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So kann Sachsen die Energiewende schaffen

Die Abstandsregel für Windräder setzt ein falsches Signal. Wenn Sachsen klimaneutral werden will, braucht es Projekte, die die Menschen mitnehmen.

Von Nora Miethke
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200 neue Windräder müssten in Sachsen bis 2024 errichtet werden, um die eigenen Energie- und Klimaziele zu erreichen.
200 neue Windräder müssten in Sachsen bis 2024 errichtet werden, um die eigenen Energie- und Klimaziele zu erreichen. © dpa

Kaum eine Technologie regt die Menschen in Sachsen so auf wie die von Windrädern. Die häufigsten Kritikpunkte: Windräder gefährdeten Natur und Tiere. Sie seien laut und bereiten Schlafprobleme. Die Landschaft werde verschandelt.

Dem gegenüber steht eine politische Entscheidung: Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden und darum weg von Öl und Gas. 200 neue Windräder müssten in Sachsen bis 2024 errichtet werden, um die eigenen Energie- und Klimaziele zu erreichen. Doch der Freistaat hinkt gewaltig hinterher. In den vergangenen zwei Jahren wurden vier neue Windräder errichtet, 15 alte abgebaut.

Der Bund will den Ländern vorschreiben, zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft auszuweisen. Statt geeignete Flächen zu suchen, hat Sachsen eine Mindestabstandsregel beschlossen, die den Ausbau erschwert. Sie ist diese Woche in Kraft getreten. Künftig müssen grundsätzlich 1.000 Meter Abstand zwischen neuen Windkraftanlagen und der nächsten Siedlung ab fünf Wohnbauten eingehalten werden. Die CDU hat sich durchgesetzt, die Koalitionspartner SPD und die Grünen haben zugestimmt.

Grüne pokern hoch

Der Beschluss enttäuscht. Er sendet das fatale Signal, dass der Freistaat es nicht wirklich ernst meint mit der Energiewende. Er lässt an der Glaubwürdigkeit von Politikern und Politikerinnen zweifeln, die zuvor stets betonten, wie wichtig die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien geworden sei. Auch wenn der Versuch nachvollziehbar ist, der AfD bei ihrer Panikmache vor einem „Flächenfraß“ durch Windräder und Solarparks den Wind aus den Segeln zu nehmen – sollte die AfD nach der Kommunalwahl an diesem Wochenende Landräte stellen, würde der Ausbau der Erneuerbaren ungleich schwieriger werden –, bleibt das ungute Gefühl von Trickserei.

Die Grünen pokern hoch. Sie gehen davon aus, dass die Abstandsregel ohnehin durch die Bundesregierung wieder gekippt wird, sollte Sachsen das Zwei-Prozent-Flächenziel nicht erreichen. Aber das ist nicht sicher und juristisch zweifelhaft.

Sicher, die Einführung des Mindestabstandes war Bestandteil des Koalitionsvertrags von 2019. Doch seitdem haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Der Klimawandel ist mit Flutkatastrophen, Trockenheit und Stürmen längst auch bei uns angekommen. Der Krieg in der Ukraine führt uns zudem unsere Abhängigkeiten von den fossilen Energieträgern vor Augen. Auch Sachsen muss sich dieser neuen Realität stellen.

Standort für Windräder ist Hauptproblem

Will der Freistaat die energieintensive Industrie bei ihrem Weg in eine umweltschonende Zukunft unterstützen oder nicht? Denn Autobauer und Chiphersteller verlangen von ihren Zulieferern klimaneutral hergestellte Produkte. Die Chemie-, Stahl- und Glasindustrie brauchen Wind- und Solarstrom für den Umstieg auf Wasserstoff.

Doch statt der Wirtschaft eine Perspektive zu geben, fordert Ministerpräsident Michael Kretschmer, über die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken zu diskutieren. Das schadet Sachsen. Sonne und Wind sind die billigsten Energieformen, Kernenergie mit Abstand die teuerste. Es wird immer deutlicher: Neuer Wohlstand entsteht dort, wo es günstige und saubere Energie gibt.

Wie lassen sich also die Hürden des Ausbaus überwinden? Das Hauptproblem ist der Standort für die Windräder. Auch in Sachsen gibt es Flächen, die niemand bewohnen will und die auch keine schützenswerten Naturgebiete sind. Gewerbeflächen und Konversionsflächen wie frühere Deponien wären geeignet.

Auch muss über Windkraft im Wald endlich verhandelt werden, nicht auf dem schönen Erzgebirgskamm oder in alten, artenreichen Laub- und Mischwälder. Die müssen tabu sein. Aber nicht jeder Wald ist gleich schützenswert: Nutzwälder, die zur ökonomischen Verwertung angepflanzt wurden, sollten zur Verfügung stehen. Beim Artenschutz sollte der Blick nicht nur auf einzelne Vögel gerichtet sein: Windanlagen gehören nicht in Lebensräume von Tieren, deren Population gefährdet ist.

"Ja, wir wollen Windräder, sie sind sinnvoll"

Der größte Hebel für mehr Akzeptanz für die Energiewende dürfte jedoch beim Geld liegen. Um Solar- und Windenergie mit den Menschen auszubauen, wie Kretschmer fordert, müssen die Sachsen direkt von dem Ausbau über günstigere Strompreise profitieren. Der Freistaat will zwar die Gewinnbeteiligung der Bürger und Bürgerinnen an Windkraftanlagen verbessern. Doch das Beispiel des ersten Bürgerwindrads in Wülknitz zeigt: Meist sind Großstädter – in diesem Fall aus Dresden – beteiligt. Den Menschen vor Ort, die unter Lärm, Schattenwurf und Minderung ihrer Grundstückswerte leiden, fehlen oft die finanziellen Mittel.

Es braucht daher Beteiligungsformen für die Gemeinden, in denen der Windstrom produziert wird, die unabhängig sind von der Genossenschaftsmitgliedschaft. Wenn dann noch öffentlich darüber diskutiert würde, was man mit dem Geld finanzieren will, wenn die Anwohner in der Nachbarschaft von Windrädern billigere Stromtarife bekämen, dann könnte sogar in Sachsen die Akzeptanz wachsen.

Damit die Energiewende gelingt, braucht es vor allem eins: mehr Bürger und Bürgerinnen, mehr Bürgermeister und Landespolitiker, die laut sagen: Ja, wir wollen Windräder, sie sind sinnvoll. Damit nicht nur die Gegner laut sind.