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Raserstadt Dresden? Ein Test

Ein Sechsjähriger kommt bei einem illegalen Rennen ums Leben. Doch Raser sind die Ausnahme, sagt die Polizei. Stimmt das?

Von Nora Domschke & Sandro Pohl-Rahrisch & Christoph Springer & Georg-Dietrich Nixdorf
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Auch ein Taxifahrer war beim Test auf der "Teplitzer" zu schnell.
Auch ein Taxifahrer war beim Test auf der "Teplitzer" zu schnell. © Christian Juppe

Dresden. Es ist noch keine Woche her, dass auf der Budapester Straße ein Sechsjähriger angefahren und so schwer verletzt wurde, dass er später im Krankenhaus starb. Der Unfallfahrer soll sich ein Rennen mit einem Bekannten geliefert haben. Er sei deutlich schneller als die dort erlaubten 50 km/h gefahren, sagen Zeugen. Ein Raser. In Dresden ist das die Ausnahme, sagt die Polizei. Die Stadt habe keine Raserszene, keine Autofahrer, die bei illegalen Rennen zeigen wollen, wer der Schnellere ist.

Viele Dresdner sind da anderer Ansicht. Bei Facebook nennen sie Strecken, auf denen aus ihrer Sicht oft viel zu schnell gefahren wird. Eine Auswahl: die Reicker Straße, die Dohnaer Straße stadteinwärts bis vor zum Zelleschen Weg, die Bautzner Straße etwa in Höhe der Elbschlösser, die Hansastraße und die Kesselsdorfer Straße stadtauswärts. Anlass für einen SZ-Test – in Zusammenarbeit mit der Verkehrswacht Dresden: Geschwindigkeitsmessung an vier vierspurigen Straßen, darunter die „Budapester“.

Der Test

83 km/h sind nur der zweithöchste Wert. Gemessen an einer Strecke, an der oft auch richtige Radarmessungen stattfinden, auf der Teplitzer Straße zwischen Zelleschem Weg und Strehlener Platz. Ein Opelfahrer ist der Temposünder. Danach packt ihn die Sorge. Er fürchtete ein sattes Bußgeld, dazu einen Punkt in Flensburg und den Verlust seiner Fahrerlaubnis. Der Mann will auf „Nummer sicher“ gehen: Er wendet mit seinem Zafira auf dem Strehlener Platz und fährt auf der „Teplitzer“ zurück bis zur Reichenbachstraße. Dann zweimal links und er kann noch einmal an der Messstelle vorbeifahren. Dieses Mal viel langsamer, als erlaubt. Aber nur so kann er sehen, wer ihn da geblitzt hat und ob er wirklich mit einer Strafe rechnen muss. 

Er fährt erleichtert weiter, Glück gehabt. Bei einer echten Radarkontrolle wären nach Abzug der Messtoleranz etwa 77 Stundenkilometer übrig geblieben. Das sind auf der Teplitzer Straße stadteinwärts 27 km/h zu viel. Die Fahrerlaubnis ist da noch nicht weg, aber es kostet einen Punkt und satte 100 Euro Strafe, so steht es im aktuellen Bußgeldkatalog, den unter anderem der ADAC auf seiner Internetseite veröffentlicht hat.

Nächster Messort – die Teplitzer Straße am Hugo-Bürkner-Park: Direkt am Straßenrand steht die große Anzeigetafel mit dem Mess-Sensor am Mittwochabend eine halbe Stunde lang. Das Ergebnis: Das schnellste Auto ist ein kleiner VW. Mit 63 km/h rauscht er an der Tafel vorbei. Dass eine Baustelle auf der Dohnaer Straße die Autos ausbremst, die stadteinwärts fahren, könnte ein Grund dafür sein, dass in der Regel trotzdem im erlaubten Tempo vorbeigefahren wird.

Die Wirkung

Der zweite Grund: Kaum ein Autofahrer kann die Anzeige mit den großen gelben Leuchtziffern übersehen. Viele treten auf die Bremse, geschätzt etwa 80 Prozent der mehr als 200 Autofahrer, die in dieser halben Stunde die Messstelle passieren. Fazit: Solch ein Schild wirkt. Die Autofahrer gehen von einer echten Radarkontrolle aus oder sind zumindest so beeindruckt, dass sie bremsen. So wirken auch echte Blitzer. Und das selbst dann, wenn sich in den Kästen gar keine Kameras verbergen. In Dresden stehen derzeit 24 solche Kästen, doch die Stadt hat nur 23 Messgeräte. Heißt: Mindestens ein Kasten ist immer leer. Außerdem blitzt die Stadt im Einsatz mit drei mobilen Geräten, zumeist aus Autos heraus. „Die Anlagen sind gemietet“, teilt das Rathaus mit. Die Frage, ob es auch „Tempo-Tafeln“ gibt, die nur die Geschwindigkeit anzeigen, lässt die Stadt unbeantwortet.

Zwei weitere Tests stehen im Einsatzplan: auf der Ammonstraße und der Budapester Straße. Auf der Budapester halten sich am Donnerstagabend gegen 20 Uhr bei weitem nicht alle Autofahrer an die erlaubten 50 km/h. Fast alle sind etwas darüber, meistens fahren sie zwischen 55 und 60 Kilometer pro Stunde. Doch echte Raser gibt es auch während dieser Messung nicht. Höchstwert: 67 km/h. Auch hier zeigt die Leuchttafel Wirkung und veranlasst viele der rund 250 Fahrer zum Bremsen. Etwas früher am Abend diszipliniert die Tafel bereits an der Ammonstraße unter der Brücke Budapester Straße in Richtung World Trade Center. Der Schnellste ist hier mit 70 Sachen unterwegs.

Das Fazit

Es gibt also keine Raser in Dresden? Die Schlussfolgerung dürfte falsch sein. Die zwei Männer, die sich am vergangenen Sonnabend möglicherweise ein tödliches Rennen geliefert haben, zählen offenbar dazu. Beim Test am Mittwochabend widerlegt auch ein weißer VW-Transporter dieses Fazit. Er fährt kurz nach 20 Uhr auf der „Teplitzer“ stadteinwärts. Mit 96 km/h schießt er am Messschild vorbei. Laut aktuellem Bußgeldkatalog heißt das: bis zu 200 Euro Strafe, zwei Punkte in Flensburg und sofort ein Monat Fahrverbot. Hoffentlich eine Ausnahme.

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