahlt er 50 Cent pro Kilowattstunde. Währenddessen gehe er in der Stadt einkaufen und verfolge den Ladefortschritt über eine App.

„Es bräuchte noch viel mehr Ladesäulen im Stadtgebiet“, sagt Helmig. Außerdem mache er sich Sorgen, inwieweit die Batterien der E-Autos recycelt werden könnten. Den einjährigen Mietvertrag für sein Auto will er zwar verlängern, doch die optimale Lösung sei eigentlich ein Wasserstoffauto.

Mitmachen und Reise gewinnen

  • Worum geht es? Der Mobilitätskompass ist eine Umfrage zu Mobilitätsangeboten und -wünschen in der Region. Die Umfrage wurde mit wissenschaftlicher Unterstützung der Evangelischen Hochschule Dresden entwickelt. Jeder kann sich beteiligen.
  • Wie kann ich teilnehmen? Den Fragebogen finden Sie im Internet unter www.saechsische.de/mobilitaetskompass. Die anonyme Umfrage läuft bis Ende September. Die Ergebnisse werden wissenschaftlich ausgewertet und im November präsentiert.
  • Warum mitmachen? Mit Ihren Antworten helfen Sie, dass ihre Meinung gehört wird. Die Kompass-Befragungen der Sächsischen Zeitung zeichnen nicht nur ein Stimmungsbild, sie führen auch zu Veränderungen. Darüber hinaus haben Sie die Chance, an einer Verlosung teilzunehmen und attraktive Preise zu gewinnen, unter anderem eine Wanderreise für zwei Personen an die Amalfi-Küste nach Italien.