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"Ist es nicht wert": Warum Shorttrackerin Anna Seidel mit 25 die Karriere beendet

Zehn Jahre ist Shorttrackerin Anna Seidel in der Weltspitze, zehn Jahre das Gesicht ihrer Sportart in Deutschland. Als 25-Jährige beendet die Dresdnerin ihre erfolgreiche Karriere. Im Abschiedsinterview spricht sie über die Hintergründe.

Von Alexander Hiller
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Anna Seidel ist fein mit ihren Abschied vom Leistungssport. "Ich hatte vor meiner Karrierepause das erfolgreichste Jahr meiner Karriere. Dann kann man so die Bühne verlassen", sagt die 25-Jährige.
Anna Seidel ist fein mit ihren Abschied vom Leistungssport. "Ich hatte vor meiner Karrierepause das erfolgreichste Jahr meiner Karriere. Dann kann man so die Bühne verlassen", sagt die 25-Jährige. © ronaldbonss.com

Dresden. Sie war eine der gefragtesten Gesprächspartnerinnen auf der Dresdner Sportgala: Anna Seidel, Sportlerin des Jahres 2023 der sächsischen Landeshauptstadt. Der Titel wird zugleich ihr letzter sein, in ihrer Dankesrede gab die 25-jährige Shorttrackerin den Abschied vom Leistungssport bekannt. Nach einem Jahr Karrierepause nun also die endgültige Entscheidung. Über die Gründe sprach sie danach im ausführlichen Interview mit Sächsische.de.

Frau Seidel, warum haben Sie sich die Dresdner Sportlergala ausgewählt, um ihr Karriereende offiziell zu verkünden?

Ich habe das vor der Gala den Veranstaltern mitgeteilt, dass ich es gern hier machen würde - in meiner Heimatstadt. Ich fand, das war ein schöner Rahmen.

Wann ist die Entscheidung Karriereende gefallen?

Das war ein Prozess. Es gab auch immer wieder Tage, an denen ich mir unsicher war. Als ich den Veranstaltern geschrieben habe, gab es kein Zurück mehr. Vielleicht habe ich das auch ein bisschen gebraucht, so einen konkreten Termin.

Gab es Menschen, die Ihnen Ihren Entschluss ausreden wollten?

Ausreden eher nicht. Es war schon viel Verständnis von allen Leuten, die ja auch wissen, was das bedeutet, Leistungssport zu betreiben. Natürlich gab es ehemalige Trainer und andere Sportler, die sich gefreut hätten, wenn ich weitergemacht hätte. Aber niemand hat gesagt: Das ist der größte Fehler. Meine Familie war froh, sie müssen jetzt vielleicht ein bisschen weniger um mich bangen, was Verletzungen angeht.

Anna Seidel und Olympia - das hat nicht gepasst. Vor den Spielen in Peking 2022 hatte sich die Dresdnerin eine schwere Verletzung zugezogen und ging deshalb weit von ihrer Bestform entfernt an den Start.
Anna Seidel und Olympia - das hat nicht gepasst. Vor den Spielen in Peking 2022 hatte sich die Dresdnerin eine schwere Verletzung zugezogen und ging deshalb weit von ihrer Bestform entfernt an den Start. © dpa/Peter Kneffel

War die Erkenntnis, dass Sie mit sieben EM-Medaillen und dem Status "erfolgreichste deutsche Shorttrackerin aller Zeiten" alles Ihnen Mögliche erreicht haben, auch ein Grund für den Rücktritt?

Nein, das war gerade der eine Punkt, der mich zweifeln ließ. Weil ich schon der Meinung war, dass da noch fünf Prozent Potenzial gewesen wären. Das Problem ist eben nur, dass man diese fünf Prozent dann auch bei den Wettkämpfen abrufen muss, die einem wichtig sind. Diese Garantie hat man nie. Also noch mal zwei Jahre bis Olympia ackern ohne Garantie - ist es mir das wert? Nach einem Jahr Bedenkzeit war die Antwort darauf: Das ist es mir nicht mehr wert. Ich hatte vor meiner Karrierepause das erfolgreichste Jahr meiner Karriere. Ich denke, dann kann man so auch die Bühne verlassen.

Oft bremsten Sie Verletzungen oder auch Stürze aus. Wie stark waren die Signale des Körpers?

Eher gering. Generell ist mir die Entscheidung extrem schwergefallen. Ich kann das jetzt auch sagen: Ich hatte fast schon depressive Phasen, es ging zumindest in die Richtung. Es war schwer, sich aufzuraffen und aktiv nach Entscheidungen zu suchen. Ich hatte auch sehr starke Bauchprobleme. Gesundheitlich hatte meine Entscheidung auch körperliche Auswirkungen. Seit der Entschluss fest steht, wird bei mir alles wieder harmonischer, die Balance kommt zurück.

Anna Seidel war die einzige deutsche Shorttrackerin mit privaten Sponsoren. Auch der Vertrag mit Red Bull wird nun aufgelöst.
Anna Seidel war die einzige deutsche Shorttrackerin mit privaten Sponsoren. Auch der Vertrag mit Red Bull wird nun aufgelöst. © © by Matthias Rietschel

Ihr Partner, der deutsche Eishockey-Nationalspieler Moritz Seider, spielt bei den Detroit Wings in der NHL. Verlegen Sie Ihren Hauptwohnsitz jetzt in die USA?

Es ist kein großes Geheimnis mehr, dass mein Freund in Amerika wohnt und ich zuletzt in der Saison bei ihm war, dort auch trainiert und mich fitgehalten habe. Wir haben uns in Detroit ein Haus gekauft. Ich denke, dass wir im Winter immer dort leben werden, sozusagen fifty-fifty. Im Frühling und Sommer sind wir dann in Deutschland - und ich auf jeden Fall auch in Dresden. Da müssen wir dann auch schauen, was sich auch beruflich entwickelt.

Haben Sie bereits Ideen oder konkrete Pläne?

Ich studiere seit zwei Jahren Medienmanagement an einer Fernuni. Die Medienbranche finde ich interessant. Moderation zum Beispiel kann ich mir auf jeden Fall vorstellen, das macht mir Spaß. Das müsste dann in Deutschland sein, weil man schon noch meinen Akzent heraushört, wenn ich in den Staaten bin. Viele fragen mich auch, ob ich mir einen Trainerjob vorstellen könnte. Dafür brauche ich aber erst einmal ein bisschen Abstand, vielleicht kommt irgendwann die Lust zurück.

Sie sind bis zuletzt das Gesicht Ihrer Sportart in Deutschland gewesen. Was wünschen Sie sich für das deutsche Shorttrack?

Dass noch viel, viel mehr Kinder ihren Spaß daran finden und in die Vereine kommen. Ich glaube, das eine geht dann mit dem anderen einher. Je mehr Kinder wir im Sport haben, desto mehr Talente können wir entwickeln. Und dann könnten mehr Erfolge kommen. Es ist aber in vielen Sportarten so, dass sich Kinder nicht mehr so quälen wollen oder dass es die Eltern nicht mehr mitmachen. Ich hoffe, dass Sport wieder lukrativer wird.

So fing medial alles an: 2014 kurz vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi posierte Anna Seidel als 15-Jährige auf dem Haus der Presse in Dresden. In Russland war sie damals zweitjüngste Starterin im deutschen Team.
So fing medial alles an: 2014 kurz vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi posierte Anna Seidel als 15-Jährige auf dem Haus der Presse in Dresden. In Russland war sie damals zweitjüngste Starterin im deutschen Team. © Agentur

Mit Ihrem Karriereende laufen Ihre Sponsorenverträge aus und auch die Absicherung in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Wie wollen Sie sich künftig finanzieren?

Wir fallen bei der Bundeswehr relativ weich, durch den Berufsförderungsdienst erhalte ich noch anderthalb Jahre Gehalt. In der Zeit möchte ich mein Studium beenden. Dann muss ich mir einen Job suchen und arbeiten - wie jeder andere Mensch auch.

Welche sportlichen Momente bleiben Ihnen rückblickend am meisten in Erinnerung?

Höhepunkte waren die beiden Vize-Europameistertitel 2021. Etwas wehmütig schaue ich dagegen auf Olympia zurück, weil es da irgendwie nicht sein sollte. Aber auch das gehört dazu. Ich habe akzeptiert, dass Olympia und ich keine Freunde geworden sind. Aber ich habe ganz gut andere Medaillen sammeln können.