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Chemnitzer Turnaffäre: Verband gerät unter Druck

Jetzt taucht ein brisantes Protokoll auf: Wurde die Trainerin Gabriele Frehse bereits 2019 bestraft, aber vom Vorwurf der psychischen Gewalt freigesprochen?

Von Sven Geisler
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Mächtig viel Staub hat die Affäre um die Chemnitzer Turn-Trainerin Gabriele Frehse aufgewirbelt. Wirklich aufgeklärt ist sie aber noch nicht.
Mächtig viel Staub hat die Affäre um die Chemnitzer Turn-Trainerin Gabriele Frehse aufgewirbelt. Wirklich aufgeklärt ist sie aber noch nicht. © picture alliance/dpa

Chemnitz. Mit einem lauten Knall wollte der Deutsche Turnerbund (DTB) den mutmaßlichen Fall zu den Akten legen. Der Untersuchungsbericht einer Rechtsanwaltskanzlei bestätigte schließlich, dass „in 17 Fällen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt durch die Trainerin vorliegen“.

Gabriele Frehse war zuvor von 14 ihrer ehemaligen Turnerinnen in Chemnitz um die Ex-Weltmeisterin Pauline Schäfer durch Aussagen im Magazin Der Spiegel schwer belastet worden. Als scheinbar logische Konsequenz forderte der Verband „die vollständige Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frau Frehse durch den Olympiastützpunkt Sachsen, bei dem sie angestellt ist“.

Das ist nun einen Monat her, die in der Kritik stehende Trainerin zwar freigestellt, aber bislang nicht gekündigt. Vielmehr wehrt sie sich gegen das Verfahren und die Methoden. Dabei gerät der DTB seinerseits immer mehr unter Druck, weil er sich weigert, Frehse den vollständigen Untersuchungsbericht, der 800 Seiten umfassen soll, einsehen zu lassen. Die 60-Jährige wehrt sich gegen den Verband. Sie hat sich an den Datenschutzbeauftragten in Hessen sowie die frühere Bundesministerin Brigitte Zypries in ihrer Funktion als Ethik-Beauftragte im DTB gewandt.

"Grundsätze eines fairen Verfahrens wahren"

Sie kenne nur die 13-seitige Stellungnahme des DTB, die auch an die Presse ging. „Was genau ermittelt wurde, ist mir bis heute nicht bekannt“, erklärt Frehse in dem vom Internetportal gymmedia.de veröffentlichten Schreiben an Zypries. Es ist verbunden mit der Bitte, darauf hinzuwirken, dass „der DTB die Grundsätze eines fairen und datenschutzrechtlich einwandfreien Verfahrens wahrt und mir Einsicht in den Untersuchungsbericht gewährt“.

Die Chemnitzer Turn-Trainerin Frehse wehrt sich gegen Vorwürfe von ehemaligen Athletinnen - und nun auch gegen den Verband.
Die Chemnitzer Turn-Trainerin Frehse wehrt sich gegen Vorwürfe von ehemaligen Athletinnen - und nun auch gegen den Verband. © picture alliance/Catalin Soare/dpa (Archiv)

Auf Nachfrage hatte der DTB erklärt, der Untersuchungsbericht liege „im engen Führungsgremium des DTB denjenigen vor, die mit Beschlussfassungen und der Aufarbeitung des Sachverhalts befasst sind“. Dies beruhe „auf dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, der Wahrung von der Untersuchungskommission zugesagter Anonymität und auch darüber hinaus dem Schutz der Personen, die sich der Untersuchungskommission anvertraut haben“.

Allerdings ist der Kreis wohl doch nicht ganz so eng gefasst. So soll beispielsweise auch die Athletensprecherin ein Exemplar erhalten haben. Das ist laut Porträt auf der Internetseite des DTB Kim Bui, die am Stützpunkt in Stuttgart trainiert und beispielsweise in der Qualifikation für Olympia in direkter Konkurrenz zu den Chemnitzer Turnerinnen steht.

Nach den Beschwerden von Frehse reagierte der Verband am Wochenende und erklärte: „Dessen ungeachtet wird der DTB Frau Frehse darüber hinaus Einsicht in den Untersuchungsbericht gewähren, soweit dies datenschutzrechtlich zulässig ist.“ Die Frage des Schutzes der Persönlichkeitsrechte sei der Trainerin „sowohl Ende Januar als auch Anfang Februar 2021 bereits schriftlich erläutert“ worden. Frehse hat die Begründung bereits in einer Erklärung vom 11. Februar in Zweifel gezogen. Die Zurückhaltung der Untersuchungsergebnisse lasse sich „übrigens auch nicht mit dem Datenschutz anderer Beteiligter erklären“, schrieb sie. „Denn zum einen haben diese sich auch nicht gescheut, in aller Öffentlichkeit mit dem Magazin Spiegel zu reden, zum anderen ließen sich deren Namen ohne Weiteres anonymisieren.“

"Ich frage mich: Was hat der DTB zu verbergen"

Ihre Mutmaßung: „Je länger der DTB mir die Einsicht verweigert, desto mehr frage ich mich, was der DTB zu verbergen hat und ob der Untersuchungsbericht doch nicht hält, was der DTB verspricht.“

Jetzt ist ein Hinweis auf ein Gesprächsprotokoll aufgetaucht, das den Verband in Erklärungsnot bringen könnte. Offenbar hatten sich die Verantwortlichen bereits vor der Weltmeisterschaft in Stuttgart mit Anschuldigungen gegen Frehse beschäftigt und Konsequenzen gezogen.

So wurde ihr arbeitsrechtlich durch den Olympiastützpunkt eine Abmahnung wegen „des leichtfertigen Umgangs bei der Verabreichung von Medikamenten gegenüber Minderjährigen“ erteilt. Des Weiteren wurde sie vom DTB bis zum Abschluss der WM im Oktober 2019 von der Auswahl ausgeschlossen. Außerdem wurde festgehalten, „die Anwürfe der Turnerinnen Pauline und Helene Schäfer im Hinblick auf die Ausübung möglicher psychischer Gewalt im Training gegenüber anderen Turnerinnen“ müsse geprüft werden.

Bereits 2019 "keinerlei Anhaltspunkte" gefunden

Das Internetportal gymmedia.de veröffentlicht nun dazu einen Auszug aus dem Protokoll eines Gesprächs am 9. Dezember 2019, an dem unter anderem DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam, Bundestrainerin Ulla Koch sowie Thomas Weise, Leiter des OSP Sachsen, teilgenommen haben. Darin wird festgehalten, dass der Psychologe Klaus Egert „keinerlei Anhaltspunkte für ein mögliches Fehlverhalten von Frehse“ festgestellt habe. Die Schlussfolgerung: „Wolfgang Willam geht nunmehr davon aus, dass Frau Frehse für sich die entsprechenden Rückschlüsse gezogen hat. Aus Sicht des DTB gibt es keine Gründe mehr, diese Maßnahmen bzw. Anwürfe aufrechtzuerhalten bzw. weiter zu verfolgen.“

Das heißt in der Konsequenz, den DTB holt die Vergangenheit ein. Entweder hat er die Vorwürfe damals nicht ernst genug genommen, wie es auch Schäfer nach eigener Aussage empfunden hatte, oder er lässt sie jetzt anders bewerten, weil sie durch die Berichte im Spiegel öffentlich gemacht wurden. Denn neue Anschuldigungen können seitdem kaum hinzugekommen sein. Frehse hatte sich nach der EM 2018 von ihrer einstigen Vorturnerin Schäfer wegen unüberbrückbarer Differenzen in sportlichen Fragen getrennt. Und die derzeit am Stützpunkt in Chemnitz aktiven 24 Turnerinnen sowie ihre Eltern setzen sich dafür ein, dass die Trainerin zurückkehrt.